Das Mitwirken will erst noch gelernt sein

Nicht immer führen Mitwirkungsverfahren, wie sie im Kanton Basel-Stadt seit 2005 verfassungsmässig verankert sind, zu breit abgestützten Resultaten. Das zeigen die heftigen Stadtplanungsdispute im Gundeldinger Quartier.

Der Tellplatz: Während die Stadtentwicklungsbehörden die Platzgestaltung als Vorzeigebeispiel feiern, gehen die Meinungen im Quartier auseinander. (Bild: Georg Kefalas)

Nicht immer führen Mitwirkungsverfahren, wie sie im Kanton Basel-Stadt seit 2005 verfassungsmässig verankert sind, zu breit abgestützten Resultaten. Das zeigen die heftigen Stadtplanungsdispute im Gundeldinger Quartier.

Das Gundeldinger Quartier hat in Sachen Mitwirkung eine bewegte Geschichte. Vor zwei Jahren beispielsweise schlug das Verkehrskonzept Gundeli hohe Wellen und scheiterte dann. Derzeit stehen die Neubaupläne der SBB am Bahnhofeingang Süd in der Kritik. Baulich, so viel ist klar, gibt es jede Menge Konfliktpotenzial im Quartier.

Liegt die Streitbarkeit der Quartierbewohner in Gestaltungsdingen noch im Bereich einer fruchtbaren Meinungsvielfalt? Kann man manchen Leuten einfach gar nichts recht machen? Oder ist sie Zeugnis für ein ausgesprochen lebendiges Interesse am Quartier?



Umstritten: der «Boulevard» Güterstrasse hat in der Quartierbevölkerung keinen guten Ruf.

Umstritten: der «Boulevard» Güterstrasse hat in der Quartierbevölkerung keinen guten Ruf. (Bild: Michael Würtenberg)

Bereits am Beispiel Tellplatz, für dessen Neugestaltung sich die Quartierorganisationen sehr eingesetzt haben, scheiden sich die Geister. Der wäre ja gut, wenn er genau so, aber ein klein bisschen anders wäre – vom gesamten Boulevard Güterstrasse gar nicht zu reden. Die Blumenkübel könnten noch ein paar Zentimeter weiter rechts oder links stehen, die am Platz ansässige Gastronomie noch ein paar Tische mehr oder weniger aufstellen und so weiter.

Für heftige Dispute sorgt auch das Konzept des Gundelitunnels, das weit über die Quartiergrenzen sehr umstritten ist.

Streitpunkt Verkehr

Verkehr ist, genauso wie die Gestaltung des öffentlichen Raums, ein Dauerthema im diesbezüglich sehr belasteten Gundeldinger Quartier. Immer wieder wird beklagt, wie viel Verkehr nun durchs Quartier rollt. Es gibt zahlreiche Verbesserungsansätze, die aber wiederum zum Teil für heftige Debatten sorgen.

Im Juni 2013 wurde vom Amt für Mobilität das Verkehrskonzept Gundeldingen präsentiert, das neben mehreren verkehrsberuhigten Zonen auch die Umverlegung der Buslinie 36 in die Güterstrasse vorsah. Vorbereitend fanden mehrere Arbeitssitzungen mit Vertretern des Quartiers statt, wie die Initiative Gundeli Plus hier in einem Video zusammengefasst hat:

Bei einer Podiumsdiskussion im September 2013 wehrten sich Anwohner dann deutlich und lautstark gegen das Projekt. Vor allem die neue Verkehrsführung stiess auf Kritik. Der Verein IG Verkehrt lancierte eine Petition gegen das Verkehrskonzept, das dann im September 2014 schliesslich «wegen unüberwindbarer Differenzen» sistiert wurde. Der Projektleiter Florian Mathys verstand die Welt nicht mehr. Was war schiefgelaufen?

Viele Betroffene werden gar nicht erreicht

An der Einbindung könne es nicht gelegen haben, sagt Beatrice Isler, Vorsitzende des Neutralen Quartiervereins Gundeldingen. Die Gelegenheit zur Mitwirkung sei den Einwohnern breit und umfassend angekündigt worden.

Warum wehrten sich dann ausgerechnet diejenigen, die am Mitwirkungsverfahren nicht teilgenommen hatten? «Es gibt immer Leute, die man nicht erreicht», sagt Isler. «Damit muss man leben.»

Das Mitwirkungsverfahren, findet sie, sei zu früh abgebrochen worden. Es sei zu wenig erklärt worden, warum man sich für die präsentierte Alternative entschieden habe. Günstiger wäre es gewesen, mehrere Alternativen vorzustellen – als Diskussionsgrundlage für das Quartier.

Wollten die Gundeldinger in erster Linie weniger Verkehr, nicht anderen Verkehr, wie es ihnen vom Bau- und Verkehrsdepartement vorgeschlagen wurde? Und fühlten sie sich deshalb veräppelt?

«Ja auch», sagt Isler, «da gab es aber sehr verschiedene Beweggründe. Es haben sich zu meinem Erstaunen sehr viele Leute gegen das Verkehrskonzept Gundeli gewehrt, die aus meiner Sicht keine grossen Nachteile oder sogar Vorteile von der Umstellung hatten.»

Das gescheiterte Projekt hinterliess zumindest stellenweise Spuren. Ein ähnliches Szenario wollte Susanne Brinkforth vom Fachbereich Freiraumplanung nicht und holte die Einwohner gleich zu Anfang und in grossem Rahmen mit ins Boot. Auf breite Mitwirkung angelegt wurde ihr Projekt zur Grün- und Freiraumgestaltung im Gundeli. Bisher ein nahezu vorbildliches Beispiel zur Mitwirkung. Lanciert wurde in den letzten Wochen die Aktion «Unser Hinterhof». Zu anderen Themen liegen noch keine konkreten Pläne vor.

Widerstand formiert sich oft zu spät

Konkrete Pläne und sogar ein architektonisches Modell gibt es hingegen für den Umbau des SBB-Bahnhofeingangs Süd nebst begleitender Bautätigkeiten am Meret-Oppenheim-Platz, gegen die der Neutrale Quartierverein Einsprache einreichte. Das Quartier sei bei der Planung  übergangen worden, so die Begründung.

Bauherr sind allerdings die SBB und nicht der Kanton. Ziel der Einsprache sei es nicht, das Bauprojekt zu stoppen, darauf legt der Neutrale Quartierverein wert. «Wir haben die einzige Möglichkeit zur Mitsprache genutzt, die uns zur Verfügung steht», betont Beatrice Isler. «Wir möchten als Quartierbevölkerung und als Kunden der SBB ernst genommen werden».

Widerstand gegen ein Projekt formiert sich oft erst, nachdem konkrete, anschauliche Pläne auf dem Tisch liegen und durch die Medien kommuniziert werden. Bis dahin ist das Verfahren aber meist weit fortgeschritten. Ist das ein genereller Fehler im System?

«Nein», findet Isler. «Mit der medialen Berichterstattung erreicht man einfach eine neue Gruppe Menschen. Leute, die sich für den Mitwirkungsprozess nicht interessieren oder die man vorher nicht erreicht hat, werden dann mit einem Ergebnis konfrontiert, das ihnen vielleicht nicht gefällt. Dann werden sie aktiv.»

Aufwendiges Verfahren

Isler könne sich schon vorstellen, dass es für Kantonsmitarbeiter schwierig sei, wenn viel Widerspruch aus der Bevölkerung kommt. Aus ihrer Erfahrung heraus rät sie zur Geduld. 2007 trat die Verordnung über die Mitwirkung der Quartierbevölkerung in Kraft. Nun müssen laut Isler eben alle Beteiligten lernen, damit umzugehen.

«Wir müssen Mitwirkung auch leben», betont sie. «Ich denke, da muss man auf allen Seiten noch sehr viel lernen.»

Für den Einzelnen sei es schwer, sich Gehör zu verschaffen, gibt die Präsidentin des Neutralen Quartiervereins zu. «Man muss schon organisiert sein», antwortet sie auf eine entsprechende Frage. Das Gefühl, dass Anwohner vom Kanton nur abgespeist und nicht einbezogen zu werden, hat Isler aber nicht.

Dafür, dass sich manchmal nur wenige Anwohner wirklich in das Mitwirkungsverfahren einbringen, gibt es ihrer Ansicht nach andere Gründe: Das Verfahren ist sehr aufwendig. Nicht jeder Quartierbewohner könne das zeitlich und organisatorisch leisten.

Die Gundelianer seien zwar streitbar, aber keine Bremsklötze, resümiert sie. Auch gingen erfolgreiche Mitwirkungsprozesse oft vergessen. Gut funktioniert hätten im Quartier zum Beispiel die Eröffnung der Kontakt- und Anlaufstelle für Drogensüchtige, die Einbettung dreier Asylbewerberheime und die Integration der Randständigen, die die Wärmestube Soup & Chill frequentieren. Und zum Schluss: «Allen Leuten recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.»

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Die TagesWoche widmet sich aktuell schwerpunktmässig dem Thema Mitwirkung, alle bisher veröffentlichten Geschichten zum Thema in unserem Dossier.

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