Hilfe, das Biertrinken wird immer komplizierter! Einfach mal den Kühlschrank mit günstigem Lager auffüllen geht längst nicht mehr, nein, die Freunde trinken jetzt alle Craft Beer, was immer das auch ist. Am Basler Biermarkt gibt es über 20 Brauereien mit zig Sorten. Und sogar die Bierregale in den Grossverteilern werden immer länger.
Die Freunde wissen das, längst haben sie einen Workshop über Craft Beer besucht und können mitreden. Doch selber hat man von Hopfen und Malz kein Ahnung – was tun? Jemand fragen, die Bescheid weiss.
Ilona Dinkel (29) ist Bier-Sommelière bei der Ulrich AG, einem unabhängigen Bier-, Wein- und Spirituosenhändler. Am 16. September leitet sie einen Workshop über Bier aus Kleinbrauereien.
Frau Dinkel, ist das Bier der neue Wein? Mir scheint, man darf an einer Party kaum mehr mit einem hundsnormalen Lager auftauchen, nein, es muss schon ein superspezielles Bier aus einer superspeziellen Kleinbrauerei sein.
Nein, so weit sind wir noch lange nicht. Viele Schweizer probieren nicht gerne Neues aus, sondern bleiben bei ihrem Lager. Das hat auch seine Berechtigung, zum Beispiel am Fussballmatch oder als Durstlöscher während des Feierabends.
Aber trotzdem: Wer urban und aufgeschlossen ist und etwas auf sich hält, der trinkt englisches Indian Pale Ale (IPA).
Wie kommen Sie darauf?
Sie bieten im September wieder einen Kurs über Craft Beer an, letzte Woche veranstaltete das Hotel Krafft einen Workshop mit Degustation, Kleinbrauereien schiessen aus dem Boden und der Basler Biermarkt ist so erfolgreich, dass er dieses Jahr neu an zwei Tagen stattfindet.
Moment mal, bei all diesen Events geht es aber nicht nur um IPA, sondern Craft Beer allgemein.
Ist das nicht dasselbe?
Nein, das meinen immer alle. Aber Craft Beer ist einfach Bier aus kleinen Brauereien, die unabhängig von den grossindustriellen Betrieben brauen. IPA ist eines davon, ein stark gehopftes dunkelblondes Bier mit etwas höherem Alkoholgehalt, und weil es in den USA im Trend ist, gilt es auch hier als cool. Aber es gibt noch viel mehr Sorten.
«Biertrinker sind viel gelassener als Weinfreaks. Noch, jedenfalls.» Biersommelière Ilona Dinkel (Bild: Andrea Fopp)
Also muss ich beim Bier auch bald über einen langen Abgang fabulieren?
Entspannen Sie sich: Biertrinker sind viel gelassener als Weinfreaks. Noch, auf jeden Fall.
Woran erkennen Sie das?
Wenn ein Bierliebhaber zu mir in den Laden kommt, dann möchte er oft etwas Neues ausprobieren und kauft Biere, von denen er noch nie gehört hat.
Und der Weinfreak?
Der möchte häufig seine Freunde beeindrucken und fragt nach einer berühmten Marke. Haben wir sie nicht da, geht er mit leeren Händen wieder. Ich kann ihm noch so spannende Alternativen anbieten, er interessiert sich nicht für den Wein, nur für’s Prestige.
Typisch Mann, muss immer den Hirsch raushängen. Wobei, Bier gilt ja eigentlich als Männergetränk…
Nein, das ist ein Gerücht, das Grossbetriebe gerne streuen, um so Sachen wie Eve auf den Markt zu bringen, und es als Spezialbier für Frauen zu verkaufen, weil es weniger bitter und süsser ist als normales Bier.
Das schmeckt aber nicht wie Bier.
Finde ich auch nicht. Und ich komme aus Bayern, da trinken sowieso alle Frauen Bier.
«Einige Frauen haben vielleicht Angst, dass sie nach einem Bier rülpsen müssen.»
Und in der Schweiz?
Da gibt es vielleicht einige, die Angst davor haben, nach einem Bier zu viel rülpsen zu müssen.
Kann man eigentlich Bier an einem romantischen Date trinken?
Ja, klar, ich würde ein helles, fruchtiges, sprudliges Bier empfehlen, das an einen Champagner erinnert.
Springen Männer auf ein Bier an, wenn Sie es «fruchtig» und «sprudlig» nennen?
Nein, aber bei der Romantik haben sie ja sowieso nichts zu melden.
Und in Ihren Workshops?
In meinen Kursen habe ich ebenso viele Frauen wie Männer, und meist wissen sie erst noch besser Bescheid. Und sie sind auch neugieriger und wollen mehr neue Sorten ausprobieren, Männer bleiben eher bei ihrem Favoriten.
Offenbar hat Bier ziemlich viel mit der Persönlichkeit zu tun.
Ja, das ist so.
Dann machen wir doch ein Experiment. Ich zeige Ihnen Bilder von Redaktorinnen und Redaktoren der TagesWoche, und Sie geben mir ein passendes Bier für sie mit.
Oh, das ist schwierig.
Dominique Spirgi, Redaktor Kultur und Region
Die Bierexpertin sagt: «Dem geben wir etwas Englisches, er sieht nach einem kultivierten Mann mit einem klassischen Geschmack aus, da passt das Oatmeal Stout der Brauerei Samuel Smith.»
Das sagt das Versuchskaninchen: «Das ist genau mein Bier – es hat eine erfrischende Herbe.»
Karen N. Gerig, stv. Chefredaktorin
Die Bierexpertin sagt: «Das muss eine toughe Frau sein, die traut sich bestimmt, Neues auszuprobieren und trinkt alles mögliche: Whiskey, Bier, Wein. Wissen Sie was? Ich gebe ihr eines meiner Lieblingsbiere, dendunkeln Andechser Doppelbock. Das ist eine Traditionsmarke, das Bier schmeckt kräftig, vollmundig, süss – genau das Richtige, um am Abend runterzukommen.»
Das sagt das Versuchskaninchen: «Der Doppelbock schmeckt mir. Aber es gibt selten ein Bier, das ich nicht mag.»
Amir Mustedanagić, Leiter Newsdesk
Das sagt die Bierexperin: «Mit seinen unordentlichen Haaren und seinem Bart sieht dieser junge Mann so aus, als ob er auf der IPA-Welle mitschwimmen könnte. Desalb gebe ich ihm das Snake Dog IPA der amerikanischen Brauerei Flying Dog. Ich finde das übrigens gut mit den Männern und ihren Bärten. Mein Mann hat auch einen, mein Vater hatte einen, ohne sehen sie zu jungenhaft aus.»
Das sagt das Versuchskaninchen: «Das Bier ist mir viel zu bitter. Vielleicht würde ich es in einer Bar bestellen, aber nach einem Schluck würde ich es meiner Freundin weiterreichen und mir ein anderes nehmen.»
Naomi Gregoris, Kulturredaktorin
Das sagt die Bierexpertin: «Bei ihr ist der Fall klar: Sie kriegt das Hitachino Nest, ein japanisches Bier mit rotem Reis und fruchtigem Erdbeer-Geschmack der Kiuchi Brewery. Sie sieht nicht aus wie eine Frau, die Bier trinkt, sondern erinnert mich an eine typische Französin mit einem Glas Rotem in der Hand, natürlich, und einem Faible fürs Schöne. Die Etikette mit der Eule wird ihr bestimmt gefallen.»
Das sagt das Versuchskaninchen: «Das ist in der Tat ein schickes Glasfläschchen, das könnte ich als Kerzenständer brauchen. Das Bier schmeckt gar nicht wie Bier, deshalb mag ich es.»
Elin Fredriksson, Kulturpraktikantin
Diese moderne, junge Frau hat bestimmt einen Freundeskreis, der gerne mittrinkt, da muss etwas Stylishes, Geselliges her: ein Stirling der jungen Brauerei La Nébuleuse in Lausanne. Die jungen Männern brauen klassisch angehaucht und trotzdem auf ihre eigene Weise.
Das sagt das Versuchskaninchen: «Ich mag das Bier nicht so gern, es ist mir zu bitter. Am liebsten trinke ich ganz normales Lagerbier, noch lieber ein Panaché.»
Gabriel Brönnimann, Leiter Regio
Das sagt die Bierexperin: «Das muss ein Geniesser sein, ein Weintrinker, der bestimmt Käse liebt. Ihm empfehle ich ein schweres, belgisches Bier, das zum Käse passt, ein hochprozentiges Chimay. Es wird von Trappister Mönchen gebraut, die den Erlös für das Bier für soziale Zwecken spenden.»
Das sagt das Versuchskaninchen: «Es ist süffig, aber zu süss, eine gute Sache macht noch kein gutes Bier. Ich trinke lieber ein günstigeres, dafür besseres Bier. So hat man dann noch Geld für soziale Zwecke seiner Wahl übrig. Und für mehr Bier.»
Frau Dinkel, ich würde sagen, unsere Redaktoren sind nicht so durchschaubar, wie der gängige Biertrinker. Oder die Fotos sind irreführend. Mich haben Sie aber persönlich erlebt, was geben Sie mir mit?
Andrea Fopp, Redaktorin Leben
Das sagt die Bierexperin: «So viele Fragen, wie Sie mir gestellt haben, müssen Sie eine komplexe Frau sein. Und eine, die gerne Neues entdeckt. Ich empfehle Ihnen deshalb auch ein japanisches Bier, ein spannendes Hitachino White Alemit Orangeschalen drin.»
Das sage ich: «Beim ersten Schluck denke ich zu sehr an Limonade, weil das Bier so fruchtig schmeckt, aber beim dritten Schluck hat es mich gewonnen.»
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Basler Biermarkt, Vogesenplatz St.Johann
Freitag, 26.August, 17 bis 23 Uhr
Samstag, 27.August, 16 bis 22 Uhr