Seit zehn Jahren hat Basel die Mitwirkung der Bevölkerung in der Verfassung verankert. Die Bilanz des Kantons: durchaus positiv. Aber: mehr Beteiligung, bitte.
«Mitwirkung ist gut, aber ihre Voraussetzung ist Aufklärung»: Das sagt der Däne Jan Gehl, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Stadtentwicklung, im Interview. Die Aussage stützen Reaktionen von Mitwirkenden aus der Bevölkerung bei staatlichen Planungsprozessen: Von mangelhafter Kommunikation ist die Rede, von Sachverhalten, die Laien überfordern, wenn sie keine Hilfestellung erhalten.
Doch es gibt auch positive Beispiele. So führt etwa Theres Wernli vom Stadtteilsekretariat Kleinbasel die Ackermatte und den Giessliweg an, die mit den Spielplätzen zur Zufriedenheit aller gebaut werden konnten.
Dieses Beispiel nennt auch die zuständige Stelle des Kantons. Darüber hinaus verweist die Fachstelle auch auf die Überbauung des alten Kinderspitals. Die Kommunikation während des Prozesses habe gut funktioniert. Insbesondere die Zugänglichkeit des Areals, quartierbezogene Nutzungen im Erdgeschoss und Wohnungsgrundrisse, die unterschiedliche Wohn- und Lebensformen ermöglichen, seien dank der Mitwirkung ins Bauprojekt eingeflossen.
Doch gerade die harsche Kritik fällt auf – besonders wenn es um laufende Prestigeobjekte wie das Hafenareal oder das Areal des Felix-Platter-Spitals geht.
Beteiligung aus der Bevölkerung dürfte laut Kanton grösser sein
Dabei ist der Kanton seit zehn Jahren einer Mitwirkungskultur ausgesetzt, die sich mit unterschiedlichsten Projekten beschäftigt: Vom Spielplatz bis zur Grossüberbauung ist alles dabei, das birgt entsprechend Konfliktpotenzial. Die Fachstelle Stadtteilentwicklung nimmt dabei eine Schlüsselposition ein. Sie koordiniert beim Präsidialdepartement die Mitwirkungsverfahren zwischen Bevölkerung und Verwaltung.
Die Bilanz: durchwegs positiv. Die Möglichkeiten zur Mitwirkung würden unterschiedlich stark genutzt, schreibt Leiter Roland Frank auf Anfrage – «je nach Betroffenheit der Quartierbevölkerung». Entwicklungspotenzial sei aber noch vorhanden, konkret auch bei der Beteiligung der Quartierbewohnenden: Die könnte durchaus höher sein.
Wochenthema Mitwirkung
Die TagesWoche widmet ihren Schwerpunkt diese Woche der Mitwirkung der Basler Bevölkerung bei kantonalen Planungen. Dabei geht es auch um den Paragrafen 55 der Kantonsverfassung, der am 23. März zehn Jahre in Kraft sein wird. Dabei gehen wir dem Konflikt zwischen Mitwirkung und Mitsprache auf den Grund, lassen den Kanton eine erste Bilanz ziehen und die dänische Stadtplanungs-Koryphäe Jan Gehl zu Wort kommen.
Lesen Sie dazu auch:
– Der Frust bei der Mitwirkung ist programmiert
– Basel baut – wie aber stehts um die Mitwirkung der Bevölkerung?
– Das Mitwirken will erst noch gelernt sein
– «Auch die Verwaltung musste dazulernen»
Und dann fällt auch wieder das Wort «Lernprozess». «Jedes Verfahren ist anders und neue Formen des Einbezugs der Quartierbevölkerung werden in der Praxis erprobt», so Amtsleiter Frank. «Wichtige Erfahrungen und Erkenntnisse werden festgehalten und in die neuen Mitwirkungsverfahren einfliessen.»
Verbesserungspotenzial geortet: Zeitpunkt und Transparenz
Die Verfahren entwickeln sich. Seit 2012 findet zu Beginn eines Prozesses etwa erst eine Auslegeordnung zwischen Quartierorganisationen und Verwaltungsstellen statt. Dabei nimmt die Fachstelle eine Schlüsselrolle ein: Sie klärt mit den Verantwortlichen Erwartungen, Handlungsspielraum und konkretes Vorgehen verbindlich ab. Danach ist die federführende Verwaltungsstelle zusammen mit dem jeweiligen Stadtteilsekretariat für den Prozess verantwortlich.
«Dieses Vorgehen hat sich sehr gut bewährt», so Frank. Dennoch ortet die Fachstelle Entwicklungspotenzial. Etwa beim optimalen Beginn für den Einbezug der Bevölkerung, aber auch bei der Transparenz der Prozesse.
Ein kritischer Punkt ist zudem die Erwartungshaltung der Quartierbevölkerung an den Mitwirkungsprozess: «Je nach Ausgangslage sind die Erwartungen unterschiedlich.» Immerhin: Die Quartierbevölkerung mache dank ihres lokalen Wissens die Verwaltung auf «wichtige Wahrnehmungen» aufmerksam. «Diese können zu guten Lösungsansätzen für anstehende Projekte beitragen.»
Mitwirkung schafft Grundlagen, der Kanton trifft den Entscheid
Nur: Die Entscheidungen trifft letztlich der Kanton. Die Ergebnisse aus den Mitwirkungsverfahren würden gemäss dem am Anfang definierten Verfahren den Entscheidungsträgern übergeben, so Frank. Das können eine Dienststelle sein, die betroffenen Departementsvorsteher, der Regierungsrat oder auch der Grosse Rat.
Dennoch, die Kritik steht. Den Vorwurf, dass die Bevölkerung trotz Mitwirkung keine Stimme hat, weist die Kantons- und Stadtentwicklung allerdings zurück. «Die Bevölkerung hat jederzeit die Möglichkeit, von der Verwaltung angehört zu werden. Soweit möglich, werden die unterschiedlichen Anliegen berücksichtigt», so Frank. Die Entscheidungsträger allerdings müssen jeweils die Interessen gegeneinander abwägen: die fachliche Einschätzung der Verwaltung wie auch die unterschiedlichen Stimmen aus einem Quartier.
Ein fantastischer Plan, ein realistischer Kompromiss
Trotz der positiven Zwischenbilanz also: Von Euphorie ist die Stimmung nicht geprägt. Die Basler Mitwirkung funktioniert grundsätzlich. Auch wenn ein komplexes Grossprojekt wie die Überbauung der Klybeck-Insel noch nicht zum Vorzeigemodell für Mitwirkungsprozesse gehört – zumindest zum heutigen Zeitpunkt.
Dabei gilt letztlich auch, was der dänische Stadtplaner Jan Gehl für seine eigene Arbeit feststellt: «Es gibt immer Kompromisse. Und natürlich hinterlassen wir nach jedem Auftrag einen fantastischen Plan, nur um dann einige Jahre später festzustellen, dass bloss 60 Prozent davon umgesetzt wurden.»