Der FC Basel nutzte sein erstes Fan-Symposium, um auf eine Sichtweise aufmerksam zu machen, die in der Öffentlichkeit in der Debatte um Sicherheit und Gewalt im Fussball oft zu kurz kommt.
Es ist ein grosser Wurf, den der FC Basel sich vorgenommen hatte und der ihm auch gelungen ist: Noch nie wurden in der Schweiz in einem so umfangreichen Rahmen Fanpolitik und Sicherheitsfragen im Fussball besprochen. Vor 150 Gästen referierten am Donnerstag im St.-Jakob-Park fünf Stunden lang Experten aus dem Fussball, der Politik und Rechtswissenschaft zu einem Thema, dass den Sport seit jeher begleitet, in jüngster Zeit aber viele Kontroversen ausgelöst hat.
Wie dem Problem der Gewalt im Fussball beizukommen wäre, dafür lieferte das Basler Symposium auch nicht die Patentrezepte, dafür jedoch vertiefte Einsichten.
Die Sicht des Hardliners
Reto Nause hatte für einmal eine etwas ungewohnte Position inne. Nicht, dass der Sicherheitsdirektor der Stadt Bern seine Sichtweise auf den Umgang mit Fussballfans grundlegend verändert hätte. Der CVP-Vertreter hat sich in der Vergangenheit als Law-and-Order-Politiker profiliert und dafür in Medien und Öffentlichkeit durchaus Zustimmung geerntet.
An diesem Nachmittag aber war Nause mit seiner Sicht der Dinge für einmal in der Minderheit. Was damit zu tun hatte, dass der FC Basel das Symposium auch dazu nutzen wollte, um Lobby-Arbeit für seine Sicht der Dinge zu betreiben, die bislang in den Medien selten Raum erhält. Und die stimmt mit jener Nauses nur in wenig überein.
Immerhin, in einem Punkt ging Nause mit allen anderen Referenten einig: «Nur im gemeinsamen Dialog aller Parteien kommen wir weiter.» Allerdings relativierte eine andere Aussage diesen Satz sogleich: «Die Politik muss die Spielregeln setzen. Nicht das Fernsehen, nicht die Liga und auch nicht Fangruppierungen.»
Eine explosionsartige Zunahme der Gewalt an Sportanlässen, wie sie teils in den Medien dargestellt wird, kann auch Nause nicht feststellen. Im Gegenteil: In Bern seien die Anzahl Stunden, die Polizisten an Spielen der Young Boys und des SC Bern Dienst schoben von 2010 über 40’000 auf 23’500 im Jahr 2011 gesunken.
Nause will keine Fan-Walks mehr
Nause sieht darin allerdings nicht den Erfolg seiner Dialogpolitik. Er erklärt den Rückgang auf die Errichtung einer lückenlosen Fantrennung vor dem Stade de Suisse mittels eines mobilen Zauns. Und das ist mit ein Grund, weswegen ihm die Fanmärsche der FCB-Anhänger durch die Stadt ein Dorn im Auge sind: «Sie untergraben unsere Sicherheitsphilosophie.»
Ohne diese Märsche hätte die Berner Polizei noch weniger Stunden an YB-Spielen arbeiten müssen: «Und unser Ziel ist es, diese Stunden dort einzusetzen, wo sie der Allgemeinheit zugute kommen: Bei präventiven Patrouillen in der Stadt.»
Unter dem Stichwort «Lösungsansätze» erklärte Nause: «Wir wollen keine Fan-Walks mehr durch Bern.» Für ihn bestehen erhebliche Sicherheitsrisiken im Bahnhof Bern: «Gefahr von Massenpanik, schlechter Zugang für Sicherheitskräfte». Ausserdem werde der öffentliche Verkehr oftmals lahmgelegt.
Ausserdem plädierte Nause für eine kantonale Bewilligungspflicht von Matches, wie sie die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (KKJPD) in ihrem «Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» festhalten will.
Und schliesslich wollte Nause von der Liga eine klare Haltung gegenüber von Pyros im Stadion. Die letzten Schritte der Liga, etwa die Bussen für die Clubs zu senken, sind für ihn «in eine ganz andere Richtung» gegangen, als er sich das vorstellt.
Heusler: Sippenhaft ist abgeschafft
Mit dem Auftritt von Bernhard Heusler waren gleich darauf die unterschiedlichen Positionen bezogen. Der Präsident des FC Basel plädierte gegen jegliche Form von Kollektivstrafe. «Ich habe mal gelernt: Sippenhaft ist abgeschafft», erklärte der Anwalt.
Für Heusler werden restriktive Massnahmen, die jeden Match-Besucher betreffen, nicht zur Lösung der bestehenden Probleme beitragen. Im Gegenteil, für ihn kreieren sie nur neue Probleme. Zum Beispiel, wenn Fussballspiele abgebrochen werden sollten, wenn im Stadion Pyros gezündet werden: «Damit würden wir nur neue Sicherheitsprobleme schaffen. Ich möchte es nicht erleben, wenn wir 30’000 Zuschauer nach Hause schicken müssen, weil zu Beginn des Spiels eine Fackel abgebrannt wird.»
Gleichzeitig «Nähe und Distanz» soll der Club gegenüber den Fans vermitteln: «Die Fans sind ernst zu nehmen. Aber sie sind nicht ein Teil von uns.» Ein «sehr subjektives Rechtsempfinden» hat er bei den Fans in der Muttenzerkurve festgestellt, ein «ausgeprägtes Opferdenken» auch. Und dieses will er nicht noch durch kollektive Abstrafung befeuern: «Mit pauschaler Kriminalisierung stärken wir radikale und kriminelle Randgruppen.»
Angebliche Vorbilder entzaubert
An die einfachen Lösungen glaubt Heusler längst nicht mehr. Auch wenn ihm diese immer wieder wunderbare Beispiele aus dem Ausland unter die Nase gerieben werden.
Diese entzauberte Heusler in seinem Referat sowieso eines nach dem anderen: Holland, Deutschland, England – all die Ligen mit ihren scheinbar gelösten Problemen. In England sei schlicht eine ganze Bevölkerungsschicht durch die Preise vom Spiel ausgeschlossen worden, in Deutschland würde soviel Feuerwerk gezündet wie noch nie. Und musste in Holland nicht eben ein Spiel abgebrochen werden, weil ein Fan das Feld stürmte?
Für Heusler gibt es nur eines: «Fanpolitik liegt in der Verantwortung der Vereine. Und da muss sie Chefsache sein.» Hier sei eine «offene Dialogkultur» wichtig. Und zum Abschluss gab Heusler den Fussballfans noch einen guten Rat mit auf den Weg: «Glauben Sie nicht jenen, die nie in ein Stadion gehen, dass ein Fussballspiel ein Hochrisiko-Anlass sei.»
Norwegens Beispiel in der Pyro-Frage
Einen interessanten Beitrag lieferte Daniela Wurbs von der der europäischen Fanvereinigung FSE. Gemeinsam mit Behörden und Verbänden erarbeiteten in Norwegen engagierte Supporter ein Modell, mit dem Pyrotechnik wieder legalisiert wurde. Die Ansprüche der Fans wurde auch dahingehend berücksichtigt, dass das Montagabend-Spiel abgeschafft wurde. Im Ergebnis gab das bessere Stimmung in den norwegischen Stadien und weniger Zwischenfälle. Für die Hamburgerin Wurbs ist das ein Beispiel dafür, wie Selbstregulierung in den Kurven funktionieren kann, sie sagt aber auch: «Wir sind keine Fanpolizei.»
Unter dem Eindruck der in Deutschland neu entflammten Gewaltdebatte und wieder zunehmender Pyrokultur auf den Rängen findet Wurbs: «Wir sagen nicht, dass es ohne Repression geht. Aber so, wie derzeit an der Schraube gedreht wird, ist es kontraproduktiv.» Ihre Schlussfolgerung, und die gewinnt an Gewicht, wenn man sich die Situation für Gästefans in Schweizer Stadien vor Augen hält: «Behandelt man Fans wie Tiere, dann benehmen sie sich auch wie solche.»
Ringier am Pranger
Die Rolle der Medien spiegelte Peer Teuwsen, Redaktionsleiter der «Zeit» in Zürich. Und er schonte seinen Berufsstand nicht. Er bemängelt generell ein zu enges Verhältnis von Sportjournalisten und den Protagonisten, über die sie berichten. Und mit dem «Blick» machte er das, was die Zeitung im vergangenen Spätjahr mit der «Petarden-Trottel»-Kampagne getan hatte: Teuwsen stellte das Boulevardblatt an den Pranger. «Das war eine massive Überschreitung journalistischer Grenzen.»
Liest Teuwsen die Berichterstattung über die Sicherheit im Fussball in Schweizer Medien, beschleicht ihn «am Ende das Gefühl, es herrscht Krieg in der Schweiz». Und ein weiteres Mal bekam der Ringier-Verlag sein Fett weg: Mit den Beteiligungen an Ticketcorner, an einer Agentur zusammen mit dem Vermarkter Infront sowie der Beteiligung am Pay-TV-Sender Teleclub sei das Interesse von Ringier klar: «Da passen Pyros und Petarden nichts zum Geschäftsmodell.»
Ein Video-Gruss aus der Muttenzerkurve
Abgerundet wurde das umfrangreiche, aber nie langatmige Paket mit Ergebnissen einer Umfrage unter 4200 FCB-Fans, die Thomas Gander von der Fanarbeit Basel vorstellte. Ein Auftritt eines Fans aus der Basler Ultra-Szene fand nicht statt, dafür lieferte die Muttenzerkurve einen äusserst bemerkenswerten Videobeitrag, in dem sie selbstreflektierend ihre Fankultur und insbesondere ihre Haltung zu Pyrotechnik in den Stadien darstellte. Ein Beitrag, der es durchaus verdient hätte, einem breiteren Publikum zugänglich gemacht zu werden. Damit könnte dem einen oder anderen Vorurteil entgegengewirkt werden.
Wie man die Sicht auf den Fussball mit grossen Leidenschaft, kritisch und gleichzeitig augenzwinkernd darlegen kann, machte der Zürcher Autor Pascal Claude mit einigen seiner Kolumnen deutlich. Und der Basler Kabarettist Roland Suter entliess die Teilnehmer an diesem Symposium mit einem bissigen Beitrag, in dem er es sich nicht nehmen liess, eine Breitseite gegen Karin Keller-Sutter zu setzen: die Sankt Galler Ständerätin habe es mit ihrem Hardliner-Kurs in Sachen Fussball-Fans ja immerhin zur Schweizer Politikerin des Jahres geschafft.