«Das Kleinbasel gilt zu Unrecht als Ghetto»

Peter Winiker, Präsident der IG Kleinbasel, kämpft für einen besseren Ruf seines Stadteils. Es ist ein harter Kampf.

Peter Winiker, Präsident der IG Kleinbasel, kämpft für einen besseren Ruf seines Stadteils. Es ist ein harter Kampf.

Geht es um das Kleinbasel, denken wohl die meisten zuerst an Kriminalität – und erst ein zweiter Gedanke dreht sich um das schöne Rheinufer. Auch Peter Winiker von der Interessensgemeinschaft Klein­basel (IGK) beginnt das Gespräch mit dem Thema Sicherheit – kommt dann aber bald auf ganz andere Probleme zu sprechen. Als Betreiber eines Einrichtungsgeschäfts an der Clara­strasse weiss er aus eigener Erfahrung, mit welchen Problemen Gewerbetreibende im Kleinbasel zu kämpfen haben. Und obwohl er den Stadtteil schätzt wie kaum ein Zweiter, sind seine Prognosen für die Zukunft düster. Grund für diese Aussichten ­geben ihm die Banken, die hohen Schweizer Preise – und die Politiker.

 

Peter Winiker, der «Claraplatzbueb»

Als Präsident der Interessensgemeinschaft Kleinbasel (IGK) setzt sich Peter ­Winiker (45) für die Anliegen dieses Stadtteils ein. Selber betreibt er ein Geschäft für Inneneinrichtung an der Clarastrasse und weiss, welche Sorgen Gewerbetreibende haben. Winiker hat sein halbes Leben im Kleinbasel gewohnt und bezeichnet sich als «Claraplatzbueb». Inzwischen lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Riehen, wobei er selber sagt: «Eigentlich schlafe ich nur dort.» An der Fasnacht ist er als Schnitzelbänkler unterwegs. Als Bürgerlicher gehört er der FDP an, wo er aber keine Funktion inne hat.

Herr Winiker, ein Interview zum Thema Kleinbasel ist schwierig – man weiss nicht, wo anfangen.

Das verstehe ich gut, es gibt auch sehr viele wichtige Themen hier.

Was ist derzeit das drängendste?

Alles hängt irgendwie zusammen. Wobei die Sicherheit bestimmt eines der grössten Probleme ist.

Es stimmt also, was manche ­Panikmacher behaupten: Man begibt sich fast schon in Lebensgefahr, wenn man nachts allein im Kleinbasel unterwegs ist?

Nein, das sicher nicht. Abgesehen davon gibt es in der ganzen Stadt Kriminalität, nicht nur im Klein­basel. Hier werden vor allem im ­Bereich Claraplatz und an der Rheinpromenade Leute überfallen und verprügelt, während in anderen Quartieren des Kleinbasels selten ­etwas passiert. Trotzdem wird immer pauschal vom Kleinbasel ge­redet. Das schadet dem Ruf eines ganzen Stadtteils, der immerhin ein Drittel der Fläche von Basel ausmacht. Trotz dieser Angst treffe ich ständig Grossbasler im Ausgang, weil es hier eben so gemütlich und lustig ist.

Was tun Sie gegen die Pauscha­lisierung in den Medien?

Ich rief zum Beispiel einmal bei ­einem Lokalradio an, nachdem ich eine Meldung gehört hatte, im Kleinbasel sei jemand ausgeraubt worden. Ich fragte den Redaktor, wo der Überfall stattgefunden habe, ob es allenfalls im Hirzbrunnen-Quartier passiert sei. Natürlich passierte es nicht dort. Die Differenzierung ist mir wichtig.

Der Fall der Firma Gaba ist ­kein Einzelbeispiel, viele Firmen wandern ab.

Darum erwarte ich konsequentes Handeln von Grossanbietern, aber auch von den Konsumenten. Für mich ist Elmex als Produkt gestorben. Mit der Begründung, alles sei zu teuer in der Schweiz, wandert die Firma nun ab. Bloss: Wer hat es so teuer gemacht? Die Firma selber!

Auch Zentren wie das Stücki ­gefährden das Gewerbe.

Solche Zentren sind das Ergebnis der autofeindlichen Politik, die in Basel betrieben wird. Es gibt keine andere Lösung für die Konsumenten, als dort den Fernseher und ­andere sperrige Dinge zu kaufen.

Diese Politiker wollen aber das Gegenteil: Sie wollen die Innenstadt mit ihrer Politik beleben.

Reine Detaillisten wollen Fussgängerzonen, stimmt. Wobei es, vor allem bei ­Warenhäusern, auch Unterschiede gibt. Nicht jedes Produkt hat dieselbe Quadratmeter-Rendite.

Machen Sie bitte ein Beispiel.

Also. Damenstrümpfe haben die grösste Quadratmeter-Rendite. Sie kosten ein kleines Vermögen, brauchen aber praktisch keine Bedienung und kein Lager. Das heisst: Damenstrümpfe generieren fast keine Fixkosten, bringen aber viel Geld …

… und die Konsumentin kann sie zu Fuss kaufen und heimtragen.

Auf derselben Fläche aber Fernseher zu verkaufen ist platz- und beratungsintensiv. Sie haben damit also niemals denselben Quadratmeterumsatz wie mit Damenstrümpfen.

Dann müssen Warenhäuser eben mehr Strümpfe und weniger Fernseher anbieten.

Diese Möglichkeit haben Waren­häuser, die kleinen Läden aber haben sie nicht. Die können nicht plötzlich umstellen. Sie müssen umziehen.

Das Stücki bekommt auf der ­Erlenmatt ein neues Warenhaus als Nachbar. Dann muss man erst recht nicht mehr an die Greifengasse oder Clarastrasse.

Richtig. Es bleibt die Hoffnung, dass die Kunden trotzdem kommen.

Vor einiger Zeit sagten Sie in der «Basler Zeitung» über die Clarastrasse: «Diese Strasse ist die ­ultimative Einkaufsmeile des Kleinbasels.»

Damit meinte ich die Achse von der Mittleren Brücke bis zur Messe.

Was ist daran so ultimativ? Man redet immer von Ramschläden.

Man sucht im Kleinbasel immer das Negative. Aber schauen Sie mal genau hin: Früher gab es hier den ABM und den Fricker, diese Geschäfte bezeichnete niemand als Ramschläden. Aber es sah gleich aus wie jetzt. Bloss heissen die Läden anders und sprechen vor allem junge Ausländer an. Das ist auch gut so – denn das sind die Kunden dieser Läden.

Jetzt beginnt das Weihnachtsgeschäft. Sehen Sie dafür schwarz?

Wenn man schaut, wie aggressiv deutsche Geschäfte in der Schweiz werben, muss man davon ausgehen, dass viele Kunden dort einkaufen.

Gibt es wenigstens wieder eine richtige Weihnachtsbeleuchtung?

Nein, leider fehlt uns das Geld für die Neuanschaffung einer Beleuchtung.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12

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