«Alkohol, Alkohol und noch mehr Alkohol!» Mit diesem Rezept gewann Chloé Merz einen grossen Cocktail-Wettbewerb. Was in ihrem «Travelling Tombstone» drinsteckt, erzählt sie im Video.
Zum Interview-Termin am Vormittag erscheint Chloé Merz verspätet. Die Barchefin des Conto 4056 am Voltaplatz musste ausschlafen, nachdem sie als erste Frau und Schweizerin die Made in GSA Competition – den Wettbewerb deutschsprachiger Cocktail-Kreateure gewonnen hat. Das musste natürlich gefeiert werden.
Ein Klassiker des Nachtlebens – denkt sich der Journalist als das Sorry-SMS summt. Doch als Merz dann mit sportlichem Schwung von ihrem Starrlauf-Flitzer springt, sind weitere Barkeeper-Klischee-Gedanken verflogen.
Die junge Frau ist schon vor dem ersten Kaffee hellwach und bester Laune. Mit breitem Grinsen zählt sie die schlagenden Argumente ihres Siegerdrinks «The Travelling Tombstone» auf, der sich im Wettbewerb gegen die 183 Rezepturen der anderen Barkeeper durchsetzte: «Alkohol, Alkohol und noch mehr Alkohol!»
Ein Geheimnis sind die Zutaten ihres flüssigen Grabsteines nicht: «Der Drink besteht aus Whisky, Wermut und Bergamotte Brand», alles aus europäischer, wenn möglich sogar lokaler Produktion wie es das GSA-Regelwerk verlangt. «Dazu kommen Earl-Grey-Teeblätter, Zuckersirup und Zitronenzeste», ergänzt Merz.
«Ich mag keine süssen Sprudel-Drinks mit Chichi drum, lieber etwas Starkes und ein Glas Wasser dazu.»
Alkoholisch wie aromatisch ziemlich starke Zutaten und sicher kein sommerlich fruchtiger Drink. Merz stellt persönliche Vorlieben über saisonale Tendenzen: «Ich mag keine süssen Sprudel-Drinks mit Chichi drum, lieber etwas Starkes und ein Glas Wasser dazu.»
Die Fachjury auf der Dachterasse des Ritz-Carlton in Wien überzeugte sie bei sengender Sonne und 40° Celsius. «Wir kämpften alle damit, die Drinks runterzukühlen, ohne sie zu verwässern», erinnert sie sich lachend.
Der Wettkampf wurde übrigens als Reaktion auf einen amerikanischen Drink-Connaisseur ins Leben gerufen, der nach einer Europareise klagte, dass er nirgendwo Drinks mit lokalen Spirituosen und anderen Spezialitäten angeboten bekam.
Von Colorado nach Davos
Merz selbst hat einen Grossteil ihres Lebens in den USA verbracht. Mit zehn Jahren zog ihre Familie von Basel nach Orange County in Kalifornien. Wegen ihrer Leidenschaft für das Snowboarden und Downhill-Biken wechselte Merz für das Studium von den Stränden im Süden des Bundesstaates in die Berge nach Lake Tahoe und weiter in den Norden nach Colorado.
Dort lernte sie erst die Grundlagen in Physik und Wirtschaft, vor allem aber ihren heutigen Mann kennen. Den Uni-Abschluss machte sie dann in Umweltwissenschaften und bekam 2011 eine Stelle am Lawinenforschungsinstitut in Davos angeboten. Also beschloss Merz mit ihrem Mann eine Wintersaison in den Schweizer Bergen zu verbringen.
Nach vier Monaten hatte Merz bereits genug von der wissenschaftlichen Arbeit und wechselte zurück in die Gastronomie, wo sie seit dem 14. Lebensjahr jobbte. «Ich mag den Stress und die sozialen Kontakte im Service viel lieber als die ruhige Laborarbeit.» Mit Drinks-Mixen hatte sie allerdings nichts am Hut, bis sie nach dem Winter in den Bergen nach Basel kam, «um mal wieder zu meinen Roots zurückzukehren.»
Vom Hinterhof ins Conto
Bei einem Treffen mit einem alten Freund aus Primarschultagen kam per Zufall der ehemalige Chef der Hinterhof Bar an den Tisch und Merz bekam einen Job am Tresen des Clubs. «Anfangs durfte ich bloss Bier zapfen und Mineral ausschenken», erinnert sie sich. Hochprozentiges durfte nur mixen, wer in der Barhierarchie oben stand. Erst nach internen Schulungen liess man sie Longdrinks und Mojitos ausschenken, dann endlich auch Cocktails mixen.
Merz kam auf den Geschmack, besuchte weitere externe Schulungen und war bald Herrin über die Bar der Dachterrasse – bis es hiess: Der Hinterhof schliesst. «Das war nach Jahren in einem tollen Team ein ziemlicher Schlag.»
Merz hatte sich mittlerweile in der Basler Barszene einen Namen gemacht und fand schnell einen neuen Job. «Leider schneller als die Verlängerung des Betriebes im Hinterhof bekannt wurde», erinnert sich Merz, «die Stimmung war sehr familiär.» Doch auch bei den weiteren Stationen bis zum Engagement als Chef de Bar im Conto machte sie bis auf eine Ausnahme nur positive Erfahrungen. «An jedem Tresen gibt es neue Inspiration für das eigene Schaffen und das Personal unterstützt sich gegenseitig.»
Als Wettbewerbsgewinn kann Merz unter fachkundiger Führung eine Woche lang die besten Tresen von New York kennenlernen.
Umso mehr freute sie, konnte sie ihren Sieg in Wien mit Christoph «Chutz» Stamm feiern, der mit seiner Kirsch-Kreation «Hanami» nicht nur den zweiten Platz im Gesamtklassement belegte, sondern auch den Sieg bei der Kategorie Obstbrand & Obstgeist holte. «Sein Angels Share (ein Porträt gibt es hier) ist meine heimliche Lieblingsbar», gesteht Merz. An diesen Tresen wird sie jedoch nicht wechseln. Wenn schon träumt sie von einer eigenen Bar im Kleinbasel: «Das Angebot in der Gegend ist schon sehr toll, doch gibt es sicher noch eine neue Nische, die das Barleben weiter beleben kann.» Konkrete Pläne hat sie noch nicht.
Weitere Inspiration kann sie aber diesen Sommer in New York holen, wo sie als Wettbewerbsgewinn unter fachkundiger Führung eine Woche lang die besten Tresen der Stadt kennenlernen kann. «Die kleinen Geheimtipps, sind so versteckt, dass man die Bars als normaler Tourist gar nicht findet.» Den Trip verbindet sie mit Familienbesuchen und Treffen alter Freunde, die sie in Basel vermisst.
Doch obwohl sie und ihr Mann stets offen für Neues durchs Leben ziehen: Gleich in den USA bleiben ist für beide kein Thema, obwohl aus der geplanten Wintersaison in der Schweiz nun sechs Jahre wurden: «Das politische Trauerspiel um Trump beobachten wir lieber aus der Ferne», erklärt Merz, verliert für einen kurzen Moment ihr Lachen und spült den Ärger mit Kaffee runter.
Zeit für einen Schnaps? Nein, Spirituosen geniesst sie lieber in schönen Momenten.