In einem zweistündigen, mehrheitlich chorischen Dauerstakkato hauen Regisseur Volker Lösch und das Basler Schauspielensemble dem Publikum ein schauriges Abbild der modernen Finanzwelt um die Ohren.
Wild gestikulierend führt die Gruppe von fellbehangenen Neandertalern in ihrer Höhle einen Veitstanz auf. Nur dass der dazu erklingende Newjazz und die Umgebung so gar nicht ins Mittelpaläolithikum passt, sondern durchaus neuzeitlich wirkt. So halten die Steinzeitmenschen in ihrem wilden Formationstanz statt Keulen glitzernde Laptops in den Händen, und die Höhle ist eine moderne Lounge mit Ledersesseln in einem Betonbunker mit vergoldeten Wänden, an denen zahlreiche Flachbildschirme hängen, auf denen die Zickzacklinien der Börsenentwicklung zu sehen sind. Und im Chor lassen sie die Nachricht erschallen, dass die Märkte in Tokio und Singapur nachgeben…
Nun genau so hätte man sich die Protagonisten der Genfer Finanzwelt der Gegenwart, wie sie der britische Bestsellerautor Robert Harris in seinem Thriller «Angst» so trefflich beschreibt, wohl eher nicht vorgestellt. Doch dem Regisseur Volker Lösch geht es ganz und gar nicht darum, die Welt, die er auf die Bühne stellt, realistisch abzubilden. Das zeigt sich darin, dass er zu einem grossen Teil Chöre sprechen oder besser schon beinahe brüllen lässt, dass ihn eine psychologisierende Darstellung des Individuums wenig interessiert. Für ihn ist die Wahl der Form massgeblicher Bestandteil, Inhalte zu vermitteln. So gesehen passt die Erscheinung des Neandertalers ganz gut für die von ihm bzw. Harris beschriebene Finanzwelt, die sich gänzlich den Trieben wie Gier, Neid und Egoismus hingibt und die Gebote der Zivilisation beiseite schiebt.
Grobschlächtig und faszinierend
Das ist natürlich kein Theater der feinen Zwischentöne. Löschs Basler Inszenierung kann man getrost als grobschlächtig, direkt und zweidimensional bezeichnen. Auf der Bühne sind Schauspielerinnen und Schauspieler zu erleben, die ihre Sätze in einem horrenden Tempo stets überartikuliert herausspucken, die stampfen, statt zu gehen, und wilde Grimassen schneiden. Es ist wahrlich kein Theater, das sinnlich ist, aber eines, das Sinn hat. Es ist ein Theater, das sich einen Deut um Zwischentöne kümmert, das sich indes abseits jeglicher Ausgewogenheit politisch gibt – als wenn Jean Ziegler – der in einer herrlichen Chorpassage auf Berndeutsch übrigens selber zu Wort kommt – zum Dramatiker mutiert wäre. Es ist überwältigend kraftvoll sowie bewundernswert präzise choreografiert. Und es kann trotz all dem eine Geschichte erzählen, die nachvollziehbar ist.
Es ist die Geschichte des von Harris beschriebenen smarten Physikers Alexander Hoffmann, der einen genialen Computeralgorithmus entwickelt, der horrende Börsengewinne garantiert, weil er, anders als all die gängigen Computerprogramme, den menschlichen Parameter der Angst in seine Vorausberechnungen der Marktentwicklung einbezieht. Mit der Zeit muss der Schöpfer des Programms aber merken, dass er wie Frankenstein ein Monstrum erschaffen hat, das sich gegen ihn wendet und sich nicht mehr stoppen lässt.
Diese Geschichte wird auf der Bühne in rasanten Schüben nacherzählt. Es gibt den Physiker Hoffmann (Paul Grill), der von einem Einbrecher in seinem Haus niedergeschlagen und schliesslich von seiner eigenen Supersoftware kaltgestellt wird. Wir erleben seinen eloquenten Geschäftspartner Quarry (Jan Viethen), der superreiche Kunden mit zynischem Humor für die Geldvermehrungsmaschine anwirbt, seine Ehefrau (Judith Strössenreuther), die zum Schluss in eine Afrika-Hilfsmission entflieht, den Kriminalinspektor Leclerc (Andrea Bettini), der als einziger Normalbürger vergeblich gegen die unmoralischen Machenschaften der Finanzwelt ankämpt, Frau Doktor Polidori (Claudia Jahn), den Skeptiker Gana Rajamani (Mareike Sedl) und den Sicherheitsbeauftragten Maurice Genoud (Johannes Schäfer).
Einblick in die Welt der echten Banker
Diese Figuren und die mit ihnen verbundene Handlung ist aber nur der Rahmen. Lösch möchte wie Harris mehr als nur eine Kriminalgeschichte erzählen, er möchte Einblicke hinter die Kulissen der realen Finanzmarktwelt gewähren. Der ursprüngliche Plan, auf der Bühne einen Chor echter Banker auftreten zu lassen, ist aber nicht aufgegangen – ein Auftritt als Punker, wie einst bei «Wetten dass …», liegt für die Steuerleute der Finanzwelt drin, einer, der das eigene Wesen nach aussen kehrt, aber offensichtlich nicht. Aber sie kommen dennoch zu Wort. Die Theaterleute haben im Vorfeld zahlreiche Gespräche mit Basler Bankern und Kritikern des Finanzplatzes Schweiz geführt, die auf der Bühne in faszinierend präzis gebauten Chorpassagen wiedergegeben werden – mit Ausnahme der Aussage von Jean Ziegler, der offensichtlich auf die Nennung seines Namens bestanden hat, sind alle anonymisiert.
Diese Aussagen sind überaus erhellend und zum Teil auch erschreckend. Da hört man den Ultraliberalen, der die Aufgaben des Staates (bzw. die Steuerlast) am liebsten auf etwas Verteidigung einschränken möchte und gegen jegliche Umverteilung wettert. Wiedergegeben werden aber auch Aussagen von Bankern, die ihr Gewissen nicht ganz dem Markt geopfert haben, die sich aber mit der Situation konfrontiert sahen, unter dem Druck, für die Bank selber möglichst hohe Gewinne zu erzielen, nicht mehr im Dienste des Kunden handeln zu können. Und man hört den alteingesessenen Privatbanker, der erzählt, dass der Basler Daig niemals einen Fuss in eine der Grossbanken UBS oder CS setzen würde (und damit im Zuschauerraum womöglich da und dort schmunzelndes Kopfnicken ausgelöst haben könnte). Und wir hören einen vielstimmigen und im wunderbar nachvollzogenen Original-Dialekt deklamierten Kurzvortrag von Jean Ziegler, der die Protagonisten des Bankenplatzes mit Tigerhaien vergleicht, die einen Tropfen Blut über Kilometer hinweg riechen könnten.
Voller Wut und Engagement
Natürlich wissen wir alle und lesen es immer wieder in den Zeitungen, dass die Finanzwelt durch und durch von Gier und Machtbesessenheit beherrscht wird, dass das böse Spiel noch lange nicht zu Ende ist. Wir lesen es so oft, dass wir, abgesehen von ein paar noch aufrechten Occupy-Aktivisten, beinahe schon teilnahmslos darauf regieren. Hier aber geht einer ans Werk, der sich damit nicht abfinden möchte und uns die Fakten voller Wut und Engagement wieder und immer wieder entgegenbrüllt. Ein Glück, kann man sagen, dass es noch solche Menschen gibt.
Theater Basel: Angst
Theaterprojekt nach dem gleichnamigen Roman von Robert Harris
Regie: Volker Lösch, Bühne: Sarah Roßberg, Kostüme: Carola Reuther, Video: Julian Gresenz, Chorleitung: Bernd Freytag, Dramaturgie: Beate Seidel, Choreografie: Martha Hincapié Charry
Mit: Paul Grill, Jan Viethen, Andrea Bettini, Judith Strößenreuther, Mareike Sedl, Johannes Schäfer, Claudia Jahn und dem Chor der Anleger (Gerrit Bernstein, Adrian Fähndrich, Vincent Heppner, Till Lang, Steffen Link, Anna Vera Messmer, Raphael Muff, Jessica Schultheis.
Weitere Vorstellungen: 11., 18., 25.01. und 13., 25., 28.02.2013
Theater Basel, Schauspielhaus