In wenigen Monaten geht die Basler Bildungsreform in die nächste Runde: Statt der Orientierungsschule folgt nach sechs Jahren Primar die neue Sekundarstufe. Gefördert wird das selbstständige Lernen – und die Schüler können künftig am Morgen länger schlafen.
Die Bildungsreform des Kantons Basel-Stadt zur Schulharmonisierung schreitet voran. In diesem Jahr ist die neue Sekundarschule an der Reihe. Die ersten Schülerinnen und Schüler – die bereits sechs Jahre Primarschule hinter sich haben – treten in die Sekundarschule über.
Die Vorbereitungen laufen, die Schulhausstandorte stehen fest: Bis Mitte Februar sollen die Kinder und ihre Erziehungsberechtigten drei bevorzugte Schulhäuser angeben. Eine rein pragmatische Entscheidung je nach Wohnort? Nicht nur. Je nach Standort wird mit verschiedenen Konzepten gearbeitet.
Doch zuerst von vorn: Was hat es mit der neuen Schule auf sich?
Die elf obligatorischen Volksschuljahre führen in Zukunft nur noch über den Kindergarten, die Primar- und Sekundarschule. Die Bildungsreform opfert dafür zwei bisherige Schulen: die Orientierungsschule (OS) und die Weiterbildungsschule (WBS) mit ihren zwei Leistungszügen. Ausserdem wird das Gymnasium um ein Jahr verkürzt.
Der Übergang zum neuen Schulsystem verläuft fliessend: 2015 verschwindet die OS endgültig, 2017 die WBS.
Drei Leistungszüge unter einem Dach
Die neue Sekundarschule umfasst drei Leistungszüge, die alle im gleichen Schulhaus besucht werden. In welchen der drei Leistungszüge die Schüler eingeteilt werden, entscheiden die Noten des letzten Primarschuljahres. Zur Auswahl stehen drei Züge:
- Leistungszug A für allgemeine Anforderungen
- Leistungszug E für erweiterte Anforderungen
- Leistungszug P für hohe Anforderungen.
Bis jetzt besuchten die Schüler die WBS oder das Gymnasium in unterschiedlichen Schulhäusern. Man teilte sich vielleicht den Pausenplatz, hatte aber sonst wenig miteinander zu tun.
Das wird sich ändern – auch im Sinne des sozialen Zusammenhalts der Schülerinnen und Schüler. «Es ist ein grosser Vorteil, dass der P-Zug im gleichen Schulhaus wie die andern ist. Das wird sicher abfärben», sagt Dieter Baur, Leiter Volksschulen Basel-Stadt.
Die Leistungszüge unterscheiden sich derweilen in ihrer Klassengrösse. Während der P-Zug ein Maximum von 25 Schülerinnen und Schülern zulässt, sind es im E-Zug 23 und im A-Zug nur 16 Schüler.
«Der Wechsel in einen anderen Leistungszug ist deutlich einfacher als früher – sofern natürlich die Leistung stimmt.»
Die Aufteilung in drei Leistungsniveaus ist kein starres System. «Der Wechsel in einen anderen Leistungszug ist deutlich einfacher als früher – sofern natürlich die Leistung stimmt», sagt Baur. Erbringt eine Schülerin aus dem E-Zug also Leistungen, die dem Niveau des P-Zugs entsprechen, kann sie einfach wechseln – und erst noch im gleichen Schulhaus bleiben. Dasselbe gilt auch für die Umstufung in ein tieferes Niveau.
In allen drei Leistungszügen soll überdies die Berufsorientierung stärker vermittelt werden. Davon werden insbesondere auch die Schüler des P-Zuges profitieren, ist Dieter Baur überzeugt: Sie sollen in Zukunft mehr Informationen über Berufslehren erhalten, als dies bis anhin im Gymnasium der Fall war.
Zehn Standorte, eine Erfahrungsschule
Zehn verschiedene Sekundarschulen sind über die Stadt verteilt, einige befinden sich derzeit noch im Um- oder Neubau. «In den Schulhäusern müssen zwingend alle Leistungszüge vertreten sein, nur so können wir die Durchlässigkeit am Standort garantieren», erklärt Baur. Deshalb könne die Volksschulleitung nicht zusichern, dass das Kind tatsächlich am gewünschten Standort eingeteilt werde. Die Erziehungsberechtigten dürfen also drei Standorte wünschen, haben aber keine Garantie. Auf die Volksschulleitung wird damit eine Menge Arbeit zukommen, zumal auch für sie die Zuteilung in die Sekundarschule Neuland ist.
Die zehn Basler Schulstandorte: Trotz Schulharmonisierung setzen die neuen Sekundarschulen auf unterschiedliche Lernkonzepte. (Bild: Erziehungsdepartement Basel-Stadt)
Manche Schulleitungen haben die Gunst der Stunde genutzt und wollen in der Sekundarschule neue Konzepte ausprobieren. Am deutlichsten zeigt sich dies im Sandgruben-Schulhaus, wo das Modell der Erfahrungsschule umgesetzt werden soll. Der Unterricht findet hier jahrgangsübergreifend in grossen Lernateliers statt. Für eine staatliche Schule ist ein solches Konzept, das sich in gewissen Privatschulen bewährt hat, eigentlich nicht vorgesehen, weshalb die Schulleitung dafür eine Sondergenehmigung einholte.
Selbstständiges Arbeiten wird gefördert
Auch in anderen Schulhäusern werde mit ähnlichen Konzepten gearbeitet, sagt Baur. «Alle Standorte haben ihre spezifischen Eigenheiten.» Für die gesamte Sekundarschule gilt aber, dass das selbstständige Lernen der Schüler gefördert wird – etwa in Form von grossen Lernateliers, in denen die Schüler ihren eigenen Arbeitsplatz haben. Oder in sogenannten plus-Klassen: Hier findet der Unterricht in Phasen statt, in welchen jeweils eine kleine Auswahl an Fächern gelehrt wird, dafür umso intensiver.
Neu kommen Leistungschecks auf die Schülerinnen und Schüler zu – und zwar nicht nur auf der Sekundarstufe, sondern auch in der Primarschule. Die Tests sind mit den Kantonen Basel-Landschaft, Aargau und Solothurn abgestimmt und erlauben damit über die Kantonsgrenzen hinaus vergleichbare Aussagen über eine Klasse oder ein Schulhaus.
Die Ergebnisse werden mit Punktezahlen und nicht mit Noten ausgewiesen. Eine externe Instanz wertet sie aus. Die Anonymität der Ergebnisse soll einen Wettbewerb verhindern: Das wurde bereits als Farce kritisiert.
Für Baur ist diese Kritik aber nicht angebracht: «Wir wehren uns vehement gegen Ratings.» Die Checks sollen lediglich zur gezielten Förderung und Weiterentwicklung des Unterrichts dienen. Eine Ausnahme bilden die zwei Checks in der Sekundarschule, die im Abschlusszertifikat kommuniziert werden.
Kampf um Kunstfächer
Stark kritisiert wurde in den letzten Jahren auch der neue Lehrplan 21. Auf Sekundarstufe sorgte insbesondere die Rolle der Kunstfächer für Ärger. Nachdem es künftig keine Klassen mit erweitertem Musikunterricht mehr geben wird, haben die Musik- und Kunstfächer eine Abwertung erfahren. So sehen es zumindest die betroffenen Lehrpersonen.
In den letzten beiden Sekundarschuljahren sind die Fächer Musik, Bildnerisches Gestalten, Technisches- und Textiles Gestalten keine Pflichtfächer mehr, sondern nur noch Wahlpflichtfächer. Zudem hat der P-Zug nicht dieselben Wahlfreiheiten wie die anderen beiden Züge. Wegen dieser «Diskriminierung der musischen Fächer», wie die Kritiker klagen, wurde die Unterschriftensammlung für die «Initiative für eine freie Wahl aller Wahlpflichtfächer in der Sekundarschule» lanciert. Im April läuft die Sammelfrist aus.
Länger schlafen
Während ein Teil der Lehrerschaft der Bildungsreform kritisch gegenübersteht, sehen andere Lehrerinnen und Lehrer auch eine grosse Chance in der Tatsache, dass neue Lernkonzepte verwirklicht werden können. Auf eines dürfen sich die Schüler aber auf jeden Fall freuen: Sie können künftig am Morgen 20 Minuten länger schlafen. Die Sekundarschule wird erst um acht Uhr beginnen – was sich gemäss einer Studie der Universität Basel erst noch positiv auf die Schulleistungen auswirken dürfte.