Die Debatte zur Scientology-Story der TagesWoche

Haben nicht alle Kirchen als fiese Sekte angefangen? Eine Nachlese zum viel diskutierten Scientology-Wochenthema der TagesWoche basierend auf den zahlreichen Kommentaren unter unseren Texten.

Gesprächsbedarf: Scientology gibt zu Reden – auch in den Kommentarspalten der TagesWoche. (Bild: Hans-Joerg)

Haben nicht alle Kirchen als fiese Sekte angefangen? Eine Nachlese zum viel diskutierten Scientology-Wochenthema der TagesWoche basierend auf den zahlreichen Kommentaren unter unseren Texten.

Die Berichterstattung der TagesWoche über den neuen Hauptsitz von Scientology in Basel gibt viel zu reden. Dutzende Kommentare bereichern, hinterfragen und erweitern unser Wochenthema zur Sekte. Dabei wurde auch das eherne Gesetz jeder Internet-Diskussion befolgt: Irgendwann zerfranst die Debatte rettungslos. Alles in allem erfreuen wir uns aber über einen interessanten Diskurs, in den sich nebst der treuen Community auch neue Namen, darunter einer der bekannten Basler Scientologen eingemischt haben.

An dieser Stelle wollen wir einen Strang der Community-Debatte hervorheben. Es geht um die Frage, ob Scientology als Sekte wirklich speziell ist und eine gesonderte kritische Betrachtung verdient – oder nicht ganz ähnlich funktioniert wie andere Glaubensgemeinschaften.

Am Ende des Beitrags findet sich für Interessierte zudem ein Video-Interview der Kollegen von «Vice» mit Mark Rathbun, einem früheren Top-Scientologen. Rathbun ist die zentrale Figur einer vielbeachteten Dokumentation über die Sekte des US-Senders «HBO».

Den Anfang macht User Leroy Jenkins: 

«Ich sehe nicht ganz, wo hier der Unterschied zu den ‹etablierten› Religionen sein soll. Sehen wir von der reformierten und der katholischen Kirche mal ab, denn die stehen als einzige ‹staatlich gesegnete› Kirchen unter einem gewissen Transparenzdruck, dann fallen bei bei Scientology, christlichen Freikirchen und gewissen islamischen Glaubensgemeinschaften die gleichen Muster auf.»

Herr Jenkins hat folgende Kriterien ausgemacht, welche Scientology mit anderen Gruppierungen angeblich verbindet:

  • Apostasie um jeden Preis verhindern, mit scharfen Konsequenzen für Familien- und Sozialleben drohen.
  • Krebsartiges Vermehrungssystem, versuchen, irgendwo einen Keim reinzusetzen und diesen dann wuchern zu lassen
  • Bedingungsloses Folgen der Dogmen
  • Unkritisches Aufnehmen gewisser Schriften
  • Der dumme und bireweiche Glaube an Kreationismus

Damit trifft Leroy Jenkins den Nerv von Karl Linder, zeitweise recht aktiver Grünliberaler in Basel.

«Leroy Jenkins formuliert das gut. Die Unterscheidung, was negativ ist bei solchen Gruppen, scheint etwas willkürlich zu funktionieren. Man hat das Gefühl, dass die einen, welche hier viel Kontra-Engagement an den Tag legen, dann andererseits anderen religiösen Gruppen politisch neue Gebetsräume organisieren möchten (auch wenn diese eine Fatwa gegen Salman Rushdie unterstützen resp. nicht ablehnen wollen…). Das bedingungslos freie Denken ist hier der beste Ratgeber. Aber einige scheinen auf dem einen Auge blind zu sein.»

Leser Dänny denkt das Argument dann ein Stück weiter. Er wirft ein, dass jede Weltreligion einmal als verfolgenswerte Sekte angefangen hat:

Alle ‹offiziellen› Religionen haben einmal als kleine irrationale Sekten angefangen. 1. Gebot: ‹Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.› Das ist das A und O jeder Glaubensgemeinschaft, denn wenn jemand selber zu denken oder gar zu zweifeln beginnt, sprich an andere Götter glaubt, ist das ganze Unterfangen dem Untergang gewidmet. Ob der Mensch sowas braucht? Ich bezweifle es, denn wieso soll man an etwas glauben, das man auch wissen kann?

Ins selbe Horn stösst der gelegentliche TaWo-Kolumnist Piet Westdijk. Er führt die Diskussion unter einem Porträt des Physikers Andreas Aste weiter, der argumentiert, weshalb er sich gegen Scientology engagiert.

«Es ist nett, wie sich da ein Physiker gegen eine irrationale Sekte wehrt. Es hat aber auch etwas Naives. Mit denselben Argumenten kann man nämlich auch die offiziellen Religionen bekämpfen, nicht nur Sekten. Es ist hier ganz wichtig, das Kind nicht mit dem Badewasser auszuschütten. Das Religiöse entspricht einem menschlichen Bedürfnis, das nicht rational ist. Was ist es denn? Er selber spricht von einer ethischen Ahnung im Menschen. Selber frage ich mich, ob es sich hier um das große Geheimnis des Menschen handelt, der im Christentum Abbild des Schöpfers genannt wird?»

Sind sich also alle einig? Weit gefehlt. Stellvertretend für die Riege der Kritiker am Versuch, Scientology mit anderen Religionsgemeinschaften gemein zu machen, Andreas Aste:

«Mit Begriffen wie der Ethik ist es wie mit dem Naturrecht; wir verfügen über keine Methoden, die uns eine absolute Begründung derselben ermöglichen. Entsprechend ist die Wahl unserer Handlungsregeln eine persönliche. ‹How come existence› – niemand kann bislang fundamentale Fragen dieser Art beantworten. Möglicherweise ist die Realität zu komplex, um von Menschengehirnen adäquat erfasst zu werden. Man hat ja bislang auch keine Kuh im Literaturclub bei der Diskussion einer Neuerscheinung gesehen, entsprechend limitiert ist der menschliche Geist, wenn auch auf einer hoffentlich höheren Komplexitätsstufe. Dass man aber versuchen soll, Theorien bzw. Einsichten durch logische und experimentelle, wiederholbare Überprüfung zu verifizieren, darauf baue ich. Die Lehre der Scientologen ist aus dieser und meiner Sicht zu verwerfen.»

Warum aus seiner Sicht Scientology nichts zu suchen hat in der Gemeinschaft der Glaubensgruppen, erklärt schliesslich User Theo Müller:

«Scientology verwendet Bewusstseinskontrolltechniken, Hypnose und aggressive Verkaufsmethoden, um jemanden zu überzeugen, dass er einen ‹Reaktiven Verstand› hat und man sich davon befreien muss. Sie fragen, was einem das Leben zu Grunde richtet und versprechen die Lösung zu haben, welche Unmengen an Geld kostet. Das ganze wird von unbezahlten Freiwilligen bereitgestellt. Es ist ein Beschiss.»

Müller kritisiert insbesondere den Umgang von Scientologen mit Gefühlen:

«Scientologen denken, sie hätten alles unter Kontrolle. Emotionen, wie etwa Mitleid zu zeigen, wird einem Verlust der Kontrolle gleichgesetzt. Dabei sind Emotionen etwas Gutes. Sie sind kein Zeichen von Schwäche oder geringerem Dasein, wie es Scientology sieht. Es ist keine Schande, Zorn oder Kummer zu zeigen. Wenn man versucht diese, auf der Tonskala von Scientology, sogenannten ‹niedrigen› Emotionen zu unterdrücken, endet man unfähig, etwas zu empfinden … das typische Starren der Scientologen.»

Zu guter Letzt soll an dieser Stelle auch Jürg Stettler zu Wort kommen, seines Zeichens Schweizer Kaderscientologe. Er nimmt hier Bezug auf ein Interview mit der Sekten-Fachfrau Susanne Schaaf.

«Kein uninteressantes Interview, leider wieder mal sehr einseitig. Dass Frau Schaaf mit unseren Mitarbeitern Gespräche führt, finde ich gut, nur konnte ich niemanden finden, der in den letzten Jahren mit ihr im Gespräch war. Die hauptamtlichen Mitglieder sind im übrigen bei der AHV gemeldet, und dass es langjährige Mitglieder gibt, die sich nicht Vollzeit verpflichten wollen, war schon immer so. Das Verhältnis von ‹normalen› Mitgliedern zu hauptamtlichen Mitgliedern war schon immer etwa 10:1. Man macht es der evangelischen Kirche ja auch nicht zum Vorwurf, dass deren Mitglieder nicht gleich bei der evangelischen Kirche mitarbeiten wollen… und wem laufen denn in Basel die Mitglieder davon?»

Aufschlussreich ist folgendes Interview von «Vice» mit dem früheren Spitzenscientologen Marty Rathbun, der zu den Kronzeugen der starken HBO-Doku «Going Clear» gehört.

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