Das Zen des Malens

Der Künstler Mark Tobey interessierte sich für die fernöstliche Kalligrafie und Philosophie – Einflüsse, die auch seine Arbeit prägten.

Künstler und Kunstwerk werden eins: Der amerikanische Maler Mark Tobey bei der Arbeit in seinem Basler Atelier.

Der Künstler Mark Tobey interessierte sich für die fernöstliche Kalligrafie und Philosophie – Einflüsse, die auch seine Arbeit prägten.

Da ist unzweifelhaft ein Maler an der ­Arbeit. Ob es ihm recht ist, dass ihm jemand zuschaut? Man soll sich doch für das ­Ergebnis des Malens interessieren und nicht für das Tun mit dem Pinsel. Anderseits hat der Fotograf ein Interesse daran, mit seiner Kamera Bilder einzufangen. Daraus resul­tie­ren dann die sattsam bekannten Künstlerporträts, die meistens mehr Pose als Innenwelt zeigen.

Hier ist das anders, sicher keine Pose und kein fingiertes Malen. Mark Tobey, den wir auf der Fotografie sehen, arbeitet ­konzentriert an seinem Bild. Der Künstler und das entstehende Kunstwerk sind gleichwertig im Bild vertreten. Man gewinnt die Einsicht, dass beide gleichermas­sen ihren Teil zum ­Entstehen beitragen – nicht nur der agierende Mensch, sondern auch das Tableau, das den Menschen reagieren lässt.

Auffällig ist, wie der Maler den Pinsel locker an seinem Ende hält. Dieser ist nicht nur Werkzeug, er ist auch visuelles Verbindungsstück zwischen Künstler und Kunstwerk.

Es ist eine treffende Assoziation, wenn uns die asiatische Pinselkultur in den Sinn kommt. Die Malerei des Amerikaners Tobey ist von der fernöstlichen Kalligrafie beeinflusst. In den 1920er-Jahren machte ihn der Künstler Teng Kwei mit den Techniken der chine­sischen Malerei bekannt, Tobey machte auch aus­gedehnte Reisen in den Vorderen Orient. In den 1930er-Jahren zog es ihn nach China und ­Japan, wo er sich längere Zeit in einem Zen-Kloster aufhielt.

Mark Tobey ging es nicht nur um Technik, sondern auch um Spiritualität.

Natürlich ging es Mark Tobey nicht nur um ­technische Fertigkeiten, sondern auch um den ­spirituellen Hintergrund. Bereits 1918 hatte der zunächst vielleicht anglikanisch, jedenfalls westlich kulturalisierte Amerikaner die Bahai-Religion angenommen, die sich einer huma­nitären Vision der gesellschaftlichen Entwicklung und des sozialen Zusammenhalts verpflichtet fühlt.

In Europa feierte Mark Tobey ­gros­se Er­folge, 1958 auf der Biennale von ­Venedig und 1959 und 1964 auf der Documenta II und ­Documenta III in Kassel. Seit 1960 lebte er in Basel. ­Jakob und Vera Oeri gaben ihm eine Unterkunft an der St. Alban-Vorstadt. 1961 hatte er seine erste Einzelaus­stellung in der Galerie Beyeler, die auch zahlreiche seiner Werke ­erwarb.

Der Fotograf Kurt Wyss konnte ihn in ­seinem Atelier mehrmals besuchen. Aufgrund dieses Vertrauensverhältnisses entstand dieses Bild im November 1970, kurz vor Tobeys 80. Geburtstag. Sechs Jahre später, 1976, starb der Künstler in Basel.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.04.13

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