Das Kirchenasyl ist nicht das, was es heisst – eine kleine Geschichte

Das Kirchenasyl hat in den verganen Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Dabei gibt es viele falsche Annahmen. Ein Erklärstück.

Des requerants deboutes de l'asile ainsi que divers associations de soutien, "Groupe actions des etats generaux pour les droits des migrants" et "Coordination Asile Migration Lausanne", occupent pour une action l'Eglise St-Laurent ce vendredi 19 decembre 2008 a Lausanne. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)

(Bild: JEAN-CHRISTOPHE BOTT)

Das Kirchenasyl hat in den verganen Wochen für Schlagzeilen gesorgt. Dabei gibt es viele falsche Annahmen. Ein Erklärstück – entlang von Irrtümern und Beispielen.

Das Kirchenasyl ist doch abgeschafft worden?

Falsch, das Kirchenasyl existiert bereits seit der römischen Antike. Selbst die Ägypter kannten bereits ein Tempelasyl, das Menschen in Not einen Unterschlupf gewährte. Das Kirchenasyl ist und war aber nie in einem Gesetzbuch verbrieft, weder einem staatlichen noch in irgendeinem kirchlichen. Das ungeschriebene Recht verfestigte sich allerdings im Lauf der Jahrhunderte und fand auch Niederschlag an den Kirchentüren – in Form eines Löwenkopfs, dessen Nase von einem Metallring durchbohrt wird. «Sobald ein Flüchtender im Kirchhof diesen Ring zu fassen bekam, war er vor seinen Verfolgern geschützt», erläutert der Könizer Pfarrer und Kirchenasylexperte André Urwyler den Brauch gegenüber dem «Beobachter».

Wozu diente das Kirchenasyl?

Früher diente es unter anderem den Menschen als Schutz vor Lynchjustiz. In Ländern wie Südafrika brachten sich beispielsweise die Gegner des Apartheid-Regimes in Kirchen vor dem Zugriff des Militärs in Sicherheit.

Und heute?

In den letzten Jahrzehnten beleben vor allem abgewiesene Asylsuchende in deutschsprachigen Ländern die alte kirchliche Tradition. Sie suchten und suchen bei Härtefällen den Schutz der Sakralbauten. In der Schweiz kam es in den 1980er-Jahren zu «Dutzenden von Kirchenasylen, als sehr viele asylsuchende Flüchtlinge von den Behörden abgewiesen wurden», sagt die Basler Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz, die in ihrem Buch «Die Fremdmacher» unter anderem die Geschichte der Kirchenbesetzungen und Kirchenasyle in der Schweiz nachzeichnet.

Was macht die Kirche, wenn sie Asyl gewährt?

In erster Linie ist es eine Art Nothilfe und Schutz vor Ausschaffungen. Die Kirchgemeinde schützt dabei Einzelne oder ganze Familien vor der Ausschaffung in menschenunwürdige oder gar lebensbedrohliche Zustände im Herkunftsland. Dabei stellt die Kirchgemeinde oder die Pfarrei Räumlichkeiten mitsamt ihrer Infrastruktur zur Verfügung und informiert die Öffentlichkeit sowie die entsprechenden staatlichen Stellen.

Darf die Polizei durchgreifen?

Ja, immer. Befindet sich die Liegenschaft allerdings in öffentlichem Besitz, ist es einfacher, weil es nur die Bewilligung des Hausherren braucht. Gehört der sakrale Bau allerdings einer Kirchgemeinde ist es Privatbesitz und ein richterlicher Beschluss ist nötig. Ohne Hausdurchsuchungsbefehl kann die Polizei in solchen Fällen nur durchgreifen, wenn «Gefahr in Verzug ist». Eine «kirchliche Immunität» gibt es so gesehen nicht.

Den Pfarrern droht durchaus auch eine Busse. So wurde der ehemalige Bischof Hansjörg Vogel mit 300 Franken gebüsst, weil er einen Kosovaren im Pfarrheim unterbrachte. Er hatte «Beihilfe zum illegalen Aufenthalt von Ausländern» geleistet. Die Staatsanwaltschaft hob die Busse allerdings später auf, weil Vogel sich keiner illegalen Handlung bewusst gewesen sei.

Aber oft greift die Polizei nicht ein, oder?

Nein, in der Regel wird das Kirchenasyl respektiert. Mit guten Gründen: Das Kirchenasyl verhinderte «in nicht wenigen Fällen Fehlentscheide der Behörden, die gravierende Folgen für die Betroffenen haben könnten», wie es auf der Website der Sans-Papiers heisst.

Und es gibt eine Vielzahl von einzelnen Beispielen:

  • 2001 versteckte der damalige Jesuit Lukas Niederberger den abgewiesenen srilankischen Asylbewerber Kesavan Rasiah im Lassalle-Haus im zugerischen Edlibach.
  • 2004 besetzten Flüchtlinge in Lausanne ein Kirchgemeindehaus, nachdem die gesetzlichen Bestimmungen für Asylsuchende verschärft worden waren. Die Kirchgemeinde und auch die reformierte Landeskirche des Waadtlands solidarisierten sich und gewährten Kirchenasyl. Der Bund verzichtete schliesslich bei 145 von 523 abgewiesenen Asylsuchenden auf die Ausschaffung und legalisierte den Aufenthalt vorab von Familien mit Kindern, alleinstehenden Frauen und Überlebenden des Massakers von Srebrenica.
  • 2005 stellte sich die reformierte Kirchgemeinde in Bubendorf schützend vor die kosovo-albanische Familie Haljiljaj mit ihren zwei kleinen Buben. Das Kirchenasyl war erfolgreich nicht zuletzt auch dank des Engagements des Regierungsrats, der bei der zuständigen Bundesbehörde die Anerkennung der Familie als Härtefall erwirken konnte.
  • 2006 fand die sechsköpfige Familie Martinez aus Ecuador Schutz in der Basler Pfarrei St. Josef und wurde schliesslich via die Härtefallregelung in der Schweiz aufgenommen.

Die Aufzählung liesse sich mit Beispielen aus anderen Städten verlängern, in denen das Kirchenasyl für die Betroffenen ein glückliches Ende fand.

Und warum werden Kirchen besetzt?

Steht beim Kirchenasyl in aller Regel der Schutz von ausschaffungsbedrohten Flüchtlingen im Zentrum, wollen Sans-Papiers und die sie unterstützenden nichtkirchlichen Gruppen mit Kirchenbesetzungen erreichen, dass diese ohne legalen Status lebenden Menschen mit dem nötigen Schutz «überhaupt mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit treten können», wie es auf der Website der Sans-Papiers heisst. Die letzte grosse Besetzung war 2008 kurz vor Weihnachten. Zirka 150 Personen besetzten damals in Zürich die Predigerkirche.

Sie stellten drei Forderungen an die Adresse des Zürcher Regierungsrats:

  • «Eine humane Umsetzung der gesetzlich verankerten Härtefallregelung,
  • die Aufhebung des Arbeitsverbots für abgewiesene Asylsuchende und
  • die Regularisierung aller Papierlosen.»

Der damalige Regierungsrat Hollenstein, ein Christdemokrat, hatte zwar zugesagt, eine Härtefallkommission einzusetzen. Aufgenommen wurden schliesslich aber nur wenige der Kirchenbesetzer, weil kaum einer das Kriterium, mindestens fünf Jahre in der Schweiz zu sein, erfüllen konnte. Ausserdem lehnte der Regierungsrat eine Lockerung des Zürcher Nothilferegimes ab. Entsprechend enttäuscht beendeten die Sans-Papiers ihre Aktion nach zwei Wochen.

In Basel gab es aktuell wieder einen Fall. Gibt es weitere?

Ja, in Lausanne regt sich auch Widerstand gegen die Asylpolitik. Im Fokus stehen sechs Asylsuchende, die Kirchenasyl in Saint-Laurent erhalten haben. Wie es ausgeht, ist nach wie vor offen. Neue Hoffnung macht den sechs abgewiesenen Asylsuchenden ein Gerichtsentscheid. Die Asylbewerber, die sich seit März 2015 in der reformierten Kirche aufhalten, erhalten Aufschub. Das Bezirksgericht Lausanne hat eine Klage der evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Waadt (EERV) zurückgewiesen.

Warum klagt die Landeskirche?

Die Landeskirche hatte verlangt, dass die Besetzer das Untergeschoss der Kirche räumen, wie die Genfer Zeitung «Le Courrier» am Donnerstag berichtete. Das Gericht hat allerdings gar nicht darüber entschieden, ob die Asylbewerber das Recht haben, die Räumlichkeiten der Kirchgemeinde zu besetzen. Das Gericht hat lediglich die Klage der EERV als unzulässig bezeichnet, da es nicht in der Lage gewesen sei zu bestimmen, bei wem die Besitzrechte an dem Gebäude lägen. Das Gebäude gehört laut dem online-Portal cath.ch der Stadt Lausanne, die es der reformierten Kirchgemeinde zur Verfügung stellt. Die Klage wurde jedoch nicht von der Kirchgemeinde selbst, sondern vom übergeordneten Organ, der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Waadt eingereicht.

Hat das Kirchenasyl heute noch seine Berechtigung?

Trotz aller heikler Fragen zwischen Recht und Gerechtigkeit steht die Berechtigung für das Kirchenasyl biblisch, theologisch und sozialethisch ausser Frage. Angesichts der Not vieler Flüchtlinge ist es zu begrüssen, wenn sich die Kirchen mit ihren Ressourcen, ihrer Infrastruktur, ihren ungenutzten Räumen aktiv in die Gesellschaft einbringen. Man könnte diese Räume zu «Lofts» für Asylsuchende umbauen, sagte unlängst kein Geringerer als der Basler Bischof Felix Gmür.

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