Das Spalentor: Früher «Checkpoint», heute nur noch eine Sehenswürdigkeit

Ein Bollwerk war es mal und eine Grenze zur wilden Aussenwelt: das Spalentor. Am «Checkpoint Spalen» kam früher keiner vorbei. Wer zu spät nach Hause kam, stand vor verschlossenen Toren und Flüchtlingen wurde damals noch von ganz oben geholfen.

In um und durch den Spalenturm führte Claudia Manser Stoll, hier mit einer historischen Karte Basels, in der die Stadtmauern eingezeichnet sind.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Ein Bollwerk war es mal und eine Grenze zur wilden Aussenwelt: das Spalentor. Am «Checkpoint Spalen» kam früher keiner vorbei. Wer zu spät nach Hause kam, stand vor verschlossenen Toren und Flüchtlingen wurde damals noch von ganz oben geholfen.

Wie immer am ersten Samstag nach den Sommerferien feierte Basel heute den Tag der Stadttore. Dabei hat man einmal jährlich Gelegenheit, sich durch die einstigen Befestigungsanlagen führen zu lassen. Und erfährt dabei so einiges über die Basler Geschichte.

Das Spalentor ist neben dem St. Alban-Tor und dem St. Johanns-Tor das schönste Basler Tor und eine der eindrücklichsten Sehenswürdigkeiten Basels. Entsprechend gross ist das Interesse. Wer am Tag der Stadttore die ganze Tour durch alle erhaltenen Basler Stadttore sowie Pulverturm und Letzimauer macht, muss früh anfangen. Mehr als 20 Personen warten schon, als Claudia Manser Stoll am Samstagvormittag die erste Führung am Spalentor eröffnet.

Ein prunkvoller Weg in die Stadt Basel

Eigentlich ist das Spalentor nicht in erster Linie ein Tor, sondern ein Turm. Besser gesagt ein Torturm, noch genauer ein Dreierturm, bestehend aus einem quadratischen Haupt- und zwei runden Nebentürmen.

Das begehbare, heute 40 Meter und vier Stockwerke hohe Spalentor war ehemals Teil der Stadtmauer. Es ist nicht nur ein imposantes Bauwerk, sondern auch ein Zeugnis der Basler Geschichte. Und die geht weit zurück. Eine nachweisbare Stadtbefestigung gab es schon im Jahr 1072. Nach dem grossen Erdbeben von 1356 wurde der Bau der späteren Stadtmauer und damit auch der Stadttore in Angriff genommen. 30 Jahre lang baute man an und um.

Prunkvoll verziert ragte das Spalentor damals hoch in die Luft. Davor befand sich ein Vortor und der Stadtgraben, bestückt mit Pfählen und sechs Meter tief (zum Vergleich: der Rhein ist etwa vier Meter tief) – mit Fallbrücke, wie im Märchen. Dazu kamen ein Fallgatter, dicke Eichentore und zwei Meter dicke Wände.

Am «Checkpoint Spalen» kam nicht jeder vorbei

Das war im 14. Jahrhundert. Städte funktionierten zu dieser Zeit etwa wie Staaten heute. Wer eine Stadt betreten wollte, musste sich identifizieren, Zölle und Gebühren bezahlen und beliebig lange bleiben durfte auch nicht jeder. Visumpflicht also, noch keine Spur von so etwas wie einem Schengen-Abkommen. Am «Checkpoint Spalen» kam nicht jeder vorbei.

Claudia Manser Stoll führt die Besucher um das Bauwerk. «Draussen war für die damaligen Einwohner Basels der wilde und ungeschützte Raum», sagt sie. Aber auch der Sundgau, «die Kornkammer Europas». Drinnen waren die reichen Basler Bürger, Märkte und Lagerhäuser, die es zu schützen galt.

Wer zu spät kam, stand vor verschlossener Tür

Auf den Handel war man angewiesen, aber nicht alle Bettler und Fremden wollte man in der Stadt haben – nachts schon gar nicht. Abends wurden die Stadttore geschlossen. Basler Bürger, die im Umland unterwegs waren, wurden mit einer Glocke gemahnt, sich rechtzeitig auf den Heimweg zu machen. Wer zu spät kam, stand vor verschlossenen Toren.

Heute ist es ein interessantes Detail für neugierige Kinder, früher war dieses Guckloch im Tor die einzige Möglichkeit, bei verschlossenen Toren doch noch in die Stadt zu gelangen.

Heute ist es ein interessantes Detail für neugierige Kinder, früher war dieses Guckloch im Tor die einzige Möglichkeit, bei verschlossenen Toren doch noch in die Stadt zu gelangen. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Aber ein Hintertürchen gab es ja schon immer. In den grossen Eichentoren ist eine kleine Tür eingelassen, versehen mit einem kleinen Guckloch. Was heute Kinder entzückt, war damals die letzte Möglichkeit, die Torwächter auf die eine oder andere Weise davon zu überzeugen, doch noch eingelassen zu werden.

Eher Abschreckung als echtes Bollwerk

Angst hatten die Bürger Basels vor allem vor den Burgundern, später vor den Franzosen und vor einem eher immateriellen Feind: der Pest. Wobei es sich beim Bollwerk Basel vor allem um eine Repräsentations- und Abschreckungsmassnahme handelte.

Selbst Zeitzeugen monierten, die Basler Stadtmauer sei technisch nicht auf dem höchsten Stand und könne einer Belagerung nicht standhalten, erzählt Manser Stoll. Den kalten Krieg gab es also schon damals. Wirklich belagert wurde Basel übrigens nur einmal, von Rudolf von Habsburg im Jahr 1273, was für die Stadt mit einer Niederlage endete.

Da passt es gut, dass die heilige Barbara, Schutzpatronin der Artillerie und als Figur am äusseren Tor angebracht, der Legende nach einst höchstpersönlich vom Sockel herunterstieg und einer Gruppe Flüchtlingen das verschlossene Stadttor öffnete. «Refugees welcome» wird die Heilige mit dem Turm im Arm dabei aber kaum gesagt haben. Eher irgendetwas Lateinisches.

Die über dem Spalentor angebrachte Madonna ist zwar nicht ganz hunderprozentig protestantisch, die Reformation hat sie trotzdem unbeschadet überlebt. Da dachten die Basler wohl entweder kunstsinnig oder pragmatisch.

Die über dem Spalentor angebrachte Madonna ist zwar nicht ganz hunderprozentig protestantisch, die Reformation hat sie trotzdem unbeschadet überlebt. Da dachten die Basler wohl entweder kunstsinnig oder pragmatisch. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Moment noch: Eine Heilige in einer protestantischen Stadt? Sicher doch. Die Basler wussten wohl schon damals die Künste zu schätzen und verhielten sich diesbezüglich pragmatisch. Neben der heiligen Barbara und anderen Schutzpatronen hat auch die Madonna auf der Mondsichel, die am Spalenturm selbst angebracht ist, die Reformation überlebt und wurde nicht (wie ihr Pendant im Rathaus) zur Justitia umdeklariert.

Seinen Namen hat der Spalenturm übrigens von der Bezeichnung «Spalen», was Holzscheite oder -pfähle bezeichnet. Mit denen wurden sowohl Stadtbefestigungen gebaut, sowie auch die damals oft feuchten und matschigen Wege und Strassen ausgelegt. Das muss im Bereich der späteren Spalenvorstadt öfter mal nötig gewesen sein.

Zimmer mit Aussicht, ohne WC

Bewohnt wurde das vierstöckige Gebäude sehr lange. Nicht nur vom Torwächter, sondern von Anwohnern Basels, bei denen die Turmstube mit der umfassenden Aussicht über Basel und das damalige Umland sehr beliebt war.

Gemütliche Stube in luftiger Höhe: in diesem Zimmer, in dem heute die Vorstadtgesellschaft zur Krähe residiert, wohnten früher vier Personen.

Gemütliche Stube in luftiger Höhe: in diesem Zimmer wohnten früher vier Personen. (Bild: Alexander Preobrajenski)

Mit der Hygiene nahm man es dazumal nicht so genau. Wo heute die Vorstadtgesellschaft zur Krähe residiert, lebten früher vier Personen. Mit einem Nachteil: Einen Abtritt gab es nicht, höchstens einen Notbehelf in der Turmmauer. Das Freiluft-WC im obersten Stock mündete ein Stück von der Mauer entfernt im Freien.

Trotz wunderbarer Aussicht in luftiger Höhe fehlte den Bewohnern des Turmzimmers im Spalenturm das WC. In diese luftige Behelfsmöglichkeit, die auf der Turmmauer mündet, erleichtern sich heute nur noch Tauben.

Trotz wunderbarer Aussicht in luftiger Höhe fehlte den Bewohnern des Turmzimmers im Spalenturm das WC. In diese luftige Behelfsmöglichkeit, die auf der Turmmauer mündet, erleichtern sich heute nur noch Tauben. (Bild: Daniela Gschweng)

Wer drunten vorbeilief, musste bei ungünstigem Wind wohl den Kopf einziehen. Das war keinesfalls aussergewöhnlich – Müll wie Nachttopf wurden normalerweise einfach auf der Strasse entsorgt, was an manchen Tagen fürchterlich gestunken haben muss.

Ein Teil dieser Tradition hat sich bis in die Gegenwart fortgesetzt, konnte aber in den letzten Jahren etwas eingedämmt werden. Den üblen Ruf (oder besser Geruch) durch dauernde Wildpinklerei hat das Spalentor inzwischen hinter sich gelassen. Die Gerüchte um ein wildes Tier, das nächtens durch die Strassen schlich und öfter übelriechend pinkelte, nahm die Stadtreinigung wohl nicht allzu ernst.

Dank spezieller Farbe, öffentlicher WC-Anlagen in der Nähe und baulicher Massnahmen hat es unter dem ehemaligen Stadttor inzwischen nur noch frische Luft. «Gerüchte, dass man einen Stromschlag bekommt, wenn man hier an die Wand pinkelt, sind allerdings Legenden», sagt der für den Tag der Stadttore als Turmwächter eingeteilte Mike Stoll schmunzelnd.

Stoll steht mit zwei Zählern in den Händen am Eingang des Turms und passt auf, dass sich nicht mehr als 50 Personen gleichzeitig darin befinden. Also doch noch Kontrolle? Ja, aber inzwischen nur noch aus baulichen Gründen.

Heute hat sich um das einstige Bollwerk alles eingeebnet, am einstigen Nadelöhr vorbeilaufen kann man auch. Die Basler Stadtmauer wurde im 19. Jahrhundert abgebaut.

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Mehr Bilder vom Spalenturm finden Sie in unserer Bildstrecke zum Artikel.

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