Der abtretende Novartis-Präsident Daniel Vasella hat die Dominanz der Wirtschaft über die Politik etabliert. Und die Grenzen der Scham bei den Managerlöhnen pulverisiert.
In seinen besten Jahren war er King of the Universe oder zumindest des Pillen-Universums. Und er liebte es, Hof zu halten. Ich erinnere mich noch mit Schrecken an seine Pressekonferenzen an der Muba. Vorne auf der Empore thronte Chief Executive Vasella, flankiert von den minderen Executives, die er ab und zu auch ein paar Fragen beantworten liess. Unten im Saal, an 6er-Tischen gruppiert, die Bittsteller.
Denn die Journalisten aus der ganzen Welt hatten im Wesentlichen immer nur zwei Fragen: Ist Ihnen mein Land als Standort noch genehm? Oder: Ziehen Sie mein Land demnächst vielleicht als Standort in Frage?
Geduldig, aber streng
Die Frager wurden belehrt, dass ein liberales – sprich wirtschaftsfreundliches – Patentrecht eine wichtige, aber nicht ausreichende Voraussetzung sei. Eine zahlungskräftige Mittelschicht und ein gutes Investitions- und Forschungsklima seien auch nicht unwichtig. Vasella wirkte wie ein geduldiger Lehrer, der allerdings gegenüber dem Patenrecht-Verletzer Indien auch mal richtig streng sein musste.
Wie Vasella seinerseits die Standorte pflegte, konnte man an einem der Katzentische zu Füssen des Masters erahnen. Da sass auch schon mal Ruth Metzler, ihres Zeichens Ex-Bundesrätin und bis 2010 dazu da, dem Novartis-Chef notfalls mit einer Auskunft oder einem Dossier aus der Patsche zu helfen. Rechtskonsulentin Metzler wurde nie aufgerufen. Ihren Zweck erfüllte sie dennoch: Ihre stumme Anwesenheit versinnbildlichte das Machtgefälle zwischen dem Pharma-Fürsten und der lokalen politischen Autorität.
Sympathisch und intelligent
Nach der grossen Pressekonferenz wurden die Schweizer Journalisten jeweils noch separat zu einem kurzen Lunch gebeten. Eigentlich war es der Anlass der Schweizer Finanzchefs Raymund Breu, doch die Show gehörte natürlich nicht dem Gastgeber, sondern dem Gaststar. Dabei zeigte sich Vasella von seiner einnehmenden Seite. Er blieb auch nach kritischen Fragen etwa zu seinem Salär oder den marktfeindlichen Praktiken seiner Branche immer ausgedehnt höflich und verbindlich.
Ein sympathischer, intelligenter Mensch, der zuweilen auch mal Humor oder sanfte Ironie aufblitzen lassen konnte. Offenbar hatte seine steile Karriere vom Arzt zum Pharmaboss nicht bloss eine verwandtschaftliche Grundlage (Vasellas Frau ist die Nichte von Marc Moret, dem langjährigen Sandoz-Präsidenten).
So gut wie andere
Als aussenstehender Beobachter kann man Vasellas unternehmerische Leistung schwer beurteilen. Welche Kriterien soll man anlegen? Gemessen am Börsenkurs war Vasella wenig erfolgreich und wurde von den Journalisten auch regelmässig dafür kritisiert. Zu Unrecht. Börsenkurse haben mit der realen Welt wenig zu tun. Nimmt man die etwas weniger irrealen Zahlen der Erfolgsrechnung – insbesondere Gewinn und Umsatz – zum Massstab, erstrahlt Vasella in hellem Glanz. Allerdings haben andere Pharmabosse vor, neben und nach ihm ähnlich gute oder noch bessere Zahlen geschafft.
Journalisten haben noch einen anderen Prüfstein. Sie haben engen Kontakt zu den Pressesprechern, die wiederum hautnah ihren Chefs zudienen müssen. Aus dieser Froschperspektive gesehen, hatte Vasella vermutlich mehr Macken als andere Chefs. Direkt unter ihm hielten es viele nur kurze Zeit aus – trotz der fürstlichen Bezahlung. Vasella galt als launisch und despotisch. Das sind nicht unbedingt die Eigenschaften, die man von einem wirklich guten Chef erwartet, aber wohl der Preis dafür, dass ganz oben die Luft dünn und das Parkett verschleimt ist.
Doch zurück zu den fiktiven Zahlen der Erfolgsrechnung. Vasella konnte sehr ehrlich sein – wenn er sich davon Vorteile versprach. Er war Anfang 2005 der erste CEO der Schweiz, der sowohl sein versteuertes als auch sein effektives Einkommen offenlegte, nämlich 20,8 bzw. 30,7 Millionen Franken. Allerdings wies nur eine Fussnote darauf hin, dass es sich bei den 20,8 Millionen um blosse Steuerwerte handelte. Um die 30,7 Millionen auszurechnen, musste man im Geschäftsbericht weit verstreute Zahlen finden und mit diesen komplexe Rechnungen anstellen.
Immerhin hat die Novartis-Pressestelle meine Zahlen damals nicht dementiert. Im Jahr danach wandte Vasella denselben Trick an, und wieder hatten die Medien keine Zeit nachzurechnen. Sie vermeldete ein Salär von 21,3 Millionen, in aktuellen Marktwerten gerechnet waren es 49 Millionen. Vasella hatte nur gut 40 Prozent seines Einkommens versteuert – und das erst noch im steuergünstigen Risch (Kanton Zug), wo die gesamte Steuerbelastung damals um gut ein Drittel tiefer lag als am Arbeitsort Basel.
Doch egal ob 21 oder 49 Millionen, Vasellas Salär sprengte den Rahmen bei Weitem. Er war und bleibt der Abzocker der Schweiz. Thomas Minder mag die Abzocker-Initiative erfunden haben, aber erst Vasella verlieh ihr die moralische Schubkraft, die sie für eine Volksmehrheit braucht. Dabei geht es nicht nur um Zahlen, sondern auch um den Stil, für die Unerbittlichkeit, mit der Vasella abzockte.
Keine Drohung zu plump
Ihm war kein Trick zu faul, kein Umzug zu umständlich und keine Drohung zu plump, um dem Staat möglichst wenig zu geben und für sich selbst ein Maximum herauszuschlagen. Diese Konsequenz prägte auch seinen Stil als CEO und Präsident. So drohte er immer wieder mal mit dem Wegzug aus der Schweiz und verteidigte damit das wettbewerbswidrige Verbot von Parallelimporten.
In Prangins im Kanton Waadt kündigte Novartis 2012 den Abbau von 320 Stellen an und zog die Drohung erst gegen Lohnkürzungen, Steuererleichterungen und gegen eine Umzonung bzw. gegen einen Grundstücksgewinn von 19 Millionen Franken zurück. Die Einzelheiten des Deals mit dem Kanton Waadt blieben auf Wunsch des Pharma-Multis geheim. Novartis hat damit nicht nur lokale Politiker erpresst, sondern auch die demokratische Kultur korrumpiert.
Im Nachhinein war zu erfahren, dass die Verhandlungen betreffend Prangins nicht auf Konzernebene, sondern auf der Stufe Schweiz geführt worden seien. Klartext: Vasella hat damit nichts zu tun. Kann schon sein. Der Chef hat offenbar bei Novartis eine Kultur geprägt, die auch ohne sein direktes Zutun hart durchgezogen wird.
Das ist vielleicht das, was von Vasella in Erinnerung bleiben wird: Er hat die Hemmschwelle gesenkt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 25.01.13