Der Mann im Mond und sein Einhorn

Ein englischer Journalist schreibt von Bibern, Fledermausmenschen und jeder Menge Einhörnern, die sich auf dem Mond tummeln – und hält damit die High-Society zum Narren. Eine bizarre Geschichte zum Jahrestag der ersten Mondlandung.

Kein Scherz: Die erste Mondlandung am 19. Juli 1969.

(Bild: ksc.nasa.gov)

Ein englischer Journalist schreibt von Bibern, Fledermausmenschen und jeder Menge Einhörnern, die sich auf dem Mond tummeln – und hält damit die High-Society zum Narren. Eine bizarre Geschichte zum Jahrestag der ersten Mondlandung.

Pünktlich zum 46. Jahrestag der Mondlandung präsentiert das Observatorium auf dem Bruderholz ein neues Teleskop. Am Sonntagabend wird es zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Durch das Teleskop lassen sich Details, wie die hinterlassenen Fahrzeuge der Apollo Mission 11, welche 1969 Neil Armstrong als ersten Mann zum Mond brachte, erkennen.

Wir hatten vorab die Gelegenheit durchs Rohr zu schauen und Bilder zu schiessen. Bei der Aufarbeitung der Fotos ist unsrer Bildredaktion ein spektakuläres Detail aufgefallen:



Selbstverständlich ein Scherz: Das Einhorn im Mond.

Selbstverständlich ein Scherz: Das Einhorn im Mond. (Bild: Nils Fisch)

Eine Fotomontage? Richtig! Trotzdem konnten im Jahr 1835 nicht einmal die unglaubliche Nachricht von Einhörnern auf dem Mond die Leute davon abhalten einer Zeitungsente aufzusitzen. Die Rede ist vom «Grossen Mond-Schwindel» («The Great Moon Hoax»).

Die unter diesem Titel erschienenen gefälschten Forschungsberichte des Astronomen John Herschel hielten für eine Woche die Menschen USA zum Narren. Heute gelten sie als Beispiel für das erste Massenmedien-Ereignis. Dabei hatte der Journalist Richard Adams Locke hehre Absichten: Seine Artikel hätten eine Kritik an pseudowissenschaftlichen religiösen Strömungen des 19. Jahrhunderts sein sollen. Doch die Sache nahm eine unterhaltsame Eigendynamik an.

Der Mond wird zur Bühne

August 1835: Sir John Herschel befindet sich in seinem Observatorium in Südafrika. Er bereitet sich auf das Kommen des Halleyschen Kometen vor, das er beobachten möchte. So weit, so wahr.

Zur gleichen Zeit sitzt der junge Journalist Richard Adams Locke in seinem Büro in New York. Vor sich auf dem Pult liegt ein Manuskript, welches er vor ein paar Jahren schon verfasst hat. Es handelt sich um eine Schmähschrift, gerichtet an die Anhänger der natürlichen Theologie.

Die Haltung, dass durch die Erforschung des Universums Gottes Existenz bewiesen und seine Pläne verstanden werden könnten, ist im 19. Jahrhundert noch salonfähig. Speziell hat es Locke auf den schottischen Theologen und Wissenschaftler Thomas Dick abgesehen. In Vorträgen und Briefen sprach dieser immer davon, dass es im gesamten Sonnensystem von Leben wimmeln würde. Wenn Gott Leben auf der Erde erschaffen hatte, warum sollte er denn seine grösste Kreation, das Universum, unbewohnt lassen?

In Briefen und Vorträgen sprach er in den 1830er-Jahren davon, was er schliesslich in seinem Buch Celestial Scenery veröffentlichen würde: Das gesamte Sonnensystem ist voller Lebewesen, seinen Schätzungen nach handelt es sich dabei um exakt 21’891’974’404’480 (etwa 22 Billionen). Davon alleine hätten über vier Milliarden davon auf dem Mond Leben sollen.



Richard Adams Locke, Schöpfer des erstens Zeitungsschwindels der Mediengeschichte.

Richard Adams Locke, Schöpfer des erstens Zeitungsschwindels der Mediengeschichte. (Bild: blogs.canoe.com)

Richard Adam Locke, ein unverhohlener Gegner der pseudowissenschaftlichen Auswüchse der Theologie, sieht seine Stunde gekommen. Mit Herschels Expedition nach Südafrika liegt die Aufmerksamkeit der Bevölkerung beim Thema Astronomie. Er passt kurzerhand sein Manuskript etwas an und veröffentlicht am 31. August 1835 den ersten Artikel.

Der Mond wird zur Bühne

An den ersten zwei Tagen berichtet Locke vorwiegend über Technisches und das Budget von Herschels Reise. Sein neues Teleskop liefert nicht nur Bilder in bisher ungesehener Vergrösserung, es erlaube ihm mittels neuster, ausgefeilter Technik auch das Bild vom Teleskop direkt auf eine Leinwand zu projizieren.

Weiter wird erwähnt, dass weisse Sandstrände und Pflanzliches Leben entdeckt wurden. Locke verweist dabei auf einen Artikel im Edinburgh Journal of Science, welcher ihm vorliege, worauf er sich auch bei allen folgenden Berichten beruft. Es geschieht noch nicht viel mehr, als dass die Auflagezahl der «New York Sun» steigt und einige andere Zeitungen die Geschichte Aufnehmen. Doch das soll sich bald ändern.

Am dritten Tag doppelt Locke schliesslich nach: Tatsächlich seien Lebewesen auf dem Mond entdeckt worden, schreibt er. Einhörner und zweibeinige Biber, welche ihren Nachwuchs im Arm halten wie wir Menschen und in einfachen Hütten wohnen. Rauch, der aus fast allen Hütten zu dringen scheint, lasse darauf schliessen, dass sich diese Mond-Biber bereits das Feuer zunutze gemacht haben.

Die Öffentlichkeit hat zum grossen Teil nicht gemerkt, dass es sich bei Lockes Artikeln um Satire handelt. Unternehmen will dieser aber trotzdem nichts, um den Irrtum aufzulösen. Er setzt noch einen drauf und fährt am vierten Tag mit seiner Berichterstattung fort. Nur, wie ist die Geschichte mit den in Clans Lebenden, feuermachenden Bibern zu toppen? Richtig, mit der Entdeckung menschlichen Lebens. Der Vespertilio-homo wurde eingeführt. Menschenkreaturen mit Fledermausflügeln ,welche zivilisiert scheinen und sogar der Sprache mächtig sind – allerdings pflanzen sie sich schamlos im Freien fort.



Fröhliches Treiben der Seleniten: Szene mit Fledermaus-Menschen und Einhörnern.

Fröhliches Treiben der Seleniten: Szene mit Fledermaus-Menschen und Einhörnern. (Bild: Wikipedia.org)

Nun verirrt sich sogar eine Gruppe Studenten und Professoren der Yale Universität auf die Redaktion der «New York Sun». Sie würden gerne die Originalberichte anschauen, teilen sie am Empfang mit. Doch auch jetzt fliegt der Schwindel noch nicht auf. Die jungen Frauen und Männer werden in der guten alten Passierschein A-38 Manier von Büro zu Büro geschickt. Schliesslich geben sie auf und gehen unverrichteter Dinge wieder.

Locke ist aber noch nicht m Ende. Einen hat er noch für die guten Menschen in Amerika, bevor die Geschichte den Sprung über den Atlantik nach Europa schaffen würde. Nachdem er sein bestes Pulver schon verschossen hatte, beginnt er seinen Zyklus zu schliessen mit einem Kapitel über Architektur und Religion. Zerfallene Tempel aus Saphir mit Flammenornamenten weisen auf eine untergegangene Hochkultur hin. 

Die Leute hätten wohl gerne noch mehr gelesen über die Seleniten, wie die Mondbewohner genannt wurden. Die paradiesische Natur und die obskuren Lebewesen auf unserem Nachbarn faszinierten viele. Die Mondsucht ergriff nicht nur Arbeiter und ungelehrte, auch Professoren und Geistliche fielen auf den Unfug rein. Die Haltung der Medien blieb unentschieden. Nur rund die Hälfte der New Yorker Publikationen, welche die Geschichte aufgriffen, äusserten sich skeptisch oder gaben kein Urteil zur Glaubwürdigkeit der Artikel ab. Die andere Hälfte veröffentlichte sie unkritisch.

Sein Ende fand das Märchen dann recht unspektakulär. Am sechsten Tag verkündete Locke, dass die Berichterstattung leider abgebrochen werden müsse. Die Leinwand in Herschels Observatorium habe Feuer gefangen, das Gebäude sei abgebrannt und die Forschungen bis auf unbestimmte Zeit vertagt. Zugegeben hat die «New York Sun» den Schwindel erst auf Druck anderer Zeitungen, die den Scherz aufgedeckt haben.

Die Leute nahmen es gelassen. Nur wenige waren entrüstet, was wohl auch an der damals noch weitgehend undefinierten Rolle der Massenmedien lag. Ganz nach dem Motto «wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden» wurde die Sache mit einem Schulterzucken hingenommen.

Ruhm und Sackweise Fanbriefe

Richard Adams Locke erreichte einigen Ruhm und die Anerkennung von Leuten wie Edgar allen Poe, der nach eigenen Aussagen absolut begeistert war von der ganzen Sache. Die «New York Sun», bei welcher er angestellt war, erreichte zu Spitzenzeiten eine Auflage von über 19’000. Damit liess das Heft Zeitungsgrössen wie die «London Times» hinter sich.

John Herschel gilt wohl als wahres Opfer der Geschichte. Ihm blieben lediglich Säcke voller ungewollter Fanpost, die auch Jahre nach der Auflösung des ganzen Schwindels nicht verebbten.

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