Der Krieg hat viele Gesichter

Den Kindern aus Biafra galt in den späten 1960er-Jahren das Mitleid des ganzen Westens. Da passte eine Fotografie, die Biafra-Kinder in Kriegspose zeigt, schlecht in die gängigen Vorstellungen.

Kinder aus Biafra, die in den 1960er-Jahren zum Sinnbild der hungernden Opfer wurden, von einer ganz anderen Seite: Sie exerzieren mit Holzattrappen. (Bild: Kurt Wyss)

Den Kindern aus Biafra galt in den späten 1960er-Jahren das Mitleid des ganzen Westens. Da passte eine Fotografie, die Biafra-Kinder in Kriegspose zeigt, schlecht in die gängigen Vorstellungen.

Aus dem Biafrakrieg von 1967–1969 ist in der letzten Ausgabe ein Hungerbild gezeigt worden. Das war ein sehr wahres Bild, es zeigte die Auswirkungen der Hungerblockade, mit der die Sezessionisten gezwungen wurden, ihre Abspaltung von Nigeria wieder aufzugeben.

Angesichts des Bildes zum Hunger in Biafra ist festgestellt worden, dass ein Bild nie die ganze Situation und auch nicht die Entwicklung davor und danach festhalten kann. Bilder sind in der Regel nur Momentaufnahmen, ruhen vor allem in sich und leisten der Tendenz der Verabsolutierung Vorschub: Ja, hier sieht man es doch, ja, genau so ist es!

Haben wir hier nun ein Gegenbild zum Hungerbild? Hier werden Biafra-Menschen nicht als reine Opfer, nicht als nur bedürftige Wesen gezeigt, hier sieht man Biafra-Menschen als potenzielle Täter, zwar auf ihre Weise sicher Opfer auch sie. Künftiges Handeln als Krieger ist da bereits angelegt, die Schiesseisen sind jedoch erst aus Holz. Eine gewisse Disziplin, die Bereitschaft, sich einzuordnen und als Teilchen einer Kampfmaschine zu handeln, sind bereits da.

Das geht nicht ohne organisierende Kräfte. Der kleine Leader dieser Gruppe ist aber nicht im Bild, die grossen Führer sind es schon gar nicht. Im Bild, aber ganz im Hintergrund, ist dagegen eine Zusatzfigur. Wohl ein weiblicher Mensch mit einem Topf auf dem Kopf, von dem man nicht weiss, was drin ist: Wasser? Fischsuppe? Maniokbrei? Jedenfalls etwas sehr Ziviles. Man könnte – die Situation stilisierend – auch sagen, dass die Frau die Menschenrechte in ihrem Topf birgt, derweil der Krieg an ihr vorbeizieht. Etcetera.

Allerdings kommt mit Gewissheit der Moment, da auch Soldaten und Pseudosoldaten trinken und essen müssen und dann auch Ziviles militärisch wird. Der Fotograf wie auch die Betrachter sind vom Motiv im Vordergrund in den Bann ge-zogen. Der Hintergrund hat sich sozusagen eingeschlichen. Aus beidem gibt es ein spannungsreiches Ensemble. Hier wird aber von diesen Jugendlichen nicht Krieg gespielt. Ein anderes Bild könnte zeigen, wie deutlich noch jüngere Menschen völlig unorganisiert und wirklich freiwillig, früher mit selbstgemachten Holzschwertern und aus Zeitungen gefalteten Mützen, heute indessen mit Plastik-Guns, allenfalls auch Paintballs, Gefechtssituationen simulieren – und ebenfalls den Krieg bereits in sich haben.

Der Krieg hat viele Gesichter. Dieses hier sichtbare Gesicht, hier gezeigte Bild ist allerdings ein sehr, ein besonders wahres Gesicht.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12

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