Der Turm, der Basels Stadtbild in Schieflage brachte

Schon lange ist er von fast überall in der Stadt sichtbar, jetzt wird der Basler Roche-Turm mit einer grossen Feier offiziell eingeweiht. Nicht alle Einwohner sind glücklich über den 178-Meter-Bau. Und auch aus Expertenkreisen ist Kritik am höchsten Gebäude der Schweiz zu hören.

(Bild: Gaspard Weissheimer)

Schon lange ist er von fast überall in der Stadt sichtbar, jetzt wird der Basler Roche-Turm mit einer grossen Feier offiziell eingeweiht. Nicht alle Einwohner sind glücklich über den 178-Meter-Bau. Und auch aus Expertenkreisen ist Kritik am höchsten Gebäude der Schweiz zu hören.

Am Freitag, dem 18. September, knallen die Korken. Roche eröffnet offiziell den Bau 1, wie das mit 178 Metern höchste Gebäude der Schweiz heisst. Die Feier wird zum Stelldichein von Wirtschaft und Politik. Und alle werden glücklich sein. Roche hat 550 Millionen Franken in Basel investiert, ihren Campus um 1800 Arbeitsplätze erweitert und sich auf lange Zeit hinaus über die Kantons- und Landesgrenzen hinweg im Ortsbild verewigt.

Politiker werden sich damit brüsten, für die Prosperität der gesamten Region gesorgt zu haben, indem sie einen der zwei grossen Steuerzahler der Stadt bei Laune halten. Sie werden sich freuen darüber, dass sich die Stadt auch weiterhin tolle Museen leisten kann, dass Basel den besten Fussballklub der Schweiz hat, dass man über ein einigermassen ausgeglichenes Kantonsbudget verfügt und den Expatriates, welche die personelle Basis für Novartis‘ und Roches Wachstum darstellen, weiter Steuererleichterungen gewähren kann.

Auch die Architekten von Herzog & de Meuron werden anstossen: auf ihr höchstes und teuerstes Projekt in ihrer Heimatstadt, mit dem sich das Büro ein Honorar von schätzungsweise 30 Millionen Franken gesichert hat. 

Krasser Eingriff ins Stadtbild

Und was hat die Bevölkerung von all dem? Sie wird mit dem städtebaulich krassesten Eingriff leben müssen, den je eine Schweizer Stadt erlebt hat. Einem städtebaulichen Eingriff, der die Baslerinnen und Basler von frühmorgens, beim Verlassen des Hauses, bis spätabend, wenn die Rolläden heruntergezogen werden, verfolgt.

Die Stadt ist eine andere geworden seit dem Bau des Roche-Turms; ihre Grössenverhältnisse sind in Schieflage geraten. Das 178 Meter hohe Gebäude ist fast doppelt so hoch wie der Messeturm, der bislang höchste Bau Basels. Es dominiert die Stadt wie niemals ein Gebäude zuvor.

Ein übergrosses Sägeblatt, ein Stapel aufgetürmter Paletten, ein abgebrochener Zahn, eine unvollendete Pyramide: Die Metaphern, die in der Stadt über den Bau 1 kursieren, sind oft wenig schmeichelhaft. Man macht Witze, dass man eine Karte derjenigen raren Orte erstellen sollte, wo sich der Turm einem nicht ins Blickfeld drängt. Und eine Kollegin meinte kürzlich, ob es denn noch keine App gebe, mit welcher man den Turm zumindest auf dem Bildschirm wegrechnen könne, für einen freien Blick auf den Basler Himmel.

Selbst wer sich nicht für Architektur und Städtebau interessiert: Der Turm zwingt einen, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Aber nicht nur Laien, auch Experten kritisieren, dass dem Turm jeglicher Bezug zur Umgebung fehle. Dass er ein Solitär sei, ohne dahinterstehende Idee oder Vision. Dass mit ihm ein Bruch in der Baugeschichte einer Stadt entstehe, deren Bild bis heute von Bauten aus dem 14. und 15. Jahrhundert geprägt ist.

«Präjudiz für die Schweizer Baukultur»

«Die gewalttätigste und respektloseste Architektur, die bis jetzt in der Schweiz gebaut wurde», kritisierte etwa der ehemalige Basler Kantonsbaumeister und Städteplaner Carl Fingerhuth den Roche-Turm in einem vielbeachteten NZZ-Kommentar bereits im Januar 2013. Und er ist überzeugt davon, dass der Bau weit über Basel hinaus Bedeutung hat: «Er ist ein Präjudiz für die gesamte Schweizer Baukultur.»

Bei der Roche wird der Turm erwartungsgemäss anders beurteilt. Für Roche-Standortarchitekt Jürg Erb wirkt der Turm auch heute noch einladend und tritt nicht in Konkurrenz zur nahegelegenen Altstadt am Kleinbasler Rheinufer. Er ist überzeugt, dass die Zustimmung zum Bau 1 nach anfänglicher Skepsis weiter zunehmen wird, sobald er genutzt wird. Für die abschliessende Beurteilung müsse man auch die Fernwirkung, die Nahwirkung aus Sicht des Fussgängers sowie die «Wirkung der Architektur aus dem Inneren des Gebäudes» in Betracht ziehen.

«Warten Sie nur ab, Bau 1 wird richtig gut werden», sagt Erb. Die «Innenwirkung» werden die meisten Basler allerdings nie erleben. Zwar wird es nächstes Jahr einen Tag der offenen Tür geben, sonst wird der Turm aber – inklusive Restaurant im obersten Geschoss – alleine den Roche-Mitarbeitern zugänglich sein.

Aus Müllers wenigen Worten zum damaligen Verfahren spricht eine Spur Verbitterung. Es ist, als könnte man die angespannte Stimmung in der SBK förmlich spüren. Zu einer wirklichen Auseinandersetzung sei es jedoch nie gekommen, so Müller. Der Kommissionspräsident sei bei den Sitzungen nämlich nur selten anwesend gewesen.

Wessels bestätigt dies auf Anfrage. Die Gestaltung müsse durch Fachleute beurteilt werden, sagt er, und dürfe nicht vom persönlichen Geschmack des Vorstehers des Bau- und Verkehrsdepartements abhängen. Wieso war dieser Vorsteher dann aber zugleich Präsident der SBK? Tatsächlich sei dies unsinnig, sagt Wessels heute. Deshalb wurde diese Doppelrolle vor zwei Jahren aufgehoben. Im Gegensatz zu Schuhmacher und Müller steht Wessels auch heute noch voll und ganz hinter dem Roche-Projekt: «Der Turm passt zu Basel und ist Ausdruck eines gesunden Selbstbewusstseins.» 

Wichtige Fragen, fehlende Antworten

Es scheint als könnten nicht nur viele Bürger Wessels Begeisterung für den fertig gestellten Monumentalbau nicht folgen, sondern auch diejenigen Teile der Verwaltung, die sich eingehend mit diesem auseinandergesetzt hatten. Man fragt sich: Wie war es möglich, dass Roches Pläne für den Bau 1, die weder den Geschäftsführer der Stadtbildkommission noch den Kantonsbaumeister überzeugten, in seiner heutigen Form bewilligt wurden?

Wir suchen Antworten im Bericht der Bau- und Raumplanungskommission zuhanden des Grossen Rats, mit dem 2010 die Bewilligung des Bebauungsplans von Roche und die Ablehnung von  Einsprachen beantragt wurde (vgl. Rückseite dieses Artikels). In der Einleitung hielt die Kommission fest: «Wer in Basel wohnt oder arbeitet, wird diesen Turm zwangsläufig fast jeden Tag sehen.» Deshalb müsse unbedingt die Frage danach gestellt werden, «(…) was dieses Bauvorhaben für die Entwicklung des Stadtbilds bedeutet und was mit einer Zustimmung zu diesem Vorhaben über die künftige Entwicklung des Stadtbilds ausgesagt werden soll».

Doch dabei blieb es. Eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Frage, die eigentlich die gesamte raumplanerische Beurteilung anleiten sollte, findet im Bericht nicht statt; mögliche Antworten darauf sucht man vergeblich. Dafür wird bereits im folgenden Abschnitt die «wirtschaftliche Bedeutung» von Roche für Basel herausgestrichen, die «nicht näher erläutert werden (muss)».

Viel ist im Folgenden auch von «Stadtbildverträglichkeit», von «Architektursprache auf höchstem Niveau» und Roches «langjähriger Verbundenheit» mit Basel zu lesen. Der Vorstoss des Pharmakonzerns wird gar als Schmeichelei an die eigene Adresse ausgelegt: «Das Interesse des Weltkonzerns an der Stadt Basel darf als Erfolg einer Politik verbucht werden, die der Standortpflege hohe Bedeutung zumisst.»

Kommissionspräsident und Hauptverfasser des Berichts war Andreas Albrecht, ehemaliger Präsident der Basler Kantonalbank, LDP-Politiker und Partner der Anwaltskanzlei Vischer, in der laut «Basellandschaftlicher Zeitung» «das Basler Epizentrum von Einfluss und Macht» liegt. Laut Kanzlei-Website beschäftigt sich Albrecht «mit allen rechtlichen Fragen grösserer Bauprojekte». Roche dürfte sich gefreut haben, dass ihr Geschäft in den Händen eines wirtschaftsliberalen Bau-Advokaten lag.

Die Kommission kam zum Schluss: «Der Standort für das geplante Hochhaus erweist sich als geeignet – auch wenn, was zuzugeben ist, ohnehin kaum Alternativen zur Verfügung stehen.» Das tönt nicht nach einem kritischen Urteil, sondern nach Kapitulation.

Hätte es denn wirklich keine Alternative zum jetzigen Turm gegeben, so wie es von der Politik hartnäckig dargestellt wird? «Roche wäre wahrscheinlich ohne den Turm ausgekommen», sagt der eingangs zitierte, international gefragte Städteplaner Carl Fingerhuth. «Das Hochhaus ist nicht aus funktionaler Dringlichkeit hergeleitet, sondern aus dem Willen zur Machtdemonstration.»

Alternativen wurden nie öffentlich diskutiert

Auch Alternativszenarien zum Baustandort wurden in der Öffentlichkeit nie diskutiert. Für Politiker sind solche Debatten Horrorszenarien. Denn es gilt: Je mehr Roche im eigenen Kanton, desto besser für die Wirtschaft, desto besser für den Kantonshaushalt, desto besser für die eigene Karriere. Selbst wenn man von den Basler Hochhausplänen nicht abweichen wollte, hätte man sich allerdings durchaus fragen können: Wieso nicht auf dem Roche-Areal in Kaiseraugst, das ebenfalls als Standort für den Turm geprüft wurde? Ein Industrieareal, mit bereits über 5000 Roche-Mitarbeitern, wo ein Hochhaus städtebaulich viel weniger ins Gewicht gefallen wäre als in Basel. 

Auch Hubertus Adam, Architekturkritiker und Leiter des S AM Schweizerisches Architekturmuseum in Basel, ist von der Alternativenlosigkeit des Baus 1 bis heute nicht überzeugt. Er bemängelt vor allem die Geheimniskrämerei während des Planungsprozesses. «Gerne hätte ich auch Alternativvarianten zum jetzigen Bau gesehen.» Nach Angaben von Roche wurden nämlich ursprünglich 80 verschiedene Möglichkeiten erarbeitet, wie das Volumen für die 1800 zusätzlichen Arbeitsplätze ausschauen könnte. Drei wurden der Regierung vorgelegt. Eine, der nun gebaute Palettenstapel, wurde der Öffentlichkeit präsentiert. Die ursprünglichen Planungen sind auch auf Anfrage nach wie vor nicht einsehbar.

Adam ist zwar bewusst, dass Roche als privater Bauherr auf eigenem Grundstück nicht dazu verpflichtet ist, seine Planungen dem Volk vorzulegen. Trotzdem findet er: «Dieser Turm betrifft am Ende jeden Bürger der Stadt. Ich hätte mir deshalb etwas mehr Transparenz erwünscht. Die Leute sind es nämlich leid, von solchen Megaprojekten überrannt zu werden.»

Fraglich ist auch, weshalb Roche nie einen Wettbewerb für seine Campus-Erweiterung ausgeschrieben hat, verlangt doch das Basler Hochhauskonzept «in der Regel» ein Wettbewerbsverfahren. Wieso beim höchsten Bau der Schweiz nicht? Der Auftrag ging direkt an Herzog & de Meuron, die in den vergangenen Jahren zu den inoffiziellen Hausarchitekten von Roche avanciert sind.

Ein Dank für die «Neumöblierung der Stadt»

Der Grosse Rat diskutierte den zuvor zitierten Bericht der Bau- und Raumplanungskommission am 20. Oktober 2010. Die meisten Regierungs- und Grossräte übernahmen für ihre Voten weitgehend dessen Wortlaut. Hans-Peter Wessels, Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartements, ergriff als einer der Ersten das Wort: «Wenn Unternehmen so grosse Investitionen tätigen, so ist das etwas sehr Erfreuliches. In diesem Sinne befinden wir uns in einer sehr vorteilhaften und beneidenswerten Situation.» Laut Wessels bestach der Entwurf von Herzog & de Meuron durch «Schlichtheit und Zurückhaltung» und dadurch, dass er sich «mit seiner Eleganz in das bestehende städtebauliche Erscheinungsbild einfügt».

Die Sitzung war ein Heimspiel für Wessels, Roche und Herzog & de Meuron. Die Fraktionen von SVP, EVP/DSP, LDP, CVP und SP argumentierten weitgehend identisch: Aus wirtschaftlicher Sicht sei Roches Standortbekenntnis hoch erfreulich und der Entwurf der Stararchitekten sei überzeugend – auch wenn viele betonten, dass das nicht einem grundsätzlichen Einverständnis ihrer Partei mit dem Hochhausbau gleichkäme. Schliesslich hatten sich viele Politiker bei anderen Hochhausplänen in Basel sehr viel kritischer geäussert.

Patricia von Falkenstein von der LDP nutzte ihre Redezeit gleich für ein Loblied auf Roche: «Wir sind dankbar für die Investition in unseren Wirtschaftsstandort und die dadurch entstehenden Arbeitsplätze. Wir sind dankbar für diese Bereicherung unseres Stadtbildes.» Bedeutend sei der Beitrag von Roche zur «Neumöblierung unserer Stadt».

Selbst die SP stimmte aus «ökonomischen und funktionalen» Überlegungen dem Projekt zu. Ästhetische Überlegungen müssten hingegen «als subjektiv qualifiziert werden», so Grossrat Tobit Schäfer. Spinnt man diesen Gedanken weiter, so bedeutet dies nichts anderes, als dass sich Fragen der Gestaltung des Stadtraums und des Stadtbildes erübrigen, weil sie «subjektiv» sind. Dies zugunsten von ökonomischen Dringlichkeiten.

Das geplante B¸rogeb‰ude 'Bau 1'

Schade, denn gerne hätte man auch über Form und Wirkung ihres Entwurfs gesprochen. Denn nicht nur Laien, sondern auch Architekturkritiker tun sich schwer damit. Zu einer unverkennbaren Identität der Stadt hätte das Hochhaus laut den Machern beitragen sollen. Abhängig von den Lichtreflexionen auf der Fassade würden die Balustraden und Fenster «zu einem leichten Volumen verschmelzen, das sich in Richtung Himmel auflöst», hiess es im Beschrieb von Herzog & de Meuron. Als Referenz wurde die horizontale Schichtung der Salvisberg-Fassaden aus den 1930er-Jahren bemüht.

«Wir wurden von Roche und den Architekten enttäuscht», sagt Grossrat Grossenbacher heute dazu. «Die Beschreibungen und Visualisierungen haben wesentlich mehr versprochen, als das, was der Bau 1 heute einlösen kann.» Auch deshalb habe sich der Grosse Rat damals viel zu rasch vom neuen Projekt überzeugen lassen. Wer sich die Visualisierungen von damals anschaut, ist tatsächlich überrascht von der Leichtigkeit und vom modernen Glanz, den der Turm trotz seiner Unförmigkeit und seines enormen Volumens ausstrahlt. 

Wie die «Doppelhelix» die Stadt zum Träumen brachte

Auch Hubertus Adam, selbst langjähriger Redaktor beim Architekturmagazin «archithese», kann den Versprechen und Referenzen nicht folgen. Er sieht im Turm ein relativ banales Abbild des von Roche geforderten Raumprogramms. «Es handelt sich um Zweckarchitektur; eine Stapelung von Geschossflächen, die mit einer Rasterfassade verhüllt wird. Das ist weder innovativ noch neu.» Dem Turm fehle der architektonische Ausdruck, kritisiert Adam. Dies im Gegensatz zum ersten, 2006 präsentierten Entwurf von Herzog & de Meuron: eine 154 Meter hohe Spirale, die sich tänzerisch in den Himmel schraubt. Elegant und spektakulär. Ein Bau, wie man ihn vom berühmtesten Architekturbüro Basels erwartet. Auch eine, die zum Träumen einlud und über die profanen räumlichen Ansprüche des grössten Grippemittel-Herstellers der Welt (Tamiflu) mit 88’000 Mitarbeitern hinausreichte. Viele Basler erkannten darin die Struktur einer DNA-Doppelhelix. Der Bezug zur Pharma und zur Stadt war gegeben.

Egal, wen man fragt, ob Schuhmacher, Fingerhuth, Grossenbacher oder Adam – alle finden den damaligen Entwurf wesentlich besser, als den nun realisierten Bau. Viele denken mit Wehmut daran, was hätte werden können. Doch Roche zog die Pläne für den «Doppelhelix»-Bau 2008 zurück: zu teuer, nicht den funktionalen Anforderungen entsprechend, ein 500-Sitzplatz-Auditorium, das nicht ins Volumen passe, Eiszapfen an der überkragenden Fassade, die zu Todespfeilen für die Passanten hätten werden können – die genannten Gründe waren mannigfaltig und teilweise schwer nachvollziehbar.

Derweil formulierte Franz Humer, zeitweise zugleich CEO und Verwaltungsratspräsident von Roche, seine Bedenken über einen zu gewagten, zu pompösen und zu hochmütigen Auftritt von Roche. Schliesslich stand Roche in Basel bisher für architektonische Zurückhaltung, Eleganz und Qualität. Die Bauten von Otto Salvisberg und diejenigen seines Nachfolgers Roland Rohn füllen ganze Architekturkataloge.

Das neue «Wahrzeichen» Basels wirft nicht nur die Frage nach der Repräsentation von Roche in Basel auf, es lässt auch Zweifel am vermeintlichen Glücksfall aufkommen, dass Herzog & de Meuron grosse Teile der Stadt bauen. Till Briegleb, Architekturkritiker des Kunstmagazins «art», hat dem Turm eine seiner «Abriss»-Kolumnen gewidmet. Für ihn ist der Entwurf «nur durch den typischen Masochismus einer Moderne zu erklären, die stur stumpf baut, aber selbst edel wohnt». Zudem ist er überzeugt, dass das «Büromassiv einen langen dunklen Schatten auf das Werk von zwei Architekten (wirft), die eigentlich grösste Verdienste für die Entwicklung einer abwechslungsreichen skulpturalen Architektur erworben haben».

Tatsächlich beschenkt das Architekturbüro die Stadt immer wieder mit sensiblen und atmosphärischen Entwürfen, wie zuletzt mit dem Naturbad in Riehen oder einem filigranen, luftigen Büroneubau auf dem Novartis-Campus. Unter Basler Architekten ist man sich einig: Niemand hat so viel für den Architekturstandort Basel gemacht wie die beiden Überväter.

Umso mehr stellt sich die Frage, wie sich der ungeliebte «Zweckbau» in das lange und faszinierende Werk der Architekten einordnet? Inwiefern ist ein global tätiges Büro mit 450 Angestellten auch darauf angewiesen, für Grosskonzerne wie Roche Millionenaufträge bauen zu können? Und was macht das mit der künstlerischen Haltung, die Jacques Herzog und Pierre de Meuron in Interviews gerne für sich behaupten? Man hätte sie gerne gefragt.

Lange wurde Kritik an Herzog & de Meuron in Basel nur hinter vorgehaltener Hand geäussert. Das ist nicht weiter erstaunlich: Die beiden Architekten werden in der ganzen Welt gefeiert. Kritik zu Hause wirkt dadurch oft etwas provinziell. Zudem: Niemand will es sich mit den Übervätern auf dem eigenen Terrain verscherzen. Zumal viele Gründer von Basler Architekturbüros einst selbst bei Herzog & de Meuron ihr Handwerk erlernten.

Kritik mehrt sich

Trotzdem mehrte sich die Kritik in letzter Zeit. Zum Beispiel, als sie mit der Neugestaltung des Messeplatzes vor vier Jahren die Achse Badischer Bahnhof–Mittlere Brücke durch eine Überdachung kappten. Im Auftrag der Messe Schweiz AG und mitfinanziert vom Kanton. Für viele, darunter auch Regula Lüscher, die baselstämmige Berliner Senatsbaudirektorin, war damit in Basels Stadtplanung erstmals eine Grenze überschritten worden.

Doch Herzog & de Meuron sind mittlerweile nicht nur eine globale Marke, sondern besonders in Basel auch zu einem politischen Faktor geworden. Ein aktuelles Beispiel: Herzog & de Meuron bauen bald das Casino am Barfüsserplatz um. Dies, nachdem der sehr expressionistische Entwurf der irakischen Architektin Zaha Hadid in einem Referendum verworfen worden war. Wer immer mit den Stars auf dem Platz baut, erntet bei Politikern – und oft auch bei den Bürgerinnen und Bürgern – Begeisterung und Zuspruch. 

Gelegentlich betreibt Jacques Herzog sogar in aller Öffentlichkeit Politik. So beim Wettbewerb für den Neubau des Basler Kantonsspitals. Herzog & de Meurons Beitrag landete lediglich auf dem zweiten Platz. Herzog wandte sich an die Medien und sprach sich gegen das Siegerprojekt von giuliani.hönger ag aus Zürich aus. Sein Hauptargument: Der geplante 60 Meter hohe Turm sei eine «unglaubliche Massstabsverletzung» und ein städtebaulicher Fehler. Sein Appell wurde sogleich von der Politik aufgenommen und mündete in die Forderung, die Wettbewerbsbeiträge nochmals zu prüfen.

«Sie sprechen mit vielen Zungen», sagt Carl Fingerhuth über die Architekten von Herzog & de Meuron. Er hatte während seiner Zeit als Kantonsbaumeister mehrmals mit dem Büro zusammengearbeitet und nennt Jacques Herzog noch immer «einen alten Freund». Einige der damals realisierten Bauten findet er bis heute grossartig wie etwa das Wohn- und Geschäftshaus an der Schützenmattstrasse 11, das eine einstige Baulücke füllt. «Aber der Roche-Turm zeigt eine radikal andere Haltung als damals. Er verhält sich so, als ob es die Stadt darum nicht gäbe.» 

Ausdruck der realen Machtverhältnisse

Einer, der das alles ein wenig anders sieht, ist der Stadtsoziologe Philippe Cabane. «Als die Endhöhe des Turms erreicht war, dachte ich plötzlich: Alle anderen Bauten in Basel sind etwas zu klein geraten.» Cabane gefällt die Radikalität und Funktionalität; der Roche-Turm sei ein Zweckbau und verhülle dies auch nicht. «Er zeigt die realen Machtverhältnisse in Basel – das hat eine brutale Ehrlichkeit.»

Zudem sei ihm ein solcher Solitär viel lieber, als die Privatisierung von ganzen Strassen wie im Fall der Hüningerstrasse, die vom Novartis-Campus geschluckt wurde. Man müsse sich zudem nichts vormachen, der Roche-Turm sei am Ende ein Produkt informeller Stadtplanung. «Wir denken bei informeller Planung meist an die Wagenburg im Rheinhafen, geduldete Hausbesetzungen oder Slums in Entwicklungsländern. Aber das Roche-Projekt entstand ähnlich informell: Da wurden auf oberster Regierungsebene beide Augen zugedrückt.»

Cabane sieht darin aber nicht grundsätzlich ein Problem, denn erst in diesen Spannungsfeldern entstünden Spielräume für interessante Entwicklungen in der Stadt. Er hat dies selbst bei der Zwischennutzung des ehemaligen Güterbahnhofs der Deutschen Bahn (nt/Areal/Erlenmatt) erlebt. Einerseits hat die Stadt ihre gesetzlich möglichen Ermessensspielräume ausgenutzt; andererseits bewirtschaftete sein Verein die Flächen so, dass informelle Aktivitäten Dritter möglich wurden.

Sicher hat Cabane Recht: Erst durch einen gewissen Grad an Chaos entsteht Urbanität, und unkontrollierte Räume sind das Salz in durchregulierten Städten. Und doch ist die öffentliche Betroffenheit eine andere, ob man eine alte Bahnkantine neu bespielt oder einen 178 Meter hohen Turm in die Stadtsilhouette hineinbaut. Auch Cabanes Kritik am «gschmäcklerischen» Diskurs ist teilweise nachvollziehbar. Aus einer kosmopolitischen Perspektive und im Hinblick auf die Herausforderungen in Megastädten wie Jakarta, Manila oder Lagos wirkt es provinziell, wenn sich nun Stadtbewohner und Journalisten über das erste wirklich hohe Haus der Stadt empören.

Mit dem zweiten Turm soll alles besser werden

Mehr architektonische Zurückhaltung wünscht sich dagegen Rahel Marti, Chefredaktorin der Schweizer Architekturzeitschrift «Hochparterre». In einem Interview zum Roche-Turm mit der «Schweiz am Sonntag» brachte sie es so auf den Punkt: «Bildet sich die Realität des globalen Marktes so direkt ab, setzt eine Stadt ihre Identität aufs Spiel.» Ein Unternehmen mit einem Konzerngewinn von 9,5 Milliarden Schweizer Franken (2014) hat das Potenzial, die Identität einer Stadt für immer zu verändern. Zum Guten genauso wie zum Schlechten. Das gilt nicht nur für Basel, das gilt für die ganze Welt. 

In einem Punkt sind sich die meisten Befürworter und Kritiker nach Vollendung des Roche-Turms einig: Mit dem Bau 2, einem zweiten Turm, 205 Meter hoch, den Roche bis 2021 auf seinem Campus bauen will, wird das Einsiedlertum des nun fertiggestellten Baus etwas entschärft. Durch den grossen Bruder könnte ein Ensemble entstehen, das zwar noch immer nicht schön ist und nichts mit Basel zu tun hat, in sich jedoch eine gewisse Logik und Ästhetik entfaltet.

Von Bau 2 und der geplanten Campus-Gesamterneuerung mit vier zusätzlichen Büro- und Laborgebäuden hat die Öffentlichkeit erst vergangenen Oktober erfahren. Zu einem Zeitpunkt, als der erste Turm schon fast seine Endhöhe erreicht hatte. Roche hat mit dem Bau 1 Fakten geschaffen, die eine städtebauliche Diskussion darüber obsolet machen, inwiefern das Wachstum des Konzerns auf 8000 Mitarbeiter bis 2022 innerhalb der knappen Raumverhältnisse in Basel verträglich ist. Und auch darüber, inwiefern das Tempo, die Dynamik und Radikalität des globalen Marktes die Identität der Stadt zu zerreissen drohen.

Zwar wurden nach Auflage der Baupläne zum weiteren Ausbau im Juli deutlich mehr Einsprachen aus der Nachbarschaft eingereicht als beim bestehenden Turm (89 gegenüber 19). Aber weder Roche noch Herzog & de Meuron dürften sich deswegen Sorgen machen. Schliesslich sind sie sich der ungebrochenen Unterstützung durch die Basler Politik sicher.

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