Die älteste Schweizerin kommt aus dem Baselbiet

Das Baselbiet hat ab heute offiziell die älteste Bewohnerin der Schweiz: Alice Roffler wird 110 Jahre alt. Wir gratulieren herzlich und bieten Einblick in ihr Leben. Vor zwei Jahren hat sie der TagesWoche das Geheimnis ihres langen Lebens verraten: Kirsch.

Alice Roffler mit 108 Jahren, 2014 feiert sie ihren 110 Geburtstag und ist offiziell die älteste Schweizerin.

Das Baselbiet hat offiziell die älteste Bewohnerin der Schweiz: Alice Roffler ist am 14. April 2014 110 Jahre alt geworden. Wir gratulieren herzlich und bieten Einblick in ihr Leben. Vor zwei Jahren hat sie der TagesWoche das Geheimnis ihres langen Lebens verraten: Kirsch.

«Nie hätte ich gedacht, dass ich mal 108 Jahre alt werde. Ich finde es schön – stolz bin ich jedoch nicht darauf. Ich weiss nicht, wie es so weit kommen konnte, aber ich glaube, ich habe dies der Kirche zu verdanken – und manchem Liter Kirsch. Nein, den Kirsch hab ich nie getrunken. Ich habe mir nur damit die Beine, Füsse, den Rücken und die Herzgegend eingerieben. Auch heute tue ich das noch regelmässig. Das stärkt den Körper!

Hoher Besuch zum Geburtstag: Regierungspräsident Urs Wüthrich überbringt der Jubilarin gegen 10.45 Uhr persönlich an der Spitze einer kleinen Delegation des Kantons an ihrem Wohnort die besten Wünsche der Baselbieter Regierung. Der Regierungsrat freue sich sehr, dass die Jubilarin eine Vertretung des Kantons eingeladen habe, mit ihr diesen ausserordentlichen Tag zu feiern, berichtet Onlinereports.

Seit fast 80 Jahren befeuchte ich zudem dreimal täglich meinen Kopfwirbel. Das soll gut sein für das Gedächtnis, habe ich mal im Fernsehen gesehen. Und tatsächlich: Ich bin gar nicht vergesslich, ich kann mich an alles sehr gut erinnern. Das ist das Einzige, was mir von der Röhre geblieben ist. Ich habe sonst nicht viel geguckt. Denn im Fernsehen gehen sie schon um 18 Uhr miteinander ins Bett. Das muss ich nicht sehen. Heute hab ich keinen Fernseher mehr und bin zufrieden damit. Es wäre auch sinnlos, zumal ich nicht mehr gut sehe und höre.

Für mein Alter bin ich aber noch bei guter Gesundheit. Das liegt sicher auch daran, dass ich 40 Jahre kein Fleisch gegessen, weder Butter noch Fett zu mir genommen und regelmäs­sig gefastet habe. Seit ich im Altersheim bin, esse ich wieder Fleisch. Das Essen hier ist mässig. Aber man isst halt, was auf den Tisch kommt. Aufs Dessert verzichte ich immer, ausser wenn mir Früchte angeboten werden. Und auch auf Koffein verzichte ich. Ich bin dem Vater im Himmel sehr dankbar, dass es mir gut geht und ich keine Schmerzen haben muss. Das ist nicht selbstverständlich.

Bis 84 auf dem Velo

Aufgewachsen bin ich im solothurnischen Däniken, in Aarau habe ich meine Schneiderinnen-Lehre gemacht. Auf dem Beruf hab ich jedoch nie gearbeitet. Denn schon kurz nach der Lehre lernte ich meinen Mann Heinrich in Birsfelden kennen, 1931 heirateten wir und ein Jahr später kam unser Sohn, ebenfalls Heinrich, zur Welt. Mein Mann war ein Tüchtiger, ich hatte ihn sehr gerne und tue es immer noch. Ich war glücklich mit ihm. Auch zu meinem Sohn pflegte ich eine enge Beziehung

Beide sind inzwischen tot, mein Mann bereits seit 37 Jahren, mein Sohn seit 2008. Ich bin froh, hat der Vater im Himmel sie so lange leben lassen. Viele Menschen müssen früher sterben. Mein Sohn hat mir eine grosse Familie hinterlassen. Ich habe 7 Enkelkinder, 11 Urgrosskinder und 1 Ururgrosskind. Es geht ihnen allen gut, sie reisen viel herum. Ich selber war nie im Ausland, ich hatte schon so genug um die Ohren.

Mit meiner Familie hatte ich ein Haus in Muttenz mit acht Hektaren Garten. Ich habe sehr vieles selber angepflanzt – Zucchini, Blumen, Zwetschgen, Trauben oder Brombeeren. Am Glücklichsten war ich aber, als ich für eine Kleiderfabrik arbeiten durfte. Während 40 Jahren fuhr ich mit dem Velo herum und habe deren Kleider verkauft. Ich hatte Kunden in Muttenz, Pratteln, Münchenstein und Basel. Ich hab viel verdient dabei, bis zu 30 Franken am Tag.

Bis 84 konnte ich dieser Arbeit nachgehen, dann ging die Firma Konkurs. Ich fand das gar nicht so schlimm, denn somit konnte ich mich wieder vollumfänglich dem Garten und dem Haus widmen. Zudem nähte ich mir jedes Jahr selber ein Kleid. 14 Jahre ging das gut. Mit 98 erwischte mich aber ein heftige Erkältung, sodass ich ruhebedürftig wurde. Ich werde diesen Moment nie vergessen. Wir mussten dann das Haus verkaufen, und seither bin ich im Altersheim. Es hat mir vom ersten Tag an hier gefallen, ich fühlte mich sofort zu Hause.

Die Freude auf das Jenseits

Viel kann ich im Altersheim zwar nicht machen. Meistens liege ich im Bett, mache Arm- und Augenübungen oder sitze auf dem Stuhl herum. Nur selten gehe ich raus und setze mich auf eine Bank. Es ist noch kein Jahr her, da brauchte ich keinen Gehwagen und konnte noch alleine aufs Tram gehen. Das ist jetzt nicht mehr möglich.

Auch nur noch selten gehe ich mit Begleitung in die Kirche. Ich verstehe ohne Hörhilfe nichts, aber wenn ich diese anhabe, fallen mir immer Haare aus. Ich gehe immer zwischen 19 und 19.30 Uhr ins Bett, weil die Pfleger mich wegen meiner trockenen Haut eincremen müssen. Oft bin ich dann bereits um 3 Uhr wach. Dann muss ich warten, bis sie mich wieder abholen und mir die Stützstrümpfe anziehen. Es ist schon nicht toll, wenn man warten muss, bis die Zeit vorbeigeht. Aber irgendwie geht sie immer vorbei.

Für mich ist der Sinn des Lebens, ein gutes Leben zu führen, sodass man wieder zum Vater in den Himmel kommt. Das ist das Schönste, das Wahre. Auch die Gesundheit und das Kinderhaben gehören für mich zu einem erfüllten Leben.

Noch älter will ich nicht werden. Ich warte jeden Tag auf das Ableben. Ich wäre jeden Tag bereit dafür. Aber ich weiss halt nicht, wie lange ich noch hier sein muss. Ich wäre froh, wenn das Leben hier bald mal zu Ende wäre, ich zu meinen Lieben gehen könnte. Ich weiss, dass ich im Jenseits wieder mit meinem Mann zusammenleben werde und wir uns wieder lieb haben können. Der Heilige Vater hat es mir so offenbart. Das ist wunderbar und schön! Ich kanns kaum erwarten. Doch bis es so weit ist, muss ich halt geduldig sein und warten. Da kann man nichts machen. Es ist wie es ist. Aber ich freue mich auf den Tod.»

Aufgezeichnet von Yen Duong.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.12.12

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