Helft mir! Seit ich mich mit Verschwörungstheorien befasse, werde ich zum umgekehrten Verschwörungstheoretiker. Ich hinterfrage jegliches Hinterfragen und stelle fest (oder bin ich wahnsinnig?!), dass mein eigenes Weltbild und das meines eher linken bis alternativen Umfelds durchzogen ist von Verschwörungstheorien light.
Während es lange Zeit verpönt war, Fakten zu misstrauen und stattdessen religiösen Autoritäten oder «alternativen Wahrheiten» zu glauben, ist es nun zunehmend verpönt, «offiziellen» Darstellungen zu vertrauen. «Ich glaube, dass der Anschlag im Bataclan eine inszenierte Aktion unter falscher Flagge war», dieser Satz löst inzwischen fast weniger Empörung aus, als wenn man sagt, man habe sich durch eine Vielzahl von Artikeln grosser Zeitungen gekämpft und meine nun, ein ungefähres Bild der Lage in Syrien zu haben.
Gerade Krieg oder Despoten werden immer von Verschwörungstheorien light umgeben. «Ja, Assad ist ein Kriegsverbrecher, aber die Amis und das Öl…» «Ja, Gaddafi war ein Irrer, aber geht es Libyen jetzt besser?» «Ja, Putin ist ein homophober Oligarch, aber von seinen guten Seiten wird in den westlichen Medien kaum berichtet.» «Ja, Trump ist ein Idiot, aber Kriegstreiber Obama war auch nicht viel besser.»
Man geht davon aus, dass alles immer anders ist, als es in den offiziellen Berichten steht. Dass man damit riskiert, Diktaturen und Genozide zu relativieren, geht dabei unter.
Eine blauäugige Auslegung der Weltgeschehens
Ich trete deshalb dieser stets misstrauischen Auslegung des Weltgeschehens als Kontrast mit einer vielleicht zu blauäugigen entgegen: In einem Staat herrschen fiktive und reale Missstände – zum Beispiel Dichtestress und Lohnungleichheit. Nationalisten und Demagogen beackern diese Themen, um Gruppen gegeneinander auszuspielen und davon in Form von Machtzuwachs zu profitieren.
Als Feindbilder bieten sich «schmarotzende Ausländer» oder «dekadente Eliten» an. Mit dieser Dualität lassen sich linke und rechte Weltbilder in der Wut einen. Die Demagogen sind geschickt, das Volk ist in Rage, die armen Sündenböcke kommen unter die Räder. Menschenrechtsverletzungen, Krieg und Genozid sind oft die Folgen davon.
Oder Terror. Terror ist der hyperaktive kleine Bruder von Krieg. Auslöser und Ablauf sind aber die gleichen. Es gibt Missstände, dann kreieren Hetzer Feindbilder, es eskaliert in kopfloser Gewalt.
Wenn sich Misstrauen zur Paranoia auswächst, droht eine Zersplitterung der Weltgemeinschaft.
Gehen wir einmal von folgendem zugegebenermassen etwas schön gefärbtem Bild aus: Es gibt eine moderne aufgeklärte Welt, die sich nach den Schrecken der beiden Weltkriege darauf geeinigt hat, die Menschenrechte zu wahren, zusammenzuhalten und im Notfall gezielt gemeinsam gegen Despoten vorzugehen.
Sollte also in einem Land die Gefahr von Unterdrückung einer Gruppe oder gar Völkermord akut werden, muss sich die Nato ein- und die Aggressoren ausschalten.
Schon klar, die Vorstellung, dass die Nato als «Weltpolizei» im Namen der Menschenrechte kämpft, ist problematisch und vielleicht naiv, auf jeden Fall erfordert sie einen grossen Vertrauensvorschuss. Und hier schiebt sich das erwähnte Misstrauen ins Bild.
Und wenn sich dieses Misstrauen nicht als Skepsis äussert, sondern zur Paranoia auswächst, droht eine Zersplitterung der Weltgemeinschaft und als Folge eine Lähmung der Nato. Und das wiederum gibt Nationalisten und Diktaturen mehr Handlungsspielraum.
Grosse Verbünde sind wichtig, ein möglichst globales Rechtssystem ist ein Garant für den Weltfrieden.
Dieser Prozess ist bereits in vollem Gange. Während sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine kollektive Besinnung auf Verständigung und gemeinsames Wahren der Menschenrechte etablierte, während in den Jahrzehnten danach Mauern gefallen, Bündnisse geschlossen und Rechte erkämpft wurden, erleben wir nun seit über 15 Jahren Rückschritte, Zersplitterungen, Streit. Schuld ist das Misstrauen und sein unbegrenzter Spielplatz: dieses Internet.
Meine provokative These lautet also: Nicht die Grossmächte und ihre Institutionen sind die grösste Bedrohung für die moderne Zivilisation, sondern der kleine Mann und seine Angst vor den Grossmächten. Das macht alles viel komplizierter. Das vereint links und rechts, Intellektuelle und Aluhüte, Christen und Moslems.
Das führt dazu, dass Freunde von mir, die diesen Text lesen, denken werden, ich legitimiere die Gehirnwäsche von Grossmächten. Was ich in Wirklichkeit sagen will: Grosse Verbünde sind wichtig, ein möglichst globales Rechtssystem inklusive ausführender Organe ist, solange intakt, ein Garant für den Weltfrieden und die Weiterentwicklung der modernen Gesellschaft.
Die Welt ist so friedlich, gesund und genährt wie noch nie.
Dieses Konstrukt muss natürlich hinterfragt und immer wieder optimiert werden, aber vieles läuft gut. Besser als früher. Im letzten Jahrhundert stand die Welt in Flammen und Millionen sind gestorben an Hunger und Krankheit. Heute gibt es nach wie vor Brandherde, Hunger und Krankheit, wer sich aber die Statistiken anschaut, sieht: Die Welt ist so friedlich, gesund und genährt wie noch nie.
Zu verdanken hat sie das neben dem technischen Fortschritt unter anderem dem Fakt, dass sich Nationen verbinden und verständigen und gemeinsame Institutionen zur Wahrung von Frieden und Gerechtigkeit etablieren.
Grundvertrauen bewahren
Das ständige Misstrauen gegenüber allem Globalisierten, Institutionalisierten vielleicht Westlichen behindert die Entwicklung einer moderneren, friedlicheren Welt. Ich bewahre mir ein Grundvertrauen: in den Journalismus, in die UNO und die EU, ja sogar in die Nato.
Mir ist bewusst, dass das naiv wirken mag. Manche Alternativen dazu wirken auf mich dafür brandgefährlich. Wer die Gefahr nicht sieht, soll sich mal fragen, was es für die Geschichte des Zweiten Weltkrieges bedeuten würde, wenn alles anders sein soll, als gemeinhin angenommen. Wenn alles von den westlichen Mächten, allen voran den USA, zurechtgebogen wurde.
Schneller als man denkt, wird der Holocaust dann zu einer Übertreibung oder gar Erfindung, die dazu dient, die Kriegsverbrechen der Amerikaner zu überdecken. Das glauben mehr Leute, als man denkt. Und das ist brandgefährlich.