Das tragische Ende einer illegalen Party

In der Nacht auf den 1. Mai feierten bis zu 3000 Personen auf dem Areal des alten Kinderspitals. Ein Organisator erzählt, wie er die Besetzung erlebte.

Besetzung Kinderspietal (Bild: Unbekannt)

In der Nacht auf den 1. Mai feierten bis zu 3000 Personen auf dem Areal des alten Kinderspitals. Ein Organisator erzählt, wie er die Besetzung erlebte.

Irgendwann geriet die Situation aus­ser Kontrolle. Dabei hatte die Besetzung des alten Kinderspitals am Schaffhauserrheinweg so friedlich begonnen. Vielversprechend irgendwie auch. Mit der Aktion wollte das Netzwerk «DeRIVAt», das sich für diesen Anlass gebildet hatte, sich für «Kunst und Kultur im Zwischenraum» einsetzen, das Kinderspital-Areal für die Stadt öffnen und eine Diskussion über Stadtentwicklung lancieren. Doch es kam alles anders. Ganz anders.

Die Besetzung war gut organisiert, gut durchdacht. Zwei Wochen lang bereitete man sich auf diesen grossen Tag vor. Wer genau die Idee hatte, weiss Christian nicht. Er war einer von vielen Organisatoren und möchte nur mit dem Vornamen erwähnt werden. «Die geplante Besetzung wurde sehr breit gestreut. Viele konnten nicht nachvollziehen, weshalb der Kanton das riesige Gebäude nicht für Zwischennutzungen zur Verfügung stellt», sagt der junge Künstler. Zwei Treffen fanden vor der Aktion statt, das erste mit rund 30 Personen in einer Wohnung, das zweite mit etwa 60 Personen in einem Café. In Arbeitsgruppen wurde fast alles bis ins letzte Detail geplant.

Bis 22 Uhr war alles in Ordnung

Es war Samstagnachmittag, der 30. April 2011, als sich rund 200 Personen im Solitude-Park trafen und sich gemeinsam auf den Weg zum Areal machten. «Als wir beim Kinderspital ankamen, waren bereits Polizisten vor Ort», erzählt Christian. Doch davon wollten sich die Aktivisten nicht einschüchtern lassen. Kurz nach 14 Uhr rissen sie eine Plastiksperrung nieder und stürmten aufs Areal. Die Besetzung konnte beginnen.

«Wir haben alles verbarrikadiert, weil immer mehr Polizisten eintrafen.» Erst als den Besetzern ein Bleiberecht bis Sonntag gewährt wurde, löste man die Barrikaden. Dann habe man begonnen, die Leute zu mobilisieren und die Nachbarn über die Zwischennutzung zu informieren, sagt Christian. «Wir haben das ganze Kinderspital umgestaltet. Wir wollten die Sicherheit in diesem grossen Haus so gut wie möglich gewährleisten.» Einige Räume wurden komplett zugemacht – so auch das Zimmer mit Medizingeräten, die das Kinderspital in Schwellenländer schicken wollte. Langsam begann sich das Areal zu füllen. Und irgendwann wurde der Strom abgestellt. Aber auch darauf waren die Aktivisten vorbereitet.

«Die Stimmung war grossartig. Bis 22 Uhr war alles gut. Dann wurde es mühsam und unübersichtlich.» Immer mehr Leute strömten aufs Areal – sie alle schienen die Party des Jahres auf keinen Fall verpassen zu wollen. Man sei überrannt worden, sagt Christian. Die Besetzung lief aus dem Ruder. Es wurden Fenster eingeschlagen, es wurde herumgesprayt. Der Raum mit den Medizingeräten musste immer wieder neu verbarrikadiert werden, da die Partygäste die Absperrungen wegrissen. «Etwa um Mitternacht hiess es plötzlich, dass die Musik abgestellt werden müsse. Es habe einen Unfall gegeben. Als ich raus ging, sah ich tatsächlich einen Mann bewusstlos am Boden liegen.» Ein 18-Jähriger stürzte von der Terrasse des zweiten Stocks und zog sich schwerste Verletzungen zu. Gleichzeitig wurden im Innenhof des Spitals Mulden in Brand gesetzt.

«Für uns war klar, dass wir das Ganze beenden und alle wegschicken müssen. Wir konnten die Situation nicht mehr kontrollieren.» Mit einem Megafon wurde den 3000 Leuten das Ende der illegalen Party bekannt gegeben. So schnell, wie sich das Areal füllte, so schnell leerte es sich auch wieder.

Künftig nicht mehr so viele Leute mobilisieren

Christian ist «sehr betroffen», dass es an einem Anlass, den er mitorganisiert hatte, einen Schwerverletzten gab. Er bereut es aber nicht, involviert gewesen zu sein. «Ich würde es nochmals machen. Es wäre alles gut gegangen, nur leider fehlte die Selbstbeherrschung einiger Leute.» Für ihn ist klar, dass bei künftigen Besetzungen nicht mehr so viele Leute mobilisiert werden dürfen. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Schaden von 150 000 Franken aus. Dem widerspricht Christian: «Es stellte sich heraus, dass die Medizingeräte doch noch brauchbar waren. Man musste den Schaden auf 20 000 Franken herunterkorrigieren. Und wie sich dieser Betrag zusammensetzt, konnte mir noch niemand erklären. Das ist reine Propaganda.»

Über den Zustand des 18-Jährigen, der vom Balkon stürzte und sich dabei schwer verletzte, kursierten unmittelbar nach der Besetzung viele Gerüchte in der Stadt. Hartnäckig hielt sich das Gerücht, ­wonach der junge Mann tot sei. Die Basler Staatsanwaltschaft weiss nicht, wie es dem Verunfallten geht. Laut Sprecher Peter Gill wurde das Verfahren eingestellt. Man gehe ­davon aus, dass er ohne Fremdeinwirkung von der Terrasse gefallen sei. Wie verschiedene Personen aus der Kinderspital-Besetzerszene der ­TagesWoche sagten, sei der junge Mann nun querschnittgelähmt und befinde sich in der Rehaklinik.

 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30/12/11

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