Der langsame Tod des Regenwalds

Grossverteiler wie Migros und Coop haben sich verpflichtet, nur noch nachhaltig hergestelltes Palmöl zu verwenden. Der Regenwald wird trotzdem abgeholzt – in gefährlichem Ausmass.

Der Wald auf Borneo wird immer stärker zurückgedrängt: Auf den gerodeteten Flächen entstehen Palmölplantagen. (Bild: Bruno Manser Fonds)

Grossverteiler wie Migros und Coop haben sich verpflichtet, nur noch nachhaltig hergestelltes Palmöl zu verwenden. Der Regenwald wird trotzdem abgeholzt – in gefährlichem Ausmass.

Die Freude der Umweltschützer war gross, als der international tätige Grosskonzern Uni­lever (Lipton, Knorr, Dove und Omo) Ende 2009 bekannt gab, künftig auf Palmöl aus Regenwald-Raubbau zu verzichten. Schliesslich ist Unilever einer der grössten Verarbeiter von Palmöl weltweit. Applaus erntete auch der Nahrungsmittelmulti Nestlé, als er sich im Mai 2010 ebenfalls verpflichtete, nur noch Palmöl aus nachhaltiger Herstellung zu verarbeiten. Coop und Migros zogen nach, später auch Aldi und weitere Grossverteiler. Palmöl aus zerstörten Regenwäldern werde bald aus den hiesigen Regalen verbannt sein, hofften die Umweltschützer. Doch die Freude war verfrüht – denn auch beim sogenannt nachhaltigen Palmöl ist nicht alles so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Palmöl ist allgegenwärtig

Palmöl steckt in vielen Produkten des Alltags. Meist wird es ­un­­verdächtig als «Pflanzenöl» deklariert. Bei Coop etwa befindet es sich in rund 1000 Lebensmitteln der Eigenmarken. Der Hauptteil des Öls, über 70 Prozent, wird für die Produktion von Nahrungsmitteln wie Margarine, Müesli, Keksen oder Fertigprodukten verwendet; ein Viertel des global gehandelten Palmöls fliesst in die Kosmetik- und Reinigungsmittel­produktion, weitere fünf Prozent werden zu Agrodiesel verarbeitet.

Malaysia und Indonesien sind mit einem Anteil von 90 Prozent die Haupt­exportländer von Palmöl. Laut Schätzungen der Weltbank befinden sich rund 70 Prozent der Plantagen auf einstigen Regenwaldflächen. Allein in den kommenden acht Jahren soll die Fläche der Plantagen um weitere 45 Prozent wachsen. Die Ausbreitung der Ölpalme ist so zu einer der wichtigsten Ursachen für die exzessive Zerstörung der Tropenwälder geworden.

Simon Kälin vom Bruno-Manser-Fonds kennt die Problematik genau. Der 32-jährige Projektleiter reist mehrmals pro Jahr in die malaysische Provinz Sarawak auf der Insel Borneo. «Schon wenn man in Kuala Lumpur zwischenlandet, sieht man als Erstes Palmölplantagen». Kälin, der aus Sicherheitsgründen unter einem Pseudonym arbeitet, sitzt an einem grossen Tisch am Basler Sitz des Bruno-Manser-Fonds und breitet Satellitenbilder aus. Aus dem Weltraum sieht Sarawak grün aus. Auf den zweiten Blick aber erkennt man auf den grünen Flächen feine Muster. Winzige Punkte deuten auf Palmölplantagen hin. Feine weisse Linien zeigen die Holzerstrassen. Zusammenhängende dunkelgrüne Flächen – also unberührten Urwald – finden sich kaum noch. «Primären Urwald gibt es in ganz Sarawak fast keinen mehr», sagt Kälin. Bei vielleicht fünf Prozent der Wälder handle es sich noch um Pri­märwald, der Rest sei Sekundärwald – also Wald, der schon einmal oder ­mehrmals abgeholzt wurde. «Im in­donesischen Teil Borneos sieht es nich­t viel besser aus.»

Der Urwald wird immer kleiner

Eine «riesige Wut» komme jeweils in ihm hoch, sagt Kälin, wenn er auf seinen Reisen all die Zerstörung sehe. Fahre er zu einem indigenen Volk in den Urwald, passiere der Wagen oft stundenlang Palmölplantagen. «Später kommen einem die Lastwagen der Holzfirmen entgegen, vollbepackt mit Baumstämmen.» Der Ablauf ist meist der gleiche: Zuerst bauen die Konzerne eine Strasse, um den Wald ein erstes Mal zu durchforsten. Nur die wertvollsten Bäume werden wegtransportiert – übrig bleibt eine gros­se Zerstörung. Diese erste Abholzungswelle ist auf Borneo und vor allem auch auf Sumatra längst erfolgt. Der Wald könnte sich danach innert rund 60 Jahren wieder erholen. Aber bereits nach 20 Jahren erfolgt die zweite Durchforstungswelle. Und in einem dritten und entscheidenden Schritt holzen die Firmen den Wald dann ganz ab – und wandeln ihn in eine Plantage um. «Wo eine Plantage angelegt wird», macht Simon Kälin klar, «wächst nie mehr Wald.» Es sei der letzte Schritt einer fatalen Entwicklung, die derzeit in vollem Gange sei.
Was haben die Schweizer Grossverteiler und Nahrungsmittelproduzenten mit der Zerstörung zu tun? Oder wir Konsumentinnen und Konsumenten, die deren Produkte kaufen?

Auf den ersten Blick nicht viel – denn alle oben genannten Firmen und viele weitere haben sich verpflichtet, bis 2015 nur noch nachhaltiges Palmöl mit dem RSPO-Label zu kaufen. Aber auch dieses Öl, so Kälin, sei eben nicht zwingend nachhaltig.
RSPO steht für «Roundtable on Sustainable Palm Oil», für den «runden Tisch für nachhaltiges Palmöl». Mitglieder dieses Vereins sind zu über 90 Prozent Agrarkonzerne, der Rest besteht aus Umweltorganisationen. Derzeit sind nur etwas mehr als zehn Prozent aller Palmölplantagen weltweit RSPO-zertifiziert.

Eher unkritisch stehen dem Label die Grossverteiler und die Nahrungsmittelindustrie gegenüber. Markus Abt, Pressesprecher von Unilever, sagt stellvertretend: «Der RSPO-Standard gewährleistet den Schutz erhaltungswürdiger Wälder und der Rechte der Ureinwohner.» Er sei überzeugt, dass es ohne den runden Tisch gar kein nachhaltiges Palmöl gäbe.

Labels für «Etikettenschwindel»

Tatsächlich haben RSPO-Plantagen vielen Vorgaben zu genügen. So müssen die Betreiber vieles do­kumentieren und sich an die landes­üblichen Gesetze halten. Was die Anbaupraktiken angeht, entspricht das Label ungefähr der Integrierten Produktion (IP), wie wir sie in der Schweiz kennen. Chemikalien sind erlaubt, sollten aber schrittweise auf ein Minimum reduziert werden. Weiter darf kein Wald gerodet werden, wenn in ihm besonders viele seltene Arten leben. Ebenso muss der Wald stehen bleiben, wenn er «Teil eines seltenen oder gefährdeten Ökosystems» ist oder wenn indigene Völker zwingend auf den Wald angewiesen sind.

Die Handhabe des Labels ist je-doch umstritten. Viele Umweltorganisa­tionen sprechen sogar von Etikettenschwindel. So haben 257 Organisationen eine Erklärung unterschrieben, in der das RSPO-Label als «ein weiterer Grünwasch-Versuch» der Agrarindustrie angeprangert wird. Die Richtlinien seien schwammig formuliert, die Messlatte liege viel zu tief. So seien etwa hochgiftige Pestizide wie Paraquat erlaubt. Zudem könnten sich die Konzerne auch dann mit dem RSPO-Siegel schmücken, wenn sie nur eine einzige zertifizierte Vorzeigeplantage hätten, in den übrigen Produktionsstätten aber «business as usual» betrieben.

Label erlaubt auch Kinderarbeit

Weitere Vorwürfe erhebt das World ­Rainforest Movement (WRM). Im Bereich der Menschenrechte seien die Standards besonders tief, die Mindestlöhne müssten nur dem Gesetz entsprechen, und es sei gar Kinderarbeit erlaubt. Weiter könnten auch Plantagen auf ehemals artenreichen Urwald- oder Sumpfwaldflächen zertifiziert werden, sofern die Rodung vor 2005 erfolgte.

Besonders stossend findet das WRM aber, dass auch Sekundärwälder abgeholzt werden können. Diese seien oft nur schwer von Primärwäldern abzugrenzen und könnten ebenfalls eine grosse Artenvielfalt aufweisen. Die Frage, wo die Grenze zu ziehen sei, sei schwierig – zumal sowieso fast alle Primärwälder längst verschwunden seien. Kommt hinzu, dass beim «nachhaltigen» Palmöl das, was auf dem Papier steht, nicht immer mit der Situation vor Ort übereinstimmt. Ein Beispiel dafür ist der malaysische Palmölkonzern IOI, der als RSPO-Mitglied auch die Migros belieferte, gleichzeitig aber Sumpfwälder zerstörte, in denen indigene Völker lebten. Die Migros leitete darauf beim RSPO ein Beschwerdeverfahren ein.

Immer wieder in die Schlagzeilen gerät auch der singapurische Palmöl-Gigant Wilmar, ebenfalls Mitglied des RSPO. Derzeit wird der Firma in einem Gerichtsfall unter anderem vorgeworfen, sie habe in ihren Konzessions­gebieten Dörfer mit dem Bulldozer plattgewalzt und die Bevölkerung mit Waffengewalt vertrieben. Und auf Borneo holzte eine Tochterfirma kurz vor der RSPO-Zertifizierung riesige artenreiche Wälder ab, in denen Orang-Utans lebten. Nur 80 Hektaren oder 0,5 Prozent des Waldes liessen die ­Arbeiter für die Affen stehen, wie es im Film «Der Pakt mit dem Panda» des Filmemachers Wilfried Huismann heisst. Über die genaue Zahl herrscht derzeit ein Streit zwischen dem Filmemacher und dem WWF Deutschland, der Wilmar in Schutz nimmt.

Es fehlt an seriösen Kontrollen

Für Simon Kälin vom Manser-Fonds ist klar: «Das Problem des RSPO-Labels ist, dass Theorie und wirtschaftliche Praxis nicht übereinstimmen.» Asti ­Roesle von Greenpeace sieht das genauso und glaubt auch, die Gründe dafür zu kennen: «Es fehlt unter anderem an ­seriösen und unabhängigen Kontrollmechanismen», sagt sie. Die Zertifizierungsfirmen würden direkt von den Plantagenbetreibern bezahlt. «Dadurch entstehen Interessenskonflikte, denn ein zu strikter Zertifizierer verliert Zeit und riskiert schliesslich die Aufträge.»

Der WWF gehört zu den wenigen Umweltorganisationen, die den RSPO unterstützen. Er verteidigt das Label konsequent und propagiert es auch aktiv. «Besser als gar keine Standards sind Minimalstandards», meint Fredi Lüthin, Sprecher des WWF Schweiz. Und allein die Tatsache, dass es unabhängige Zertifizierer gebe, sei ein Erfolg, «denn die Alternative dazu ist der völlig unkontrollierte Raubbau». Was die Kinderarbeit angehe, prä­zisiert Lüthin, sei es sowieso eine Illu­sion, «Tausende von Kleinbauern kontrollieren zu wollen». Und: «Das RSPO-Siegel beinhaltet zwar soziale Aspekte, ist aber kein eigentliches Fairtrade-Label.» Insgesamt ist für den WWF klar: Wenn man davon ausgehe, dass die Nachfrage nach Palmöl weiter wachse, dann liessen sich grossflächige Monokulturen nicht verhindern.
Beim Einpacken der Satellitenbilder schaut Simon Kälin nachdenklich aus dem Fenster. «Die Sekundärwälder sind unsere letzte Hoffnung auf Borneo», sagt er. Nur diese Waldgebiete könnten sich wieder zu richtigem Urwald entwickeln und der Bevöl­ke­rung und den gefährdeten Tieren wieder eine Heimat bieten. «Wenn die ­Wälder einmal in Plantagen umgewandelt worden sind, ist es definitiv zu spät.»

Dumm nur: Der RSPO erlaubt, einen Teil dieser Wälder abzuholzen. Und das «nachhaltige» Palmöl aus diesen ehemaligen Regenwäldern wird tagtäglich zu den Produkten verarbeitet, die in den Regalen unserer Lebensmittel­geschäfte stehen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 13.04.12

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