Der grosse Reibach mit der Not

Schweizer Wirtschaftsflüchtlinge brachten Basler Geschäftsleuten viel Geld.

Reisevertrag der Basler Auswanderungsagentur Zwilchenbart. In den 1850er-Jahren erfolgte die Passage nach Übersee auf Dreimastern. (Bild: Schweizerisches Wirtschaftsarchiv/Martin Stohler)

Basler Geschäftsleute machten in der Mitte des 19. Jahrhunderts Riesengeschäfte mit Schweizer Wirtschaftsflüchtlingen.

Die Schweiz war lange Zeit ein Auswanderungsland. Wirtschaftliche Krisen und die Bürgerkriegswirren vor der Gründung des schweizerischen Nationalstaats zwangen viele Menschen, ihr Glück in der Fremde zu suchen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand mit einer Reihe von Auswande­rungsagenturen ein eigentlicher Wirtschaftszweig.

Von 1846 bis 1932 wanderten aus der Schweiz rund 332 000 Menschen aus. Im selben Zeitraum emigrierten aus Italien 10 Millionen Menschen, aus Deutschland 4,8 Millionen und aus Frankreich 519 000. Haupteinwanderungsland mit insgesamt 32,2 Millionen Immigranten in den Jahren 1821 bis 1932 waren die USA.

Jahrhundertelang befuhr man die Weltmeere mit Segelschiffen. Dies änderte sich mit dem Siegeszug der Dampfmaschine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der auch das Transportwesen tiefgreifend veränderte. Eisenbahn und Dampfer ersetzten nun zunehmend Pferdewagen und Segelschiffe. Mit den neuen Verkehrsmitteln reiste man rascher und verlässlicher. Nach 1900 erfolgte praktisch der gesamte Transport von Menschen und Gütern auf dem Meer mit Dampfschiffen.

Ein neuer Wirtschaftszweig

Die Emigration nach Übersee stellte die Auswanderer vor grosse organisatorische Probleme. Meist verfügten sie weder über das nötige Wissen noch über entsprechende Kontakte, um die Reise auf eigene Faust zu planen. Die Häfen für die Fahrt nach Übersee – Bremen etwa oder Le Havre – lagen im Ausland: Nur schon die Reise mit Sack und Pack dorthin war eine ­Herausforderung.

Dies eröffnete ein Betätigungsfeld für einen neuen Wirtschaftszweig: die Auswanderungsagenturen. In Basel waren dies unter anderem die 1843 von Andreas Zwilchenbart gegrün­dete Schweizerische AG für Auswanderung und die 1848 entstandene Schweizerische Auswanderungs-­Anstalt Beck & Herzog. 1882 gab es in der Schweiz neun derartige Agenturen – davon alleine sechs mit Sitz in Basel.

Die Auswanderungsagenturen verkauften ihren Kunden nicht nur die Schiffskarten für die Überfahrt in die Neue Welt, sie organisierten ebenfalls die Reise zum Einschiffungshafen und sorgten für Verpflegung und Unterkunft.

Die Agentur von Andreas Zwilchenbart (1786–1866) beispielsweise hatte ein Büro in New York und besass nahe dem Landeplatz Castle Garden das Hotel Grütli. Für den Transport zum Einschiffungshafen setzte Zwilchenbart direkte Sonderzüge ein, ­deren Fahrplan auf denjenigen der Schiffe abgestimmt war.

Keine gesetzlichen Regelungen

Die Tätigkeit der Agenturen war anfänglich – wenn überhaupt – durch kantonale Bestimmungen geregelt. Beim Bund sah man angesichts zum Teil fragwürdiger Praktiken bald einmal Handlungsbedarf.
Dennoch wurde erst 1880 ein Bundesgesetz betreffend den Geschäftsbetrieb von Auswanderungsagenturen erlassen. Dieses legte die Anforderungen an die Agenturen fest und enthielt diverse konkrete Bestimmungen zum Schutz der Auswanderer. So legte etwa Artikel 13 Paragraf 1 fest: «Die Beförderung auf Eisenbahnen hat in gut geschlossenen Waggons zu geschehen, worin nur so viele Personen untergebracht werden dürfen, als Sitzplätze vorhanden sind.»

Oder punkto Transport zur See sah das Gesetz vor: «Die Beförderung zu Wasser darf nur auf Schiffen derjenigen Gesellschaft geschehen, welche im Reisevertrage genannt ist. Diese Schiffe müssen zum Transport von Auswanderern autorisiert, hierfür mit bleibenden Einrichtungen versehen sein, eine Trennung der Geschlechter ermöglichen, einen Arzt mit sich führen und einer polizeilichen Kontrolle ihrer Beschaffenheit vor Ort unterliegen.»

Im Kampf um Auswanderer schenkten sich die Agenten nichts.

Zentral war die Bestimmung in Artikel 4, die verlangte, dass Auswanderungsagenturen, wenn ihnen die Konzession erteilt wurde, eine Kaution von 40 000 Franken zu stellen hatten. Auf diese konnte zurückgegriffen werden, wenn Auswanderer oder Behörden berechtigte finanzielle Forderungen an die entsprechende Agentur hatten.

Dieser Punkt wurde bei der Revi­sion des Gesetzes im Jahr 1888 verschärft: Auswanderungsagenturen hatten künftig nicht nur die Grundkaution von 40 000 Franken zu stellen, sondern mussten zusätzlich für ­jeden für die Agentur tätigen Unter­agenten 3000 Franken hinterlegen. Das revidierte Gesetz wurde ferner auch auf Personen ausgeweitet, die ­geschäftsmässig Passagebillette verkauften. Von ihnen wurde eine Kau­tion von 20 000 Franken verlangt.

Um den Bestimmungen des Bundesgesetzes Nachdruck zu verleihen, entsprach der Bundesrat am 18. September 1888 einem Antrag des Departements des Auswärtigen und schuf ein schweizerisches Auswanderungsbüro. Dessen eine Abteilung hatte die Aufsicht über die Agenten, Unteragenten und Passagebillett-Verkäufer, während der anderen Abteilung die Beratung und Interessenvertretung der Schweizer Auswanderer in anderen Staaten oblag.

Das Auswanderungsamt ging entschlossen gegen Vergehen vor. Dabei stützte es sich nicht nur auf Klagen von übervorteilten Auswanderungswilligen. Die Konkurrenz unter den Auswanderungsagenturen war enorm, und da konnte es schon einmal geschehen, dass eine Agentur die andere beim Auswanderungsamt anschwärzte, um dem Konkurrenten eins auszuwischen.

Insbesondere die beiden Basler Agenturen Zwilchenbart und Rommel wiesen das Amt immer wieder auf Vergehen des Konkurrenten hin. Das ging so weit, dass Zwilchenbart das Detektivbüro Union auf Rommel ansetzte. Damit schadete Zwilchenbart jedoch nicht nur Rommel, sondern auch sich selbst. Die Untersuchung vor Gericht ergab nämlich, dass sich die Agentur Zwilchenbart die gleichen Vergehen wie Rommel vorwerfen lassen musste.

Die ersten Reisebüros

Mit dem Abebben der Auswanderungswellen sahen sich die Agenturen gezwungen, zu diversifizieren und sich neue Betriebsfelder zu erschlies­sen. Zwilchenbart wandelte sich immer mehr zu einer Reiseagentur und ging schliesslich in den 1950er-Jahren im Basler Reisebüro Bronner & Cie. auf.

Danzas, welche 1889 als Verkäufer von Passagebilletten begann und mit der Zeit zu einem Hauptakteur unter Basels Agenturen wurde, fand schliesslich neben der Tätigkeit in der Reisebranche ein neues Standbein als internationaler Spediteur. Heute ist allerdings auch Danzas als historische Marke verschwunden. 1999 erwarb die Deutsche Post die Danzas Holding. Die übernommenen Bereiche segeln neu unter der DHL-Flagge. 

Literatur:
Gérald Arlettaz: Emigration et colonisation suisses en Amérique 1815–1918, Bern 1979
Leo Schelbert: Einführung in die schweizerische Auswanderungs­geschichte der Neuzeit, Zürich 1976
Leslie E. Sutter: Swiss Emigration Agencies: From Shipping Speculators to Travel Agents, Diss. 1992

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 11.10.13

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