Der grüne Boom schafft Probleme

In Deutschland wächst der Bereich Solarenergie rasant. Zu rasant. Das führt zu erheblichen Schwierigkeiten.

Solar, Solar, Solar: In Deutschland boomen die Erneuerbaren - zu sehr. (Bild: sda)

In Deutschland wächst der Bereich Solarenergie rasant. Zu rasant. Das führt zu erheblichen Schwierigkeiten.

Wer über die Grenze nach Deutschland fährt, wundert sich: Auf jedem zweiten Dach glänzt eine stromerzeugende Solaranlage. Und überall werden weitere Dächer vorbereitet. Weniger augenscheinlich: In ganz Deutschland werden Biogasanlagen gebaut, kleine Wasserkraftwerke, Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung, die mit Holzschnitzeln betrieben werden.

Den Boom ausgelöst hat die Energiewende, die nach der Atomkatastrophe in Fukushima ausgerufenen wurde. Zwar gibt es das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bereits seit dem Jahr 2000, das den Betreibern von Wind-, Solar- und anderen Grünstromanlagen rentierende Preise für die ins Stromnetz gelieferten Kilowattstunden garantiert. Doch die Anlagen waren teuer, die Technik anfällig, die Energieausbeute gering. Das Interesse an grünem Strom hielt sich in Grenzen.

Der Atomausstieg änderte das schlagartig: 2009 lag der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Stromerzeugung in Deutschland noch bei 11 Prozent, Ende 2011 waren es bereits 20 Prozent. Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien in gleichem Tempo weitergeht, liegt der Anteil 2020 bei 45 Prozent, prophezeit Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU). Das Planziel von 35 Prozent wäre damit weit übertroffen, bis 2050 soll der Anteil erneuerbarer Energien 80 Prozent betragen.

Der Boom ist so gewaltig, dass er Probleme schafft. Bislang erfolgt der Ausbau relativ unkoordiniert. Das Bundesland Schleswig-Holstein profitiert von der massiven Vergrösserung der Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee, das Land will seinen Strombedarf bis 2022 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien decken.

Baden-Württemberg dagegen wird bis 2020 auf lediglich 38 Prozent kommen, schätzt der Stuttgarter Umweltminister Franz Untersteller (Grüne). Ein Missverhältnis nicht nur, weil zumindest Südbaden sich seit Jahrzehnten, seit dem erfolgreichen Kampf gegen das Atomkraftwerk in Wyhl, für alternative Energien engagiert. Freiburg war über lange Jahre die Umwelthauptstadt Deutschlands, der regionale Stromversorger, die Badenova, liefert seit Jahren 100 Prozent Strom aus regenerativen Quellen, unter anderem aus dem Wasserkraftwerk Grande Dixence im Wallis.

Das Missverhältnis schafft auch ganz konkret Probleme: Denn was nützen Überkapazitäten an der Küste, wenn der Strom nicht nach Süden transportiert oder zumindest gespeichert werden kann?

Grösstes Speicherwerk Europas

Der Ausbau der Netze ist deshalb ein vorrangiges Ziel. Der aber ist nicht so einfach zu haben – schon entstehen Bürgerinitiativen gegen Strommasten vor dem eigenen Haus. Auch die Entwicklung neuer Speicher braucht Zeit. Solche braucht es aber, weil die alten zu teuer werden. In Atdorf bei Schopfheim planen die Schluchseewerke Europas grösstes Pumpspeicherkraftwerk. Es wird vermutlich nicht gebaut, weil die Preise für Spitzenstrom einbrechen: Wenn er gebraucht wird, vor allem am Mittag, laufen meist auch die Solarkraftwerke auf Hochtouren.

Strom wird für viele zu teuer

Zwar erhalten Betreiber von konventionellem Strom immer weniger für die Kilowattstunde, doch der Strompreis steigt. Im kommenden Jahr droht er die Grenze zu überschreiten, ab der mit Protesten gerechnet werden muss. Bereits jetzt sind Schätzungen von Sozialexperten zufolge 600 000 Haushalte nicht mehr in der Lage, ihre Stromrechnung zu bezahlen, die Versorger haben sie vom Netz abgehängt.

Der Preis steigt allerdings auch, weil sich die Betreiber der Energiewende über viele Details nicht einig sind. So darf sie zum Beispiel den Wirtschaftsstandort nicht gefährden. Energieintensive Betriebe, die im internationalen Wettbewerb stehen, sind deshalb von der Förderumlage befreit. Mit der Folge, dass gar nicht so wenige Betriebe ihre Maschinen auch am Wochenende und an Feiertagen laufen lassen, um die Schwelle zum energie-intensiven Betrieb zu überschreiten. Ihren Anteil an der Förderung müssen die Privatkunden zusätzlich schultern.
Die Fehler sind weitgehend erkannt, das EEG, das hauptsächlich die Energiewende steuert, soll angepasst werden. Doch Umweltminister Altmaier hat bereits signalisiert, dass das wohl erst 2014 passiert: Im September 2013 wird in Deutschland ein neuer Bundestag gewählt. Die Energiewende eignet sich zu gut für den Wahlkampf, als dass sich die Parteien vorher auf einen Kompromiss einigen werden.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 26.10.12

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