Der Dieselgipfel und die scheppernden Lawinen danach

An den deutschen Autokonzernen hängen unzählige Jobs. In der Politik geniessen sie daher offensichtlich einen Sonderstatus, auch wenn sie mit Grenzwerten für Abgase tricksen. Verschiedene Medien und Umwelt-Organisationen üben denn auch harsche Kritik an den gefassten Beschlüssen.

Fast alle deutschen Autohersteller sind in den Dieselgate verwickelt. Am sogenannten Dieselgipfel in Berlin hätten die Wogen geglättet werden sollen. (Bild: REUTERS/Hannibal Hanschke)

Was am Gipfel geschah

Beim sogenannten Dieselgipfel in Berlin haben Hersteller der deutschen Autoindustrie und Vertreter der Politik am Mittwoch beschlossen, dass mehr als fünf Millionen Dieselautos mit einer neuen Software ausgestattet werden sollen. Dadurch könne der Schadstoffausstoss der Autos um bis zu rund einem Drittel reduziert werden.

Das Update soll für die Fahrzeughalter freiwillig sein und kostenlos. Ihnen wurde versprochen, dass weder Leistung noch Lebensdauer der Motoren beeinträchtigt würden. Halter von älteren Dieselmodellen werden von den Herstellern mit Rabatten animiert, schadstoffärmere Neumodelle zu kaufen.

Ziel der Beschlüsse: Ein Fahrverbot für Dieselautos, das seit dem Bekanntwerden des Dieselskandals droht, soll verhindert werden.

Zusätzlich beschlossene Massnahmen: Deutschland will mehr Geld in den öffentlichen Nahverkehr stecken und zusammen mit den Autoherstellern in einen Fonds für Mobilität in den Städten einzahlen.

Reaktionen auf die Gipfel-Ergebnisse

Die Ergebnisse des Dieselgipfels geben den deutschen Medien reichlich Futter, um über den Zustand der Autoindustrie im Lande nachzudenken. Und zu wettern. Eine Auswahl:

«Der Spiegel» stellt in einem Kommentar trocken fest, dass die Beschlüsse weitaus weniger taugen als Vorschläge, die neulich in der PS-Postille «Auto Bild» zu lesen waren. Diesel ginge sehr wohl sauber, aber die Kosten für wirksame Lösungen würden gescheut. Die Politik habe als Kontrollorgan der Industrie vollends versagt, Halter der betroffenen Fahrzeuge hätten null Anreiz für ein Update und überhaupt würde die «Kernschmelze einer kompletten Industrie» riskiert, weil die Probleme nicht konsequent angegangen würden.

Die «taz» beschreibt, wie sich die Politik der Automobilindustrie und ihren Zigtausenden Arbeitsplätzen so weit unterworfen hat, dass sich sogar Kanzlerin Angela Merkel persönlich als Fürsprecherin einschaltete. «Im Juni 2013 griff sie zum Telefon, um einen Kompromiss für strengere Kohlendioxidvorgaben zu stoppen, den alle EU-Mitgliedstaaten bereits unterschrieben hatten. Der Vorsitzende des Umweltausschusses im EU-Parlament sagte danach fassungslos: ‹Das ist das Dreisteste, was ich in acht Jahren Brüssel erlebt habe.›»

Reaktionen von Herstellern, Politikern und Organisationen wie ADAC oder Greenpeace trägt der «Tagesspiegel» zusammen. Grundton: Die Ergebnisse des Gipfels seien als «erste Schritte» zu begrüssen. Die Organisationen finden allerdings, die Politik sei vor der Industrie eingeknickt. Die Verantwortlichen müssten noch mehr in die Pflicht genommen werden, denn immerhin gehe es darum, Millionen von Menschen vor Dieselabgasen zu schützen.

Der Blog «Spreeblick» fragt sich erstens, ob die Politik den Verbraucher eigentlich für dumm hält, weil sie ihn mit ihren «Ablenkungsmanövern» und Beschwichtigungen «für völlig bekloppt erklärt». Zweitens, warum nach wie vor kein deutscher Hersteller eine bessere und emotionalere Karre als Tesla auf den Markt bringt. Und drittens, was die «noch gesundheitsschädlichere Industrie als die der Automobilhersteller: die Tabakbranche» besser macht.

Und schliesslich, weil in jüngster Zeit alle Welt beim Autokauf lieber auf Diesel verzichtet, geht die «Süddeutsche Zeitung» der Frage nach, wie umweltverträglich denn die Alternativen sind.

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