Wenn vom Handykonsum Jugendlicher die Rede ist, schnellt oft gleich der Mahnfinger in die Höhe. Cybermobbing, Pornografie, Sexting und Sucht, sind dann die Themen. Und vor Kurzem erst veröffentlichte das Schweizerische Tropen- und Public-Health-Institut die Erkenntnis, dass Mobilfunkstrahlung die Gedächtnisleistung von Jugendlichen beeinträchtigen kann. Die «Generation Smartphone» selber kommt dabei aber kaum je zu Wort.
Die Hochschule für Soziale Arbeit der FHNW und die Fachgruppe Medienpsychologie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften sind nun einen anderen Weg gegangen. In einem Forschungsprojekt mit dem Titel «Generation Smartphone» nähern sie sich der «Bedeutung des Smartphones im Alltag von Jugendlichen» nicht von aussen, sondern beleuchten die damit verbundenen Chancen und Risiken aus Sicht der Betroffenen.
Der ständige Begleiter
Und das tun sie konsequent: 30 Jugendliche im Alter von 12 bis 19 Jahren aus Basel und Zürich haben Tagebuch geführt über ihre Smartphone-Nutzung. Und acht Jugendliche haben zusammen mit acht erwachsenen Spezialisten aktiv am Forschungsprojekt mitgearbeitet.
Wenig überraschend ist die Erkenntnis, dass das Smartphone ständiger und unverzichtbarer Begleiter der Jugendlichen ist – ob als Musik- und Videoplayer, Fotoapparat, Internet-Browser, als Medium für Bücher und Stadtpläne, als Lernhilfe für die Schule und vor allem als Mittel, um Kontakte zu pflegen. Die klassische Telefonfunktion fristet aber inzwischen ein Nischendasein, stellt der Forschungsbericht fest.
In der Schweiz besitzen 98 Prozent aller Jugendlichen ein Smartphone und nutzen dieses nach eigenen Einschätzungen unter der Woche während 3,5 Stunden pro Tag, am Wochenende eine Stunde länger. Dies zeigen repräsentative Zahlen der James-Studie der Zürcher Hochschule aus dem Jahr 2016.
Immer in Kontakt
Das ist ganz schön viel Zeit. Entsprechend bezeichnen die Jugendlichen ihr Smartphone als «Best Friend», als «Teampartner» oder gar als «Teil von mir» und als «überlebensnotwendig». Dies deutet laut Forschungsbericht auf eine emotionale Verbundenheit hin, wobei ältere Jugendliche es eher als jüngere schaffen, das Gerät auch mal wegzulegen .
Besonders wichtig ist es als Kontaktmedium, in erster Linie über WhatsApp, aber auch über die Social-Media-Kanäle Instagram und Snapchat. In den Worten der 16-jährigen Leonie klingt das so:
«Ich finde, die wichtigste Chance der Handynutzung ist die Kommunikation. Egal wie weit weg man ist, wie wenig Zeit man hat oder in welcher Klemme man steckt, man kann eine Nachricht versenden und es spielt keine Rolle mehr. Man kann mit Leuten reden, die vielleicht Hunderte Kilometer entfernt sind ohne grossen Aufwand und das ist eine, in meinen Augen, aussergewöhnlich fantastische Funktion.»
Stressfaktor Erreichbarkeit
Aber gerade in diesem Punkt empfinden die jungen Nutzerinnen und Nutzer das Smartphone auch als ambivalent: «Wenn man nicht auf dem neuesten Stand ist, bekommt man Schwierigkeiten», gibt die 18-jährige Lou zu Protokoll. Aus dieser Aussage lässt sich herauslesen, dass da auch ein grosser Stressfaktor hinzukommt. Der 14-jährige Basil schreibt in seinem Nutzungstagebuch:
«Hier habe ich in sieben Minuten 101 WhatsApp-Nachrichten erhalten. Ich habe gar keine Chance, um diese alle zu lesen, weil es kommen noch immer mehr Nachrichten.»
Das Problem beschränkt sich nicht nur aufs Lesen. Denn in sozialen Medien gilt laut Forschungsbericht die Regel, dass Nachrichten schnell beantwortet werden müssen. Eine längere Wartezeit werde als unfreundlich empfunden. Die Jugendlichen fühlten sich dadurch unter Druck, dass sie auf Nachrichten sofort reagieren müssen.
Einige Jugendliche beschäftigt auch die Kürze und damit die Unverbindlichkeit von Nachrichten über soziale Medien. Kleinigkeiten, wie etwa das Weglassen von Emojis, können zu Missverständissen führen.
In vielen Kommentaren wird das Smartphone denn auch als bester Freund und zugleich Feind bezeichnet. Der 12-jährige Malik bringt es auf den Punkt:
«Das Handy ist für die Jugendlichen heute unwiderstehlich, es ist das Leben. Es ist best friend, aber auch gleichzeitig der grösste Feind. Ich finde, es ist was sehr Kompliziertes, also diese Handy-Nutzung.»
«Es zeigte sich deutlich, dass das Grandiose und die Herausforderungen der Smartphone-Nutzung eng miteinander verbunden sind», sagt Rahel Heeg, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut Kinder- und Jugendhilfe der Hochschule für Soziale Arbeit an der FHNW und Gesamtleiterin des partizipativen Forschungsprojekts.
Dennoch überwiegen für die meisten Jugendlichen die Vorteile. Und nur wenige scheinen Gefahr zu laufen, in eine krankhafte Abhängigkeit, so zumindest die Erkenntnisse aus dem Projekt. Sie nutzen das Handy in einer Selbstverständlichkeit zur Unterhaltung, für soziale Kontakte, aber auch zum Lernen in der Schule zum Lesen von Büchern. «Die allemeisten finden im wachsenden Alter einen Weg zur vernünftigen Nutzung des Smartphones», sagt Heeg.
In einem offenen Brief an die «Eltern von Teenagern mit Smartphone» bringen es die Jugendlichen auf den Punkt:
«Wir Jugendlichen haben es satt, immer in einen Topf geworfen zu werden. ‹Die heutige Jugend ist immer nur noch am Handy.› ‹Die verdummen ja total, wenn die nur noch vor dem Bildschirm sitzen.› Das ist total verallgemeinernd. Wir sind nicht alle ‹Smombies›, also ‹Smartphone-Zombies›. (Übrigens benutzt kein Jugendlicher dieses Wort.) […] Lassen Sie uns die Zeit, die wir brauchen. So wie jeder Jugendliche das Smartphone unterschiedlich braucht, so braucht jeder Jugendliche unterschiedlich lange, eine gesunde Beziehung zu seinem Smartphone zu entwickeln.»
Entsprechend plädiert der Forschungsbericht dafür, die Jugendlichen selber über ihre Smartphone-Nutzung nachdenken zu lassen. Dies, weil im Gegensatz zum Gamen oder Surfen am Computer ein sinnvoller Umgang mit dem Alltagsgerät Smartphone nicht an einfachen Regeln festgemacht werden könne.
«Eltern oder Fachpersonen, die mit den Jugendlichen über die Handynutzung reden und ansprechbar für Fragen sind, unterstützen diese nachhaltiger
als solche, die einfach strikte Regeln aufstellen oder das Handy verbieten», heisst es im Bericht. Aufgrund der Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit den Jugendlichen werden Wege zur Selbsterkenntnis als sinnvoller erachtet:
«Einen Monat lang ein Tagebuch zur eigenen Smartphone-Nutzung zu führen, regte viele Jugendliche zum Nachdenken an: Wann mache ich was wie lange und warum? Wann und warum ‹kippt› es, und ich finde das Weiterklicken nicht mehr entspannend, kann aber nicht aufhören? Dies fanden viele Jugendliche wertvoll.»