Die !Mediengruppe Bitnik hat für das Haus der elektronischen Künste in Basel einen Softwarefehler in Architektur übersetzt. Auch sonst sind die beiden Künstler aus Zürich leidenschaftliche Störenfriede.
Auf dem Dreispitz gibt es jetzt auch Kunst am Bau. Das Genre geniesst nicht den besten Ruf, zu schwer wiegen die Erinnerungen an die vielen seltsamen Metallskulpturen und malerischen Unfälle, die die hiesigen Schulhäuser und Verwaltungsgebäude zieren. Doch das Haus für elektronische Künste (H3K) hat Mitte September eine Arbeit präsentiert, die geeignet ist, mit dem schlechten Image der verbauten Kunst aufzuräumen.
Das Künstlerpaar Carmen Weisskopf und Domagoj Smoljo aka. !Mediengruppe Bitnik hat die Aussenfassade des H3K mit einem Bildfehler, einem sogenannten Glitch, versehen. Die beiden Künstler aus Zürich hatten zuletzt für Schlagzeilen gesorgt, als eine von ihnen programmierte Shopping-Software («Random Darknet Shopper») im Darknet zehn Ecstasy-Pillen gekauft hat und daraufhin von der St. Galler Staatsanwaltschaft beschlagnahmt wurde. Zwei Tage nach der Vernissage auf dem Dreispitz haben wir Weisskopf und Smoljo in ihrem Atelier in Zürich zum Gespräch getroffen.
Das Ausrufezeichen ist das liebste typografische Mittel der Kommentar-Trolle. Die !Mediengruppe Bitnik trägt es im Namen. Wollen Sie die Realität trollen?
Domagoj Smoljo: Beim Programmieren bedeutet das Ausrufezeichen eine Verneinung. Der Name ist damit Behauptung und Verneinung zugleich, eine Verfremdung der Realität.
Carmen Weisskopf: Unser Name und damit auch das Ausrufezeichen verweisen zudem auf unsere künstlerische Heimat, das Internet und alle seine Subkulturen. Dazu gehören auch die verschiedenen Trollkulturen.
Die eine grosse Gemeinsamkeit haben: Sie wollen irritieren, stören. So wie Sie.
CW: Ich verstehe Trolle als Menschen, die ein System verstanden haben und darin eingreifen, oft zur eigenen Unterhaltung. Dieser Eingriff kann von harmlos bis bösartig reichen. Im Internet gibt es Nutzer und Menschen, die mitgestalten. Doch wer das will, muss Teil des Systems werden, muss seine Sprache lernen. Dieser Moment des sich Aneignens interessiert uns. Wir nehmen ein System persönlich und bringen es dazu, in unserem Sinne zu funktionieren.
Was macht diese Subversivität künstlerisch so interessant?
CW: Subversion würde ich verstehen als einen Eingriff in ein System mit dem Ziel, eine Veränderung dieses Systems zu erreichen. Das machen wir nicht. Wir wollen ein System stören, um zu sehen, was passiert. Ein sehr wichtiger Moment ist bei uns der Kontrollverlust.
DS: Der «Random Darknet Shopper» etwa hat völlig autark funktioniert. Wir hatten keine Kontrolle darüber, was aus dem Darknet in den Ausstellungsraum transportiert wird. Und das Paket für Julian Assange wurde ins Postsystem eingespeist. Wir konnten nur noch zuschauen, was damit geschieht.
CW: Unsere Arbeiten lösen keine Umschichtung herrschender Systeme aus. Sie öffnen allenfalls temporäre Handlungsräume. Wenn unsere Kunst etwas hervorbringt, sind es Momente des Empowerment.
Sie haben mit Wikileaks zusammengearbeitet und Julian Assange später Ihr Paket für eine eigene Aktion zur Verfügung gestellt. Damit machen Sie doch gemeinsame Sache.
CW: Wir hatten nie das Gefühl, dass Wikileaks unsere Arbeit manipulieren will. Sie haben eine erstaunliche Offenheit an den Tag gelegt. Das gilt auch für Assange, er lebt inzwischen seit drei Jahren in einer Botschaft und hat sich trotzdem einen offenen Geist bewahrt. Aber klar, wir wurden in den Medien manchmal als Wikileaks-Anhänger bezeichnet. Das geschieht, wenn man Kunst ausserhalb der dafür vorgesehenen Räume macht.
Sie beziehen mit Ihrer Kunst immer wieder Position zu aktuellen oder latent aktuellen politischen Themen. Werden Sie mit dem Anspruch konfrontiert, «doch mal dazu etwas zu machen», etwa zur Flüchtlingskatastrophe?
DS: Einen konreten Druck spüren wir nicht. Doch wir überlegen schon länger, wie wir das Thema Flüchtlinge aufgreifen könnten. Es ist wahnsinnig schwierig, die persönliche Betroffenheit zu abstrahieren oder einen Moment zu finden, der noch Humor zulässt.
CW: Die Situation um die Flüchtlinge ist stark determiniert. Es gibt Opfer und Helfer. Das macht es schwierig für uns, künstlerisch zu handeln. Wenn die Rollen scheinbar derart klar verteilt sind, ist es schwierig, eine andere Version zu schaffen.
Das Material für Ihre Kunst finden Sie vorwiegend im digitalen Raum. Sie kreieren und hacken Software. Ihre neueste Arbeit für das Haus der elektronischen Künste auf dem Dreispitz fällt aus dem Rahmen. Hatten Sie die Nase voll von Codes und wollten deshalb mit handfesten Materialien wie Beton und Stahl arbeiten?
CW: Wir arbeiten immer wieder mit handfesten Materialien, «H33333333K» ist jedoch tatsächlich unser erstes permanentes Werk. Es ging uns darum zu zeigen, dass über Digitales auch ohne digitale Mittel gesprochen werden kann.
DS: Das Aussehen heutiger Architektur wird stark vorgegeben durch die Visualisierungs-Software. Wir wollten diesem System auf den Grund gehen. Moderne Architektur-Visualisierungen sehen oft täuschend echt aus, erst beim näheren Hinsehen fliegt die Täuschung auf. Diesen surrealen Moment wollten wir in Beton und Stahl umsetzen. Mit dem Glitch haben wir etwas sehr Flüchtiges permanent werden lassen.
CW: Es schien uns eine lustige Idee, einen Softwarefehler in Stein zu meisseln.
Kontrollverlust und Architektur passen schlecht zusammen.
CW: An der Eröffnung habe ich viele Leute beobachtet, die vor der Wand standen und sich gefragt haben, wie diese Wand jetzt noch funktionieren kann, die Statik, die Regenrinne. Bei einem gewöhnlichen Gebäude stellen sich diese Fragen nicht. Erst der Fehler in einem System verweist auf die Funktionalität desselben.
Das Publikum ist fester Bestandteil Ihrer Kunstwerke, indem es reagiert und die Geschichte vielleicht sogar weiterdreht. Wann ist eine solche Arbeit beendet?
DS: Unsere Live-Performances sind aus unserer Sicht beendet, wenn wir eine Version schaffen können, die auch ohne unser Zutun funktioniert. Wenn es uns gelingt, eine temporäre Arbeit in den musealen Raum zu übersetzen. Es gibt jedoch Arbeiten, die weiterleben, zum Beispiel indem sie medial aufgegriffen werden.
CW: Der «Random Darknet Shopper» ist eine solche Arbeit, die uns im Moment ständig wieder einholt.
Weil sie Spuren hinterlassen hat. Gehört die rechtliche Diskussion noch zum Kunstwerk?
CW: Wir sind uns gewohnt, dass sich unser Material dauernd verändert. Dort, wo wir herkommen, im Internet, ist das eine Selbstverständlichkeit. Vieles liegt dann gar nicht mehr in unserer Hand. Der «Shopper» hat Fragen aufgeworfen, die uns zuerst nicht besonders relevant erschienen. Aber wenn jetzt über die Verantwortlichkeit von Software nachgedacht wird, ist das eine schöne Weiterentwicklung unserer künstlerischen Arbeit.
DS: Wenn unsere Arbeiten ohne uns funktionieren, ist das der Idealfall.
In einem Interview 2009 haben Sie gesagt, dass Sie nicht am Kunstmarkt teilnehmen, kaum Werke verkaufen und hauptsächlich von Fördergeldern, Stipendien und Kunstpreisen leben. Gilt das noch?
DS: Damals hatten wir beide noch eine Anstellung an der Kunsthochschule und konnten Bitnik dadurch quersubventionieren. Doch vor drei Jahren haben wir diese Jobs aufgegeben. Inzwischen können wir auch Arbeiten verkaufen.
Dann ist ein Markt entstanden für Ihre Kunst?
CW: Ja, der Markt hat sich zu unseren Gunsten entwickelt. Früher wollten viele Museen und Sammler eine Videoinstallation nicht kaufen, wenn das Video dazu auf Youtube war. Doch solche Gespräche müssen wir heute nicht mehr führen. Die Museen regen uns sogar dazu an, Fotos der Ausstellung über Twitter zu verbreiten.
«Früher wollten viele Museen und Sammler eine Videoinstallation nicht kaufen, wenn das Video dazu auf Youtube war.»
Für Sie als Künstler in der Schweiz bleiben Fördergelder aber weiterhin eine wichtige Einkommensquelle?
CW: Unsere Arbeiten sind als schriftliches Konzept nicht wirklich geeignet, gefördert zu werden, weil sie sehr abstrakt klingen. Oft überzeugt erst die umgesetzte Version. Deshalb finanzieren wir die allermeisten Arbeiten selbst vor.
Und wie leben Sie davon?
DS: Inzwischen können wir uns selbst regelmässig einen Lohn auszahlen. Der fällt manchmal höher und manchmal tiefer aus. Unser Lebensstandard entspricht dem von Studenten, dafür haben wir grosse Freiheiten und dürfen viel reisen.
CW: Seit wir unsere Jobs an der Hochschule aufgegeben haben, nehmen wir nicht mehr an Ausstellungen teil, wenn nicht mindestens unsere Kosten bezahlt werden. Das hat dazu geführt, dass wir seltener in der Schweiz ausstellen, weil hier für Gruppenausstellungen kaum Ausstellungshonorare bezahlt werden.
Ihre Arbeiten sind immer auch Systemkritik. Trotzdem nehmen Sie öffentliche Gelder an, stört Sie dieser Widerspruch nicht?
CW: Überhaupt nicht. Wir kritisieren ja nicht den Staat als Ganzes, sondern stets ein Teilsystem. Es ist wichtig, dass auch staatlich finanzierte Kunst kritisches Potenzial haben darf.
DS: Kunst muss die Gesellschaft reflektieren, das ist ihre nobelste Aufgabe.