Das Vorbild von damals ist träge geworden

Basel spielte bei der Etablierung der liberalen Schweizer Drogenpolitik einst eine Pionierrolle. Heute ist davon nicht mehr viel übrig.

Die ersten Basler Gassenzimmer wurden auf private Initiative eingerichtet: das vom Verein Virus betriebene Fixerstübli am Lindenberg (Dezember 1990). (Bild: Keystone)

Basel spielte bei der Etablierung der liberalen Schweizer Drogenpolitik einst eine Pionierrolle. Heute ist davon nicht mehr viel übrig.

So stark das Interesse der internationalen Medien an der offenen Drogenszene auf dem Platzspitz war, so gross war die Beachtung für die neue Politik, mit der die Schweiz sich aus dem Sumpf des Drogenelends befreite: Statt die vertriebenen Junkys wegzusperren oder einfach ihrem Schicksal zu überlassen, erklärte man die Schadensminderung zu einer der vier Säulen, auf denen die Schweizer Drogenpolitik bis heute fusst.

Bedenken wegen Fixerstübli

Gerne geht vergessen, dass es private Initiativen waren, die für die ersten Gassenzimmer und Tagesstrukturen sorgten. Die ersten Fixerräume gab es in den Autonomonen Jugendzentren in den 1980er-Jahren. Später betrieb in Basel der Verein Virus das ­Fixerstübli am Lindenberg – gegen den Widerstand der Behörden. Noch im Dezember 1991, unmittelbar vor der Räumung des Platzspitzes in Zürich, verfügte die Basler Regierung die Schliessung des Fixerstüblis – weil, so der damalige Polizeidirektor Karl Schnyder in einem Schreiben an die Betreiber, «in Anbetracht der Störungen und Gefahren, welche vom Betrieb des Fixerstübli ausgehen, das gedeih­liche menschliche Zusammenleben unmittelbar und schwer beeinträchtigt» werde.

Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repres­sion

Trotzdem war Basel die erste Stadt der Schweiz, die eine kohärente Drogenpolitik einführte. Verkörpert wurde sie durch Schnyders Nachfolger Jörg Schild, den heutigen Präsidenten von Swiss Olympic. Massgeblich mitgestaltet wurde sie von Thomas Kessler, der 1991 zum ersten Basler Drogendelegierten ernannt wurde. Zwischen 1991 und 1993 wurde das Vier-Säulen-­Modell aus Prävention, Therapie, Überlebenshilfe und Repres­sion im Stadtkanton mit einer zentral koordinierten Politik umgesetzt. Drei Gassenzimmer wurden eingerichtet und die offenen Szenen wurden aufgelöst.

Die neue Drogenpolitik wurde von einer Mehrheit der Basler Bevölkerung getragen, wie sich 1994 zeigte: 66 Prozent der Stimmberechtigten sagten Ja zu einem Kredit von 1,24 Millionen Franken für ein Pilotprojekt zur Heroinverschreibung. Schild, der sich als Leiter des baselstädtischen Betäubungsmitteldezernats und dann als Chef der Bundespolizei den Ruf eines «scharfen Hundes» erworben hatte, entwickelte sich als Polizeidirektor zum Pragmatiker. 1994 wurde er vom Bundesrat mit dem Vorsitz der Kommission zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes («Kommission Schild») betraut.

EKDF schlägt Entkriminalisierung vor

Thomas Kessler, von Haus aus Agronom, hatte lange vor seiner Zeit als Chefbeamter ein Konzept für die Selbstversorgung der Schweiz mit Hanf erstellt. Diese würde Erwachsenen den Anbau zur Selbstversorgung erlauben und den Mehrbedarf durch streng kontrollierte inländische Produktion durch Bergbauern decken. So liesse sich die Qualität der verkauften Ware kontrollieren, der Wirkstoffgehalt deklarieren – und statt Kosten für die Repression entstünden dem Staat sogar Einnahmen. Voraussetzung dafür wäre natürlich die Legalisierung des Konsums. «Ich würde bis heute kein Komma ändern an diesem Konzept», sagt Kessler. Und: «Den Anbau des für die Heroinabgabe benötigten Mohns würde ich genauso regeln.»

Kesslers Wirken als Drogendelegierter war von den gleichen Überzeugungen geprägt, die er heute noch in die Eidgenössische Kommission für Drogenfragen (EKDF) einbringt. Die EKDF schlug schon in ihrem Cannabis-Bericht 1999 eine Entkriminalisierung des Konsums und einen regulierten legalen Zugang zu Cannabis vor. So könnte nicht nur die Glaubwürdigkeit der Drogenpolitik erhöht, sondern auch wirksamer Jugendschutz betrieben werden. Der Bericht wurde von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen, wofür Kessler politische Gründe verantwortlich macht.

Liberalisierung bleibt das Ziel

Im 2008 erschienenen Update hielt die EKDF an ihren ursprünglichen Aus­sagen fest. Die Politik aber war längst vom Legalisierungszug abgesprungen. «Statt den Rahmen abzustecken und die zu regelnden Details der Verordnung zu überlassen, ergab man sich darin, die Konsumbestrafung bis ins letzte Detail regeln zu wollen», resümiert Kessler. Für ihn «ein Beleg dafür, dass die Kohärenz erst teilweise in der Realpolitik angekommen ist und immer wieder Rückschlägen ausgesetzt ist».

Heute ist von der Vorreiterrolle Basels nicht mehr viel zu spüren. Das Drogenproblem wird verwaltet, ein Drug-Checking-Angebot wie in Zürich fehlt völlig. Auf internationaler Ebene haben andere Länder der Schweiz den Rang abgelaufen. Portugal etwa verzichtet seit Jahren auf die strafrechtliche Verfolgung von Konsum und Besitz kleiner Mengen auch harter Drogen.
An der Liberalisierung, so Kesslers Überzeugung, führt aber auch bei uns kein Weg vorbei: «Nur so lassen sich die Produktion und die Märkte unter Kontrolle bringen.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.07.12

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