Zuerst will Petra Kiefer gar nicht mit uns reden. Zu traurig ist die Geschäftsführerin des Bücherladens Narrenschiff. Doch dann gibt sie sich einen Ruck: «Alles andere wäre nicht souverän.» So stehen wir jetzt vor dem Narrenschiff. Wie das Eckhaus da zwischen Steinentorstrasse und Klosterberg zur Spitze ausläuft, hat es wirklich ein bisschen die Anmutung eines Schiffs – mit dem Laden als Bug, der das Wasser links und rechts trennt.
Zehn Jahre lang war Kiefer Kapitänin das Narrenschiffs. 1976 stach es im Hof der Schmiedenzunft in See, 2012 legte es an der Steinentorstrasse an. Gestern verschickte Kiefer ihren Kundinnen und Kunden per Newsletter die schlechte Nachricht: Das Narrenschiff geht Mitte Mai unter, bereits am Samstag, 18. März beginnt der Räumungsverkauf. Als der Newsletter raus war, «ging was ab: E-Mail um E-Mail kamen herein, von Kunden, die enttäuscht sind», sagt Kiefer.
Man möchte nicht weg hier. Sondern einen Stapel Bücher nehmen und sich vom Zufall in die Lektüre leiten lassen.
Was die Kundschaft hier bekam, erhielten sie nirgends sonst: Ein Lyriksortiment, das sich noch Sortiment nennen darf. Ein Angebot an philosophischer Literatur, das über Bestseller von Rolf Dobelli hinausgeht. Gilles Deleuze hat ein ganzes Regalbrett für sich allein, links über ihm breitet sich Hannah Arendt aus, weiter unten Jacques Lacan, Eva Illouz, Zygmunt Bauman und so weiter. Dafür keine Schickimicki-Tischchen, überladen mit Kinkerlitzchen, die glitzern, aber nichts nützen.
An der Steuerbordseite des Narrenschiffs steht die Belletristik. Und was für eine! Klar, «Die dunkle Seite des Mondes» findet man auch hier, aber eben auch die «Dunkle Kammer», das Traumbuch von Georges Perec, dem grossen französischen Nachkriegsautor. Und Literatur von noch ferner, sortiert nach Kontinent und Land. Auf der einen Seite erforscht Bourdieu Algerien, auf der anderen wird eine Koreanerin zur Vegetarierin.
Wo anfangen zu lesen?
Egal. Hauptsache nicht mehr aufhören. Man möchte nicht weg hier. Sondern einen Stapel Bücher nehmen, in einen Sessel sitzen und sich vom Zufall in die Lektüre leiten lassen. Oder vom Unbewussten, eine eigene «verborgene Bibliothek» anlegen, wie der Argentinier Alberto Manguel.
So machen es viele Narrenschiff-Kundinnen und -Kunden. «Die meisten kamen ohne spezifische Kaufabsicht», sagt Kiefer. Sie hätten geschaut, was so da sei, lustvoll geblättert und seien am Ende mit drei Büchern wieder raus. «Das ist wahre Inspiration, die kriegt man im Internet nicht.»
Ja, dieses Internet. Es ist natürlich mit schuld am Niedergang des Narrenschiffs. Mit gescheiten Büchern lässt sich schlecht Geld machen, heutzutage. Lange Zeit hatte der Schwabe Verlag, dem das Narrenschiff seit dem Jahr 2000 gehört, sich den Bücherladen trotzdem geleistet.
Doch damit ist jetzt Schluss. «Die Lage im Buchhandel und das Druck- und Verlagsgeschäft lassen eine Quersubventionierung nicht mehr zu», schrieb der Schwabe Verlag in der Medienmitteilung. Im Oktober 2016 hat Susanne Franzkeit die Verlagsleitung übernommen und eine neue Ausrichtung angekündigt. Die wird nun sicht- und spürbar.
Die Geschäftsräume werden jetzt in ein «Haus der Verlage» umgewandelt, in dem die Verlage Schwabe, Zytglogge und Bergli Books ihre Produktionen ausstellen. Das Narrenschiff wird zum – ja was? Hausboot? Geisterschiff? Für Veranstaltungen soll der Ort weiterhin zur Verfügung stehen. Aber sich als Leserin von der Kapitänin Petra Kiefer in die Untiefen des Bücherozeans steuern lassen, das geht nicht mehr.