Der Baselbieter «Mister Kultur» tritt ab

Ende Jahr geht der Baselbieter Kulturbeauftragte Niggi Ullrich in Pension. Mit ihm geht ein Stratege, der in schwierigem Umfeld viel bewegte.

«Und dann freue ich mich auf Neues und Anderes.» Niggi Ullrich, scheidender Kulturbeauftragter BL.

(Bild: Stefan Bohrer)

Ende Jahr geht der Baselbieter Kulturbeauftragte Niggi Ullrich in Pension. Mit ihm geht ein Stratege, der in schwierigem Umfeld viel bewegte.

Die Nachricht kam überraschend. Nicht die Tatsache, dass die Amtszeit von Niggi Ullrich langsam zu Ende geht, sondern dass der langjährige Leiter der Abteilung kulturelles.bl bereits Ende Jahr seinen Hut an den Nagel hängen wird. Im Alter von 62 Jahren und nach 26 Jahren im Dienst der Baselbieter und regionalen Kulturpolitik.

Auf den zweiten Blick relativiert sich der Überraschungseffekt, zeigten sich doch bei Ullrich in jüngerer Vergangenheit Anzeichen einer gewissen Amtsmüdigkeit. Nicht dass er sein Amt vernachlässigt hätte, aber mit seinem Ausflug als Gastregisseur ans Nationaltheater Weimar (2008), seinem Engagement als Präsident der SRG Region Basel und als Impresario des Römertheaters in Augusta Raurica (seit 2007) häuften sich Einsätze, die mit seiner Kernaufgabe als Kulturbeauftragter nur am Rande zu tun hatten.

Das fällt auf bei einem Menschen, der sich ansonsten durch ein ausgesprochen grosses Engagement für die Prosperität der Kulturregion Basel und eine starke Präsenz in der Szene hervorgetan hat.

«An der Motivation genagt»

Nach den Gründen seines Rücktritts befragt, gibt sich Ullrich zunächst zurückhaltend. «Den einen spezifischen Grund gibt es nicht», sagt er. Die Baselbieter Honoraraffäre, in die er schuldlos involviert war, habe Fragen und Selbstzweifel geweckt, ob es nicht Zeit sei, das Engagement in Liestal in Würde zu beenden, sagt er.

Weiter hätten Kommentare zur Legitimation eines Kulturbeauftragten, wiederholte Verunglimpfungen, die Kulturförderpraxis sei selbstherrlich, und die beiden verunglückten Theatervorlagen die Einsicht wachsen lassen, «dass sich der ideelle und politische Spielraum spürbar verengt hat». Dies trotz guten Kritiken für die kontinuierliche Präsenz auf ganz verschiedenen kulturpolitischen Plattformen und in diversen Netzwerken weit über die Region hinaus, die es auch gegeben habe.

«Ich fühle mich erleichtert, wenn auch noch nicht entlastet.»

«Ich fühle mich erleichtert, wenn auch noch nicht entlastet», beschreibt er nun seine Befindlichkeit nach der Bekanntgabe seines Rücktritts. «Ich wollte es selber in der Hand behalten, wann ich gehe. Bis zum 31. Dezember bleibe ich aber motiviert und engagiert.» Bitterkeit komme keine auf, eher schon Wehmut. «Und dann freue ich mich auf Neues und Anderes.»

Auf die Frage, ob vielleicht auch Unstimmigkeiten mit seinem Chef Urs Wüthrich, dem Vorsteher der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion, eine Rolle gespielt haben könnten, antwortet Ullrich diplomatisch: «Sachliche Differenzen und kontroverse Diskussionen gehörten und gehören zum Geschäft. Wir haben uns immer wieder gefunden und einiges zustande gebracht.»

Konkret spricht er unter anderem die Lancierung der Bespielung des renovierten Römischen Theaters in Augusta Raurica (2007) oder das Leitbild kultur.bl (2013) an. «Bad Feelings bleiben keine.» Es ist aber kein Geheimnis, dass sich Wüthrich mehr und mehr im Strudel der heftigen Diskussionen um seine Bildungspolitik gefangen sah und die Kulturpolitik somit nicht die erste Priorität besass.

Dreamteam Ullrich/Schmid

Wichtige Akzente von Ullrichs kulturpolitischem Wirken haben ihren Ursprung während der Amtszeit von Wüthrichs Vorgänger Peter Schmid, der von 1998 bis 2003 für das Kulturressort verantwortlich war. Aus diesen Jahren stammen auch die grossen Würfe der Baselbieter Kulturpolitik, die Ullrich mehr und mehr ausweitete.

Zu den grossen Meilensteinen gehört sicher der Abschluss des Kulturvertrages zwischen den beiden Basel im Jahr 1997. Mit dem «Vertrag  zwischen den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt über die partnerschaftliche Finanzierung von im Kanton Basel-Stadt domizilierten Kulturinstitutionen mit regionalem Angebot», wie das Abkommen in vollem Wortlaut etwas kompliziert heisst, verdoppelten sich die Baselbieter Beiträge an kulturelle Zentrumsleistungen in der Stadt.

Schmid und Ullrich hatten den Vertrag mit viel strategischem Geschick durch die Instanzen gebracht. Sicher spielte aber auch eine Rolle, dass sich die finanzielle Lage im Landkanton damals noch rosiger präsentierte und sich bürgerliche Politiker weniger schwer damit taten, eine liberalere Seite zu präsentieren.

Das führte zu dem aus heutiger Sicht erstaunlichen Ergebnis, dass das Baselbieter Stimmvolk dem Kulturvertrag mit einer Mehrheit von fast 60 Prozent zustimmte, nachdem selbst die SVP die Ja-Parole beschlossen hatte.

Meilensteine auch im Kanton selber

Als weitere Meilensteine nennt Ullrich den Auftritt beider Basel an der Expo 02, den er als Delegierter mitorganisiert hat, und den Europäischen Musikmonat 2001, aus dem schliesslich das ungewöhnliche und nachhaltige Projekt erwuchs, dass der Kanton Baselland mit dem Gare du Nord eine neue Institution auf städtischem Boden installierte.

Ullrich war überdies massgeblich daran beteiligt, dass ein Grossteil der Projektförderung in beiden Basel auf eine partnerschaftliche Basis gebracht wurde.

Ullrich legt aber viel Wert darauf, seinen Einsatz nicht nur auf die partnerschaftliche Kulturförderung zu beschränken. «Ich muss mich immer wieder gegen die Unterstellung wehren, dass alles Geld nach Basel fliesst; gut zwei Drittel der ungebundenen Kulturfördergelder aus der Kantonskasse und dem Swisslos-Fonds bleiben im Kanton», sagt er.

In seine Amtzeit fielen unter anderem die Gründung und Etablierung des Theaters Roxy, des Kunsthauses Baselland und des interkommunalen Kulturzentrums in Laufen sowie die Gründung der pionierhaften elektronischen Bilder- und Videosammlung dotmov.bl.

Grosse Nähe zu den Kulturschaffenden

Natürlich hatte Ullrich auch Niederlagen zu verkraften, etwa die gescheiterte «Übernahme» von Basel Sinfonietta (2006) oder die missglückten Versuche, den Subventionsanteil an das Theater Basel zu erhöhen. Auch sein Bestreben, die Gemeinden bei der Kulturförderung stärker in die Pflicht zu nehmen, blieb erfolglos.

Man wird den Leistungen von Niggi Ullrich aber nicht gerecht, wenn man sie auf die finanziellen Aspekte beschränkt. Denn der Kulturbeauftragte war alles andere als ein Verwalter, sondern ein Macher, der mit seiner teils forschen Herangehensweise zwar ab und zu auch Geschirr zerschlug, der aber stets die Nähe zu den Kulturschaffenden und -institutionen suchte und seine politischen Impulse auf die Bedürfnisse der Betroffenen hin ausrichtete.

Kulturschaffende betonen denn auch vor allem diesen Aspekt seiner Arbeit. «Niggi Ullrich ist ein Mensch, der die Kultur von A bis Z konsequent unterstützt, das schätze ich sehr an seiner Person», sagt Carena Schlewitt, die künstlerische Leiterin der Kaserne Basel. «Ich habe ihn als wertvollen Partner erlebt, der die Kaserne und das Theaterfestival Basel gut begleitet hat.»

Keine Scheu vor Auseinandersetzungen

Ruth Widmer, die Leiterin der Theaterfalle Basel, bezeichnet ihn als eine Art Talentscout, «der die richtige Nase für Fährten und Spuren hat, diese unnachgiebig verfolgt und – das ist alles andere als selbstverständlich – wirksam zum Ziel führt». Widmer hebt überdies seine «hohe Kunst der Streitkultur» hervor, «seine Fähigkeit, Auseinandersetzungen auszutragen statt sich davor zu drücken».

«Das konnte zuweilen ziemlich anstrengend sein», erinnert sich der ehemalige Leiter des Theaters Roxy, Christoph Meury, der allerdings selber nicht gerade den Ruf eines zurückhaltenden Diplomaten hat. «Wir haben zusammen auch viel über das Sein oder Nicht-Sein von Projekten gestritten, Verwaltung versus Macher, man musste öfters eine dicke Haut und einen langen Atem haben», sagt er.

Doch auch Meury erteilt Ullrichs Arbeit gute Noten. «Vieles im kulturellen Leben des Baselbiets wäre ohne ihn nicht möglich gewesen, das meiste hat er in seiner Funktion als Kulturbeauftragter des Kantons Baselland souverän mitgetragen oder geholfen anzustossen», sagt er. Und kommt zum Schluss: «Mit seinem Weggang wird eine prosperierende kulturelle Ära im Baselbiet zu Ende gehen.»

Für diese Befürchtung gibt es durchaus Gründe. Der Kanton Baselland muss zum einen sparen. Nicht erst seit dem wuchtigen Nein zur Prüfung einer Fusion der beiden Basel ist der Einfluss von reaktionäre Kräften in der Baselbieter Politik merklich angewachsen.

Und wer weiss, ob der Vorsitz der Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion auch nach den nächsten Wahlen im Februar 2015 von einer Person besetzt sein wird, die die Kulturpolitik zur Chefsache erklären wird.

 

 

 

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