Der Verkehr brummt, das Geschäft nicht

Das Iselin-Quartier ist für die meisten Stadtbewohner ein blinder Fleck. Wir gingen vor Ort und sahen genau hin.

(Bild: Matthias Oppliger)

Das Iselin-Quartier ist für die meisten Stadtbewohner ein blinder Fleck. Wir gingen vor Ort und sahen genau hin.

Jeden Morgen stauen sich die Autos auf der Burgfelderstrasse Richtung Stadt. Und am Abend in die andere Richtung. Die Achse Missionsstrasse–Burgfelderstrasse ist eine typische Zubringerstrecke. Zweimal täglich reihen sich Grenzgänger aus dem Elsass an Berufspendler auf dem Velo; dazwischen rattern Trams im Minutentakt, aus den Quartierstrassen strömen die Fussgänger.

Diese Achse trennt auch das St. Johann vom Iselin. Iselin? Der auf Karten und in Statistiken vermerkte Namen des Viertels zwischen französischer Grenze, Burgfelderstrasse und Spalenring, ist kaum jemandem geläufig. Die meisten sagen Kannenfeld oder Hegenheimer-Quartier, wenn sie Iselin meinen.

Aber nicht nur der Name des Quartiers ist vielen Stadtbewohnern nicht bekannt. Wer nicht dort wohnt, findet nur selten den Weg in die Strässchen südwestlich des Kannenfeldparks. An der Peripherie der Stadt ist die Infrastruktur eher bescheiden. Hier wohnt man vorwiegend oder geht zur Schule. Thomas Kessler, Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung, beschreibt das Iselin denn auch als «mittelständisches Wohnquartier». Wirft man einen Blick in die Statistik, kommt man zum Schluss: Das Iselin ist glattes Mittelmass. Wichtige Kennziffern wie der Ausländeranteil (34,8 Prozent) und der Wohnungsleerstand (0,5 Prozent) entsprechen recht genau dem städtischen Durchschnitt.

Das gefühlte Durchschnittsquartier

Aber auch gefühlt, so erzählen Quartierbewohner, ist das Iselin ein Durchschnittsquartier. Hier gibt es alles, aber von allem nicht zu viel und nicht zuwenig. «Was Durchschnitt ist, fällt nicht auf», sagt Angelina Koch vom Stadtteilsekretariat Basel West. Man müsse schon etwas näherzoomen, um das Iselin zu verstehen und zu erkennen, was die Statistik nicht verrät.

«Es fällt zum Beispiel auf, dass die Anzahl Arbeitsplätze im Quartier in den letzten zwanzig Jahren markant zurückgegangen ist», sagt Koch. Früher habe es hier viel Gewerbe gegeben und die Quartierbewohner konnten sich an jeder Ecke in den unterschiedlichsten Quartierläden versorgen. Heute stehen viele Ladenlokale leer, manche Shops wechseln in kurzen Abständen die Besitzer.

«Dieses Quartier ist tot», sagt Erotic-Shop-Besitzerin Erica Schönauer.

Wenn überhaupt noch irgendwo, dann brummt das Geschäft allenfalls noch rund um den Burgfelderplatz. Dort steht auch die Iselin-Institution schlechthin. Der Käseladen an der Colmarerstrasse 10 ist einer der wenigen Gründe für die restlichen Stadtbasler, den Weg hierhin auf sich zu nehmen. Seit fast 60 Jahren befindet sich die ehemalige Molkerei in den Händen der Familie Wirth, seit 30 Jahren steht Alex Wirth hinter der Käsetheke. Von dort aus hat er das Auf und Ab im Quartier beobachtet. Auch das Lädeli-Sterben blieb ihm nicht verborgen: «Wer durch die Strassen des Quartiers spaziert, dem fallen einige leere Ladenlokale auf.»

Ladensterben im Iselin

Eine Unternehmerin, die ihre Ladentüre demnächst für immer schliesst, ist Erica Schönauer. Im Dezember beginnt in Erica’s Erotic-Shop der grosse Ausverkauf. Danach verlegt sie ihre Tätigkeit dorthin, wo man mit Sexspielzeug noch Geld verdienen kann, ins Internet. Schönauer ist unverblümt wie die Filme, die sie verkauft. «Dieses Quartier ist tot», lautet ihr vernichtendes Urteil.

Ganz so drastisch will es Koch vom Stadtteilsekretariat nicht ausdrücken, aber auch sie beobachtet den Wegfall der Arbeitsplätze im Iselin mit gemischten Gefühlen. «Man müsste halt wissen, wo genau das Problem liegt», sagt sie. Wenn ein Laden zumachen müsse, weil für sein Angebot keine Nachfrage mehr besteht, sei das zwar bedauerlich, habe jedoch mit dem Quartier selbst nichts zu tun. «Wenn es jedoch beispielsweise den Geschäften entlang der Missionsstrasse schlecht geht, weil es zu viel Autoverkehr und zu wenige Fussgänger hat, dann wäre das natürlich problematisch», sagt Koch.

Mit dem Verkehrsaufkommen auf der Missions- und der Burgfelderstrasse beschäftigte sich vor wenigen Wochen auch der Grosse Rat. Mitte Oktober hat das Parlament eine Summe von 350 000 Franken gesprochen. Damit soll die Machbarkeit eines «Verkehrs- und Gestaltungsprojekts Burgfelderstrasse – Missionsstrasse – Spalenvorstadt» geprüft werden. Auf der ganzen Strecke sollen die Tramhaltestellen behindertengerecht gemacht werden, wie Marc Keller auf Anfrage erklärt.

Hoffnungen, dass sich daraus auch eine Aufwertung der Strasse ergibt, will Keller dämpfen. «Natürlich prüfen wir, ob im Zuge dieser Umgestaltung beispielsweise auch gleich die Trottoirs verbreitert oder einige weitere Bäume gepflanzt werden können.» Aber der Spielraum in diesem konkreten Projekt sei relativ klein. Es gehe vordringlich darum, die heute unbefriedigende Verkehrssituation etwas zu entspannen, sagt Keller.

Stau auch vor den Currytöpfen

Eine andere Art von Stau kann man jeden Mittag im Tang Asien Supermarket beobachten. Zwischen zwölf und zwei pilgern die übriggebliebenen Angestellten und die Studenten zu den Currytöpfen am Spalenring 1. Das frisch gekochte Essen kann farblich locker mithalten mit den abgepackten Saucen und dem kitschigen Dekor. Dass es ausserdem besser schmeckt und billiger ist als jede Kantine oder Hochschulmensa hat sich offenbar herumgesprochen, die Wartezeiten sind beträchtlich. Der «Tang» ist eine weitere Antithese zum toten Quartier.

Im gleichen Gebäude, jedoch auf der anderen Seite, befand sich einst das Sexkino «Corso». Zwei Jahre bevor Erica Schönauer feststellen musste, dass sich mit Pornos kaum noch Geld verdienen lässt, ging auch in den schummrigen Säälen des «Corso» das Licht zuerst an und dann für immer aus. Der Inhaber der Liegenschaft, Bruno Schär, ein Solothurner Immobilienverwalter, will aus den beiden Kinosäälen nun Luxuslofts machen. In der Glasvitrine, wo früher Silikonbrüste auf Filmplakaten um die Zuschauergunst buhlten, hängen nun Schärs Handynummer und zwei Wohnungsgrundrisse. Der Aushang datiert vom Februar 2012, der Verkauf scheint zu stocken.

Davon will Schär jedoch auf Anfrage nichts wissen. «Mein Verkaufsagent hat die Räume schon sehr vielen Interessenten gezeigt.» Aber natürlich sei es schwierig, für Wohnungen dieser Grösse und Preisklasse Käufer zu finden, räumt Schär ein. Er sei froh, dass die Gegend ihr Schmuddelimage losgeworden sei. «Das Quartier und besonders der Burgfelderplatz haben in den letzten Jahren gewonnen.»

Dazu beitragen könnte auch das Café Bologna, ein von Studenten betriebenes Lokal, das in diesen Tagen seine ersten Veranstaltungen durchführt (tageswoche.ch/+bipld). Die offizielle Eröffnung allerdings stellt Projektinitiator Marc Stöckli auf Mitte Dezember in Aussicht. Er habe zahlreiche Mails von Anwohnern erhalten, die sich alle auf die neuen Nachbarn freuen würden.

«Die Leute reden über zwei Dinge: Scientology und Verkehr.»

Markus Christen, Quartierblogger der TagesWoche

Mit dem Quartierblogger Marcus Christen hat die TagesWoche einen regelrechten Korrespondenten vor Ort. Christen weiss, was die Quartierbewohner im Moment beschäftigt: «Die Leute reden über zwei Dinge: Scientology und Verkehr.» Nach mehreren Medienberichten über die Pläne der Scientologen, im Quartier eine Grosskirche zu bauen, seien viele Anwohner besorgt. Das bestätigt auch die Präsidentin des Neutralen Quartiervereins Kannenfeld, Andrea Knellwolf. «Ich werde immer wieder auf das Thema angesprochen.»

Ebenso skeptisch wie die Kirchenbaupläne der Scientology verfolgen die Iselin-Bewohner die Baustelle am Luzernerring. Dort soll als verkehrsberuhigende Massnahme die Spur verkleinert werden. «Dass dies zu einer Entlastung führt, glaubt hier keiner», sagt Marcus Christen. In den Häusern und Siedlungen entlang dem Luzerner- und dem Wasgenring sei der Unmut gross, «wer kann zieht weg.»

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