Der Schatz im Keller der Larvenmacherin

Was wäre eine Fasnacht ohne Larven? Anneliese Weider fertigte 60 Jahre lang Uelis, Harlekine und natürlich Waggis. Was von ihrem Lebenswerk blieb, droht im Keller zu verstauben. Doch nun hat sie eine Nachfolgerin gefunden.

(Bild: Lucas Huber)

Was wäre eine Fasnacht ohne Larven? Anneliese Weider fertigte 60 Jahre lang Uelis, Harlekine und natürlich Waggis. Was von ihrem Lebenswerk blieb, droht im Keller zu verstauben. Doch nun hat sie eine Nachfolgerin gefunden.

Anneliese Weider sitzt in ihrem Wohnzimmer in Münchenstein. Mit strahlenden Augen erzählt sie vom Atelier im Keller, zwei Räume, bis zur Decke hoch bestückt mit Modellen aus Gips und Papier, Rohlingen und Kartonschachteln voll mit Bast in allen Farben. In Anneliese Weiders Keller harrt ein Schatz.

Er ist weder golden noch funkelnd. Vielmehr besteht er aus spitzen Nasen und Augenschlitzen, aus verwegenen Frisuren und unscheinbaren Gipsformen. Anneliese Weiders Schatz sind Fasnachtslarven und jene Formen, die am Ursprung ihrer Entstehung stehen. Über Jahre fürchtete sie um diese Sammlung. Anneliese Weider ist nämlich mittlerweile 82. Körper und Kopf sind zwar voll da, doch jünger, sagt sie verschmitzt, werde sie trotzdem nicht. «Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hätte wohl alles entsorgt», sagt sie dann mit einer wegwerfenden Geste.

Die Larvenlegende

Zum Kaffee aus geblümten Porzellantassen erzählt Weider die Geschichte ihres Schatzes. Sie handelt von Kleister, der richtigen Leimmischung, Zellulose-Papier, der Liebe ihres Lebens und einer Leidenschaft, die bis ans Totenbett reicht. Sie beginnt in einer Zeit, in der die Farben noch festfroren im Winter und Maler darum auf Ersatzverdienste angewiesen waren. Das war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Einer dieser Maler war der Allschwiler Marcel Weider. Er kam weder als Waggis, noch als Pfeifer oder Trommler, sondern als Künstler zur Fasnacht. Während des Sommers malte und tapezierte er freiberuflich, im Winter modellierte, formte, baute und bemalte er Larven. Waggis, Harlekine, Uelis. Fast 40 Jahre lang. Weider ist in Fasnächtlerkreisen noch heute eine Legende.

Seine Frau Anneliese lernte er in der Beiz kennen. Er war Gast, sie servierte. Einige Avancen von seiner Seite und ein verpasstes Tram später fanden die beiden schliesslich zusammen. Das Resultat waren nicht nur drei Kinder, sondern auch ein Vermächtnis, das über die Jahre an Umfang und vor allem Bedeutung gewann.

Die letzten Worte von Anneliese Weiters Mann kreisten um 72 Larven, die eine Clique bestellt hatte.

Fast hätte Weider die Larvenmacherei allerdings an den Nagel gehängt – aus Angst, die Familie damit nicht ernähren zu können. Doch die Fasnächtler rissen ihm die Larven aus den Händen. Schliesslich stieg Anneliese ebenfalls in die Produktion ein, erst als Perücken-Spezialistin, später mit Haut und Haar. Über Jahre statteten sie die Rotstab-Clique in Liestal und die Halbmonde in Frenkendorf aus. Für einen zünftigen Waggis, erinnert sich Anneliese Weider, bedarf es zwölf Stück Bast, nach der Arbeit das teuerste an der Larve, 60 und 40 Zentimeter lang, dressiert und angenäht in Reihen: Präzisionsarbeit.

1988 starb Marcel Weider. Seine letzten Worte, an die sich seine Frau Anneliese erinnert, kreisten um die 72 Larven, die die Halbmond-Clique bestellt hatte, Harlekine, Vollausstattung. Die Larven waren noch nicht fertig und die Fasnacht nahte. «So sehr identifizierte er sich mit seinen Werken», blickt sie sanft lächelnd zurück, während ihr Kaffee langsam kalt wird.

Die Freinacht einer 80-Jährigen

Sie konnte sich damals nicht vorstellen, je wieder eine Perücke zu knüpfen, geschweige denn eine ganze Larve zu machen. Zu gross war der Schmerz. «Ich dachte, ich schaffe es nicht», erinnert sie sich. Und auch vom richtigen Verhältnis der Leimmischung – sie wusste lediglich, dass ihr Mann vier Sorten benutzt hatte – habe sie keine Ahnung gehabt.

Doch Freunde motivierten sie, das Vermächtnis ihres Mannes fortzuführen. Und das tut sie nach wie vor. Bis vor zwei Jahren stellte sie selber Larven her. Keine Grossaufträge, doch viele einzelne. Und weil einmal der Bast zu spät geliefert wurde, legte sie noch als 80-Jährige eine Freinacht ein. «Das war dann aber definitiv die letzte», sagt sie mit erhobenem Finger.

Die Rettung des Lebenswerks

Esther Schwab ist gelernte Kindergärtnerin und Gestaltungspädagogin, mit ihrem Mann führt sie eine Buchbinderei in Bubendorf. Hier bietet sie auch Fasnachtslarven an: Einzelteile, Rohlinge, fertige Larven. Und seit sie bei Anneliese Weider in Ausbildung war, gibt sie auch Kurse im Larvenmachen. Nun ist Esther Schwab Weiders Nachfolgerin. Über zwei Jahre liess sie sich in die Geheimnisse der Larvenmacherei einweisen.




Ein Schatz im Keller: Stück für Stück übernimmt Esther Schwab die Formen von Anneliese Weider (Bild: Lucas Huber)

Stück für Stück übernimmt sie die Schätze aus dem Kelleratelier in Münchenstein, kauft Form um Form, und schliesslich wurden die beiden Frauen Freundinnen. Dank Schwab sind Weiders Ängste um das Lebenswerk ihres Mannes heute verflogen. «Etwas Besseres hätte mir gar nicht passieren können», strahlt sie und schmunzelt: «Und Esther ist sehr begabt; ich bin überrascht, wie schnell sie begreift.»

Schwab ist – wie Weider – keineswegs Fasnächtlerin. Wenn sie früher am Cortège in Basel anzutreffen war, holte sie sich lediglich Ideen für den Kindergarten. Heute bietet sie gemäss eigener Aussage als einzige in der Region Kurse in der Herstellung von Fasnachtslarven an. Die Kurse erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Für die nächstjährige Fasnacht will sie auch das Giessen der Modelle anbieten, bisher stellte sie die Rohlinge. «Die eigene Larve vom Gipsmodell bis zum letzten Pinselstrich und der eigenen Perücke, das ist es, was Fasnächtler wollen», sagt Esther Schwab. Sie schaut zu Weider und beide Frauen lächeln.

 

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