Morgens um halb acht ist das Frühstückscafé San Antonio im reichen Stadtteil Miraflores in Lima gut besucht. Geschäftsleute haben ihr erstes Meeting oder schlürfen schnell einen Kaffee, bevor ihr Tag beginnt.
Peru gilt heute als südamerikanisches Wirtschaftswunderland, das eine Geschichte der Gewalt und des wirtschaftlichen Desasters erfolgreich hinter sich gelassen hat. Wenn da nur die Korruption nicht wäre.
Kaum einer weiss das besser als der 45-jährige Jurist Oscar Solorzano, der auf die Frage, was er beruflich mache, schon mal sagt: «Ich jage Kriminelle.» Der Auslöser dafür, dass er heute zwischen Lima und Basel hin und her jettet, liegt18 Jahre zurück.
In flagranti erwischt – live am Fernsehen
Am Abend des 14. September 2000 sass ganz Peru gebannt vor dem Fernseher. Ausgestrahlt wurde ein verdeckt aufgenommenes Amateur-Video, das jeden Thriller übertraf. Der Geheimdienst-Chef Vladimiro Montesinos übergab darin einem kürzlich gewählten Abgeordneten 15’000 US-Dollar in bar. Dafür würde der Abgeordnete die Fraktion wechseln.
Dieses erste und viele weitere sogenannte Vladi-Videos machten offensichtlich, was sehr viele längst vermutet hatten. Dass Montesinos ein korruptes System bis in hohe Regierungskreise aufgebaut, bei staatlichen Waffenkäufen abkassiert hatte und in Drogengeschäfte der Militärs verwickelt war.
Rund sechs Wochen später erfuhren die Peruaner auch, wo Montesinos seine Korruptionsgelder versteckt hatte: auf Schweizer Konten. Der Schweizer Botschafter in Lima gab bekannt, dass 48 Millionen Dollar gefunden und eingefroren worden waren. Diese Vorkommnisse führten in Peru zu einem Regierungswechsel, zur Flucht und schliesslich der Verhaftung von Vladimiro Montesinos.
In den 70er-Jahren inserierten die grossen Schweizer Banken in afrikanischen Zeitungen: «Bringt eure Gelder zu uns.»
Und es löste ernsthafte Bemühungen aus, die Korruption der vergangenen Jahre aufzudecken. 116 Millionen US-Dollar, die Montesinos, seinen Strohmännern und Komplizen gehörten, wurden schliesslich auf Schweizer Konten gefunden und blockiert. 93 Millionen davon wurden in den Jahren 2003 bis 2006 nach Peru zurückgeführt.
Mark Pieth, Strafrechtsprofessor und Geldwäscherei-Spezialist aus Basel, war nicht wirklich überrascht, als er von den Montesinos-Konten erfuhr: «Peru hatte damals nicht den besten Ruf. In den 90er-Jahren habe ich selbst in Lima erlebt, wie stark die Verbindung von Justiz und Militär war», sagt er. Auch war bekannt, dass auf Schweizer Banken mannigfache Gelder ausländischer Potentaten und sonstige Raubgelder lagerten.
In den 70er-Jahren inserierten die grossen Schweizer Banken in afrikanischen Zeitungen: «Bringt eure Gelder zu uns, hiess es da», erinnert sich der heute 65-jährige Pieth. Auch dass Drogenhändler aus dem kolumbianischen Medellín mit Koffern voller Dollarnoten bei Schweizer Banken auftauchten, war damals üblich. «Geändert hat sich das erst mit dem Mauerfall in den 90er-Jahren, als viele merkten, dass Korruption dem offenen Wettbewerb im Wege steht. Und als das UNO-Abkommen gegen Drogenhandel 1990 in Kraft trat und Geldwäsche aus Drogendelikten international ahndete», sagt Mark Pieth.
Der Juraprofessor aus Basel war 1990 zum Thema Geldwäscherei gekommen, als er im Bundesamt für Justiz für die Sektion Wirtschaft zuständig war. «Eher zufällig», wie er sagt, wurde er Präsident der Arbeitsgruppe zur Bekämpfung der Korruption bei der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), ein Amt, das er bis 2013 innehatte. Er sah aber auch, mit welchen juristischen und technischen Schwierigkeiten die Behörden der geschädigten Entwicklungsländer zu kämpfen hatten. «Wenn du Geld rückführen willst, brauchst du Top-Leute, die arme Länder oft nicht haben», sagt Pieth.
2003 gründete er deswegen die Stiftung Basel Institute on Governance (BIG), mit einer Anschubfinanzierung der aufgelösten Danzas-Stiftung. Heute erhält das BIG staatliche Entwicklungsgelder, um den Behörden der jeweiligen Länder beizustehen, die Rückführung juristisch in die Wege zu leiten. Zu den Geldgebern der BIG gehören neben der schweizerischen Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und dem Staatssekretariat für Wirtschaft auch Liechtenstein, Grossbritannien und die Kanalinsel Jersey.
50 Juristen und Finanzfachleute verschiedenster Nationalitäten arbeiten heute in Basel und weltweit für das BIG, das federführend ist bei der sogenannten Asset Recovery, der Rückerstattung eingezogener Raubgelder.
Die Gegenspieler, korrupte Potentaten oder Firmen, heuern ihrerseits hochbezahlte Anwälte an, welche die Herausgabe der gestohlenen Gelder verhindern sollen. Ist es nicht schwierig, Top-Leute mit einem Gehalt, das «nur» dem eines Staatsbediensteten entspricht, zu halten? Mark Pieth lacht. «Die Staatsanwälte wollen auf der Seite der Guten sein. Geld ist nicht die alleinige Motivation.»
«Dieser Fall gehört dir», zwinkerte ihm die Vorgesetzte zu. Zwei Wochen später sass Oscar Solorzano im Flieger nach Lima.
Zu den Guten gehört Oscar Solorzano. Im Jahr, als die Montesinos-Konten eingefroren wurden, studierte der gebürtige Peruaner noch Jura in Fribourg. Die Ausbildung finanzierte er mit seiner zweiten Leidenschaft: Er spielte Bass und Gitarre in verschiedenen Salsa-Bands. Danach forschte er an der Uni Genf zum Thema Korruptionsgelder. Die Rechtswissenschaft nahm sich des Gebiets an, nachdem die Schweiz 2010 die UNO-Antikorruptions-Konvention unterzeichnet hatte.
Aber Oscar Solorzano wollte raus aus den Universitätshallen. «Ich wollte einen echten Fall», erinnert er sich, und heuerte bei Mark Pieth an. Seinen ersten Fall sollte er bald bekommen.
Im September 2012, zwölf Jahre nach Aufdeckung der Montesinos-Konten, klopfte ein Staatsanwalt aus Peru beim BIG an. Ob man ihnen helfen könne, 27 Millionen nach Peru zurückzuführen, die immer noch auf Schweizer Konten blockiert waren.
«This is yours», zwinkerte Solorzanos Vorgesetzte ihm zu. Zwei Wochen später sass er im Flieger nach Lima.
Ein juristisches Bravourstück
Dort war das grosse staatliche Reinemachen, der durch die Vladi-Videos ausgelöste Kampf gegen die Korruption, längst zum Erliegen gekommen. «Wir mussten die Akten der einzelnen Prozesse im Keller der Staatsanwaltschaft ausgraben», erinnert sich Solorzano.
Die peruanischen Staatsanwälte wussten nicht recht, wie sie die Rückführung der Gelder aus der Schweiz bewerkstelligen sollten. Es ist nämlich ein juristisches Bravourstück, Konten über Ländergrenzen hinweg nicht nur zu sperren, sondern ein Urteil gegen die Konteninhaber so wasserdicht zu formulieren, dass damit auch die beschlagnahmten Gelder enteignet werden. «Die Urteile, die wir gegen die korrupten Machthaber vorfanden, sagten nichts über die Konten aus und waren deswegen wertlos für die Rückführung», so Solorzano.
Erst ein 2012 erlassenes Gesetz machte es möglich, Konten zu beschlagnahmen, ohne dass ein Urteil gegen den Inhaber vorliegt. Heute reicht es, wenn die kriminelle Herkunft der Gelder nachgewiesen wird. Das ist insbesondere dann wichtig, wenn die Kontoinhaber ins Ausland geflüchtet sind und nie vor Gericht gebracht werden können.
So wie es bei zwei russischen Waffenhändlern der Fall war, mit denen Montesinos ganz spezielle Geschäfte gemacht hatte.
Am 12. März 2001, gut fünf Monate nach Bekanntwerden der Montesinos-Konten, fiel im nordperuanischen Chiclayo ein Kampfflugzeug vom Typ MiG 29 vom Himmel – vor die Füsse einer Parlamentarier-Delegation, welche die Flugtauglichkeit der Jets überprüfen sollte. Das Flugzeug war eines von 17, für die der peruanische Staat 252 Millionen Dollar an weissrussische Militärs bezahlt hatte. Die peruanische Luftwaffe bekam für dieses Geld aber nur Schrott geliefert. Den Hauptteil der Viertelmilliarde aus der peruanischen Staatskasse zwackten Montesinos und die russischen Waffenhändler für sich ab – und wähnten ihn auf Schweizer Konten sicher.
Darin sollten sie sich gehörig täuschen.
Die gerichtliche «Enteignung» des Kontos der Waffenhändler war der erste juristische Erfolg des BIG bei den Montesinos-Konten. «Am 30. Januar 2017 entschied das Schweizer Bundesgericht, dass diese Konten nicht mehr den Russen, sondern Peru gehören», erzählt Solorzano.
Juristisches Neuland betraten Solorzano und der peruanische Staatsanwalt Hamilton Castro mit der Rückführung von 17 Millionen Dollar, die einem Strohmann Montesinos gehörten. Der 51-jährige Castro arbeitet im Gebäude der peruanischen Staatsanwaltschaft mitten in der Altstadt von Lima, direkt an einer tosenden Hauptverkehrsachse. Sein mit Akten vollgeladener Schreibtisch steht frei auf einer Art Flur. Sein Team besteht aus zwei Sekretärinnen mit zusammen eineinhalb Vollzeitpensen.
«Ohne die Hilfe des BIG hätten wir die Rückführungsgesuche und Urteile nie auf den Weg gebracht.»
«Die Enteignungen sind sehr langwierig, und uns lief die Zeit davon», erzählt Staatsanwalt Castro. Denn Konten können nicht auf unbestimmte Dauer blockiert werden. «Wir handelten deswegen einen Deal mit dem Kontoinhaber aus; im Gegenzug dafür, dass er 15 Millionen zurückgibt, darf er zwei Millionen behalten.» Damit entfielen womöglich jahrelange juristische Streitigkeiten mit den Anwälten des Kontoinhabers. «Ohne die Hilfe des BIG hätten wir die Rückführungsgesuche und Urteile nie auf den Weg gebracht», ist Hamilton sicher.
Ein Wermutstropfen ist, dass die Gelder, die nun juristisch dem peruanischen Staat gehören, immer noch in der Schweiz lagern. Die Eidgenossenschaft hält die Hand darauf, bis ein Staatsvertrag ausgehandelt wird, der die Verwendung der Gelder festlegt. So ganz trauen die Eidgenossen dem peruanischen Staat nicht, dass er das Geld angemessen ausgibt.
Das sei unrechtmässig, sagt Mark Pieth. Peru sei kein Failed State wie bestimmte afrikanische Länder. Nein, Peru ist kein gescheiterter Staat. Aber auch kein super seriöser.
Während Oscar Solorzano in einem Café in Lima von der erfolgreichen juristischen Rückführung der alten Montesinos-Gelder erzählt, ermitteln peruanische Staatsanwälte gegen namhafte Politiker und Wirtschaftsführer, die Schmiergelder vom brasilianischen Odebrecht-Konzern angenommen haben. Der Server mit den dazugehörigen Kontodaten steht in der Schweiz.
«Wir helfen den Peruanern dabei, die internationalen Rechtshilfegesuche zu erstellen», kommentiert Solorzano seine neue Mission. Mit seinem Spezialwissen könnte er als Anwalt einer Bank in der Schweiz 1400 US-Dollar verdienen – pro Stunde. Reizt es ihn da nicht manchmal, die Seiten zu wechseln? Solorzano schüttelt den Kopf. «Es tut gut, morgens in den Spiegel zu schauen und zu wissen, dass ich etwas für die Gerechtigkeit tue.» Und ausserdem: «Mein Job ist einfach faszinierend.»