Der Trend läuft gegen die Frau

Wieder wurden die Frauen bei der Bundesratswahl übergangen. Das passt in eine Zeit, in der Sozialabbauer, Klimawandel-Leugner und Gender-Gegner auf dem Vormarsch sind.

Erst einmal stellten die Frauen die Mehrheit in der Regierung: Bundesrat 2011. (Bild: Keystone)

«Das Geschlecht kann nicht das einzige Kriterium sein.» Diese defensive Erklärung fiel in der Debatte, die bei der Kür des jüngsten Bundesrats heftig, aber nur kurz geführt wurde. Diese Erklärung diente denn auch als Rechtfertigung dafür, dass im konkreten Fall ein Herr C. und nicht eine Frau M. gewählt wurde und dass man in der Vorselektion die Frauen nicht stärker berücksichtigt hatte.

Doris Fiala, Zürcher Nationalrätin und Präsidentin der FDP-Frauen, machte sich in dieser Diskussion dafür stark, dass bei der nächsten FDP-Ersatzwahl ein rein weibliches Doppelticket aufgestellt und «ohne Wenn und Aber» eine Frau in die Landesregierung gewählt werde. Sollten sich die freisinnigen Männer nicht daran halten, könne es «nicht mehr» nur leise Töne geben.

Damit machte sich Fiala, die im Juni in der parteiinternen Vorauswahl für den Zürcher Stadtrat gegen einen Mann verloren hat, im Namen ihres Geschlechts selber stark und bediente mit konkreten Hinweisen auf valable Namen gleichzeitig künftige Kandidatinnen.

Die Spiele in der Politik

Bei der jüngsten Wahl ging es, wie immer, nicht nur um Geschlechterfragen. Andere Fragen waren wichtiger: die regionale Herkunft, wie wir gesehen haben, und insbesondere die innenpolitische Ausrichtung, wie man weniger gesehen hat.

Fiala hat sich nicht für eine Tessiner FDP-Kandidatin starkgemacht, die es hätte geben können. Doch diese Politikerin wäre wohl als zu links eingestuft worden. Und wäre sie gewählt worden, hätte Karin Keller-Sutter, die markante Rechtspolitikerin aus der Ostschweiz, bei der nächsten FDP-Vakanz keine Chancen mehr gehabt.

So laufen die Spiele in der Politik. Das betrifft auch die Ratslinke, die im aktuellen Fall so wenig geschlossen für die Frau votierte wie im Jahr 2000, als Rita Fuhrer Samuel Schmid unterlag.

Weniger Frauen, das passt zum Trend

Jetzt hat die Landesregierung nur noch zwei weibliche Mitglieder. Welch ein Gegensatz zu 2010, als es – wenigstens für 14 Monate – eine weibliche Regierungsmehrheit von 4:3 plus eine Bundeskanzlerin gab. Dann wurden Calmy-Rey und Widmer-Schlumpf mit Angehörigen des anderen Geschlechts ersetzt. Und das 2:5-Verhältnis ist in der jüngsten Ergänzungswahl nicht verbessert worden. Macht sich darin ein Trend bemerkbar?

Gesellschaftliche Trends lassen sich schwerlich an einer Stichprobe von sieben Einheiten ablesen. Denn deren statistische Verteilung hängt in hohem Mass von ganz spezifischen Konstellationen ab. Dennoch passt der Rückgang der Frauenpräsenz in der Landesregierung in das grössere Bild von Rückläufigkeiten.

Es wäre erstaunlich, wenn der Trend hin zu Renationalisierung, Sozialabbau, Lockerung des Landschaftsschutzes, Verharmlosung der Klimabedrohung u. a. m. nicht auch zu einer Infragestellung der Gleichstellungsbemühungen und zu verstärkter Polemik gegen Genderstudien führen würde.

Die alte Männerdominanz ist zwar geschwächt, doch besteht sie weiter und erschwert damit die Chancengleichheit.

Die Chancengleichheit der Geschlechter ist nach dem 20. September immerhin wieder zu einem Thema geworden. Dies kann zu Veränderungen führen, es kann aber auch das Gegenteil bewirken: ein Nichtstun, da man ja wieder einmal darüber gesprochen hat – Eile mit Weile.

Es geht aber irgendwie weiter: Die grüne Baselbieter Nationalrätin Maya Graf lancierte bereits in der letzten Session eine parlamentarische Initiative, die in der Verfassung analog zu den  Bestimmungen für Sprachen und Regionen eine «angemessene» Vertretung der Geschlechter im Bundesrat verlangt.

Dies würde eine Volksabstimmung erfordern. Eine solche wäre zu begrüssen, weil dann eine breite Diskussion über die Massnahmen zur Verbesserung der Chancengleichheit geführt werden müsste. Dass es um diese nicht gut bestellt ist, darüber ist man sich einig. Unwidersprochen bleibt auch die Feststellung, dass die Schweiz gegenüber anderen Staaten – nicht Saudi-Arabien, sondern vergleichbaren Ländern – diesbezüglich im Rückstand ist.

Wie stellen wir uns zu der helvetischen Rückständigkeit? Verbesserungen beziehungsweise Behebungen von gravierenden Missständen sind erst nach langen und mühsamen Kämpfen zustande gekommen. Manch einer findet wohl, dass man die Dinge mit dem Frauenstimmrecht 1971 und dem neuen Eherecht 1988 in Ordnung gebracht habe. Dabei ist die alte Männerdominanz zwar geschwächt, doch besteht sie weiter und erschwert damit die Chancengleichheit.

Die Gender-Gegner werden lauter

Uneinigkeit besteht in der ewig gleichen Frage, wie man zum Ziel kommt. In dieser Debatte stehen sich zwei Lager gegenüber: Eines will staatliche Vorschriften (also Quoten). Das andere will, dass es die Gesellschaft von alleine, also ohne Gesetze schafft, und setzt sich damit dem Verdacht aus, das Anliegen weniger ernst zu nehmen.

Basel-Stadt befindet sich im ersten Lager. 2014 hat sich dieser Kanton als Erster mit 57 Prozent für eine Frauenquote von mindestens einem Drittel für jene Aufsichtsgremien ausgesprochen, die der Kanton allein bestellt, etwa für den Bankrat der Basler Kantonalbank sowie die Verwaltungsräte der öffentlichen Spitäler und der Industriellen Werke Basel (IWB).

Nicht erstaunlich, dass die Gegner und Verächter der Gender-Forschung, die es schon immer gab, in jüngster Zeit wieder lauter geworden sind und in den Medien vermehrt Platz erhalten. Der Basler Ökonom Silvio Borner etwa nutzte seine Kolumne in der BaZ vom 4. August 2017, um den Gender Studies ähnliche ideologische Voreingenommenheit vorzuwerfen, wie sie die katholische Kirche oder die Marxisten hätten. Sie würden nämlich genetische und evolutionsbedingte Unterschiede zwischen den Geschlechtern verneinen. Dabei geht es ihm vor allem darum, die Märkte in Schutz zu nehmen vor dem angeblich erhobenen Vorwurf, dass sie das weibliche Geschlecht diskriminieren würden.

Da kann der Markt doch nichts dafür

Die Märkte? In Borners weiteren Ausführungen kommt vieles zusammen. Im Vordergrund steht aber der Arbeitsmarkt. Borner betont, dass es kein Marktversagen sei, wenn es wegen biologischen Differenzen und spezifischen Frauenprioritäten zu Lohnungleichheit kommt. Nicht erstaunlich, dass er sich gegen staatliche Regulierungen ausspricht, die er mit Lohnpolizei in Verbindung bringt.

Immerhin räumt der Ökonom ein, dass auch gesellschaftliche Rollen im Spiel sein könnten und «gerade» Mütter häufiger chanceneinschränkende Teilzeitarbeit «wählen» würden. Dafür könne der Markt aber nichts. Wer oder was ist also dafür verantwortlich?

Ein paar Tage vor Borners BaZ-Beitrag ist in der NZZ dargelegt worden, dass Frauen in gehobeneren Funktionen für den Lohn-Gap zum Teil selber verantwortlich seien. Sie würden weniger hart verhandeln als Männer, weil sie verinnerlichte Geschlechternormen reproduzieren würden, die verlangten, dass sie an andere denken, auf Harmonie bedacht und «angemessen weiblich» seien.

Normen und der Preis für Normenverstösse

Die Frage müsste folglich lauten, wie sich Individuen, ob Frau oder Mann, von vorherrschenden sozialen Normen leiten lassen und welchen Preis sie für Normenverstösse zu bezahlen bereit sind.

Das ist genau ein Aspekt, den die Gender Studies (und Historiker/innen, die sich mit dem Wandel der Rollenverständnisse beschäftigen) zuerst nennen und mit der Frage verbinden würden, wie weit diese Rollen eigenständig gespielt oder durch Zwänge zugewiesen würden. Zur Beantwortung dieser Frage braucht es, und dies ist integraler Bestandteil der Gender Studies, empirische Stereotypenforschung.

In früheren Jahren wurden von radikalen Gleichstellungsvorkämpferinnen biologische Unterschiede entweder völlig bestritten oder als wenig relevant eingestuft und als weitestgehend kulturell konstruiert verstanden.

Man muss nicht von Gleichheit ausgehen, wenn man Gleichberechtigung einfordert.

Inzwischen erfährt die biologische Determinierung in Kombination mit ausschlaggebender gesellschaftlicher Determinierung wieder mehr Anerkennung. Man muss nicht von Gleichheit ausgehen, wenn man Gleichberechtigung einfordert.

Gender-Forschung sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt unwissenschaftlich und ideologisch zu sein. Dies führt aber zur generelleren Frage, ob Wissenschaft sich einer sozialen Werteordnung verpflichtet fühlen und dennoch wissenschaftlich sein kann. Andere Wissenschaften (etwa in der Medizin oder der Jurisprudenz) sind auf ihre Weise ebenfalls wertgebunden und sehen sich diesem Vorwurf nicht ausgesetzt.

Zurück ins Bundeshaus: «Angemessene» Frauenvertretung kann man fordern, weil dies dem Gerechtigkeitsgedanken entspricht. Hinzu kommt die Erfahrungstatsache, dass geschlechtergemischte Gremien bessere Beratungsresultate produzieren. Das dürfte für den Bundesrat genauso gelten wie für viele andere Arbeitsumfelder.

Nächster Artikel