Der Detailhandel besteht auf immer längeren Öffnungszeiten. Die Möglichkeiten schöpft er aber schon jetzt nicht aus. Der Grosse Rat muss dennoch erneut über eine Liberalisierung entscheiden.
Verkaufen! Möglichst lange und am liebsten an sieben Tagen in der Woche. Die Forderung des Detailhandels ist immer die gleiche. Die Antwort des Volkes an der Urne auch: nein. Vergangenen Samstag haben sich erneut zwei Kantone gegen eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten ausgesprochen. Die Zürcher wollen gar nicht rund um die Uhr einkaufen, Luzerner am Samstag nach 16 Uhr auch nicht mehr.
Der Detailhandel aber wird nicht müde zu behaupten, die Bevölkerung wolle länger shoppen. In Basel muss der Grosse Rat nächste Woche über eine Verlängerung der Öffnungszeiten entscheiden. Die Wirtschafts- und Abgabekommission schlägt vor, den Ladenschluss am Samstag von 18 auf 20 Uhr zu verschieben.
Der Entscheid für die Verlängerung fiel in der Kommission knapp aus, 6 zu 4 bei einer Enthaltung. Sollte der Vorschlag angenommen werden, haben SP und Unia schon ein Referendum angekündigt. «Der Samstag ist nicht verhandelbar», sagt SP-Fraktionspräsidentin Tanja Soland. Zwei Stunden länger arbeiten am Samstag sei ein massiver Eingriff ins Privatleben der Angestellten, sagt Franziska Stier, Gewerkschaftssekretärin der Unia Nordwestschweiz: «Der Besuch von Konzerten, einem Fussballspiel oder auch nur ein Essen mit Freunden oder Familie wäre unmöglich.» Verschärft wird der Konflikt dadurch, dass die Gewerkschaften seit über einem Jahr mit dem Basler Detailhandel um einen neuen Gesamtarbeitsvertrag ringen. Ihr Standpunkt: Ohne GAV keine Stunde mehr Arbeit.
Die Detailhändler argumentieren wie in den vergangenen Jahrzehnten: Ohne Liberalisierung sei der Standort Basel nicht konkurrenzfähig gegen die liberaleren Nachbarländer sowie das vollständig liberalisierte Baselbiet.
«Schwache Kundenfrequenz»
Dabei schöpft der Detailhandel die gesetzlichen Möglichkeiten in Basel nicht einmal aus: Die Geschäfte könnten wochentags bis 20 Uhr offen sein und am Samstag bis 18 Uhr. Wer in Basel aber nach 18.30 Uhr einkaufen will, steht in der Innenstadt meistens vor verschlossenen Türen. Manor und ein paar wenige Filialen von Coop und Migros haben bis 20 Uhr geöffnet. Doch Warenhäuser wie Pfauen, Globus, Coop City, der Megastore von Interdiscount schliessen Montag bis Mittwoch bereits um 18.30 Uhr. In Liestal, wo die Geschäfte bis spät in die Nacht geöffnet haben könnten, schliesst Manor von Montag bis Donnerstag um 19 Uhr, am Samstag um 17 Uhr.
Selbst während der Abendverkäufe läuft das Geschäft nicht für alle rund: Die Buchhandlung Thalia Basel hatte von 2005 bis im Sommer 2011 am Donnerstag und Freitag abends bis 20 Uhr geöffnet. Inzwischen verzichtet der Buchladen aber auf den zweiten Abend – wegen «schwacher Kundenfrequenz». Wenn schon Grossketten Mühe haben mit einem rentablen Abendverkauf, liegt es auf der Hand, dass viele kleine Geschäfte ganz darauf verzichten.
Beim Widerstand gegen die weitere Liberalisierung der Öffnungszeiten geht es den Gegnern nicht nur um die Angestellten, sondern auch um die kleinen und mittleren Geschäfte. «Sie können sich eine Ausdehnung gar nicht leisten», sagt Soland. «Von der Liberalisierung profitieren nur die Grossverteiler.» Zum gleichen Schluss sind die Experten vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gekommen. In einem Bericht von 2005 schreiben sie klar, dass die Liberalisierung «den Strukturwandel von kleinen zu grossen Geschäften beschleunigt». Sie halten weiter fest, dass der Gesamtumsatz sich nur «schwach» erhöhe.
Gefragt sind Lebensmittel
Rentabel ist das Food-Geschäft. Gerade hier bestehen in Basel mit den zahlreichen Quartierläden bereits Angebote bis spät in die Nacht. Die meisten sind Familienbetriebe, können deshalb nach dem Ladenöffnungsgesetz jeden Tag inklusive Sonntag bis 22 Uhr offen sein. Wer am Abend Brot, Käse und etwas Salami braucht, fährt deshalb nicht über die Grenze.
Hinter den Liberalisierungsbestrebungen stehen vor allem die Detailhandelsriesen wie Migros, Coop, Denner und auch Manor. In den Wochen vor den Abstimmungen in Zürich und Luzern machten die Chefs der Unternehmen in den Medien mächtig Dampf für gesamtschweizerische Öffnungszeiten bis 20 Uhr an allen Wochentagen sowie am Samstag. Zusätzlich fordern sie vier Sonntagsverkäufe pro Jahr.
Im Herbst entscheidet das Parlament in Bern gleich über zwei weitere Liberalisierungsvorstösse. Langsam stellt sich schon die Frage, wie die Politiker nach dem deutlichen Nein in Zürich und Luzern entscheiden. Die Meinung der Bevölkerung scheint eindeutig: Egal, ob St. Gallen, Freiburg, Neuenburg oder das gerne als Weltsstadt gerühmte Genf – in den letzten Jahren hiess es bei jeder Liberalisierungsabstimmung: nein.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.06.12