Die grosse Versöhnung

Seit Jahren mäkeln wir Basler am Schweizer Fernsehen herum. Da kommt das Versöhnungsangebot vom Freitagabend gerade recht.

SF bi de Lüt - und bei Trudi Hartmann, Kioskfrau im Kiosk beim Hotel Krafft. NO ARCHIVES Die Veröffentlichung im Zusammenhang mit Hinweisen auf die Programme von Schweizer Radio und Fernsehen ist honorarfrei und muss mit dem Quellenhinweis erfo (Bild: SRF/ Matthias Willi)

Seit Jahren mäkeln wir Basler am Schweizer Fernsehen herum. Da kommt das Versöhnungsangebot vom Freitagabend gerade recht.

Seit gut fünf Jahren bedient das Schweizer Fernsehen mit «SF bi de Lüt» den Hirten in uns allen. Jeweils am Freitagabend wandert Nik Hartmann, der kleinste gemeinsame Nenner des helvetischen Unterhaltungs­geschmacks, durch malerische Täler; kochen Landfrauen Filet im Teig mit selbstgemachtem Kartoffelgratin und in Speck eingerollten Bohnenpäckli; werken die hundert Bewohner eines abgelegenen Bergdorfes in ihren Ställen und an einem neuen Skilift.

Basel – bekannt und doch nicht

Mit der – äusserst erfolgreichen – «SF bi de Lüt»-Reihe zelebriert das Fernsehen die Schweiz der wenigen (Bergbewohner) für die Schweiz der vielen (Agglomerationsmenschen im Siedlungsbrei).
Ab heute wagt SRF den umgekehrten Weg. Für die neue Staffel «Unsere Stadt» porträtiert das Fern­sehen Baslerinnen und Basler. Drei Folgen lang werden eine Kioskfrau, ein meditierender Tramchauffeur und ein Abwarts­ehepaar in ihrem Alltag begleitet. Start ist heute Abend um 20.05 Uhr auf SF 1. Es sei höchste Zeit geworden, den Blick auf die Agglomerationen und Städte zu richten, sagt Tom Schmidlin, Bereichsleiter Volkskultur bei Schweizer Radio und Fernsehen. Und Basel sei eine logische Wahl gewesen. In einem dynamischen Umfeld, bekannt und doch nicht wirklich. «Viele kennen zwar die grossen Events von Basel, wissen aber nicht, was die restliche Zeit des Jahres in dieser interessanten Stadt läuft.»
Was Schmidlin sagt, ist Balsam für die Lokalchauvinisten in dieser an Lokalchauvinisten nicht armen Stadt. Endlich, hört man sie sagen, endlich interessiert sich auch das Zürcher Fernsehen einmal für uns. Das Jammern, es wird für einen Moment lang ausgesetzt. Es ist eine kurze Pause in einer epischen Auseinandersetzung mit denen da am Leutschenbach. «Das Klagen der Basler über das Zürcher Fernsehen hat eine jahrzehntelange Tradition», sagt etwa Christian Mensch, Medienjournalist und Leiter der Basler «Sonntag»-Ausgabe.
Das sei allerdings keine Basler Spezialität, sondern eine lokale Variante eines Schweizer Phänomens – es gebe keine Region, in der man nicht über das Fernsehen klagen würde. Standardvorwurf ist dabei die Zürich-Zentriertheit des Fernsehens, eine Fokussierung, der man im Leutschenbach zwar bewusst entgegenwirkt (vgl. Interview rechts), die aber eben doch auch nicht ganz von der Hand zu weisen sei. «Das meiste Equipment ist in Zürich, die meisten Mitarbeiter kommen aus Zürich: Es ist eine logische Konsequenz, dass ihnen Zürich gerade für schnelle Produktionen näher liegt als andere Regionen», sagt Mensch. Das geschehe nicht aus Arroganz, sondern eher aus Bequemlichkeit: «Der Zürcher Medienzirkus hat eine eigene Gravität. Und die ist schuld daran, dass Zürcher Journalisten häufig meinen, es laufe überall so wie bei ihnen.»
Immerhin haben Radio und Fernsehen vor Kurzem aber ein Bekenntnis zu Basel abgegeben, indem sie ankündigten, die Kulturredaktion hier auszubauen und damit einen Schwerpunkt zu setzen. Nun sei im Gegenzug auch Basel gefordert, sagt der Basler Me­dienbeobachter Philipp Cueni: «Unsere Kulturleute müssen nicht einfach nur warten, bis sie entdeckt werden. Sie müssen sich selber interessant machen, zeigen, dass sie ein Angebot haben, über das es wert ist zu berichten.» Das ewige Lamento über das «Zürcher Fernsehen» hält auch er für falsch.

300 Beiträge über die Region Basel

Diese Basler Variante der schweizweit verbreiteten Kritik am Fernsehen muss in besonderem Masse Simon Erny aushalten. Er ist seit 2004 Nordwestschwei­zer Korrespondent für das Schweizer Fernsehen und produziert gemeinsam mit seinem Korrespondenten-Kollegen ­Michael Keller rund 300 Beiträge pro Jahr. Diese Woche unter anderem vom Barfüsserplatz, vom öffentlich beschauten Debakel des FC Basel in München. Erny erlebt dabei Dinge, die nicht zu den schönen Seiten seines Jobs gehören. Jene Unverbesserlichen, die immer, wenn eine Kamera mit dem SRF-Logo zu sehen ist, lauthals über das «Zürcher Fernsehen» schimpfen und ihn und den Kameramann mit Wörtern eindecken, die nicht zitierfähig sind.

Grundsätzlich habe er aber keinen Grund zur Klage. «Die Leute freuen sich sehr, wenn wir über sie berichten. Wir stossen ­eigentlich überall auf offene Türen.» Die meisten würden auch verstehen, dass man als Schweizer Fernsehen nicht über jede lokale Zuckung berichten könne. «Unsere Geschichten müssen auch für die Zuschauer in St. Gallen und Bern interessant sein.» Geschichten, die auf einer emotionalen Ebene funktioneren; Geschichten, in denen sich auch die Restschweiz wiedererkenne.

Gutes Konzept – doch interessiert sich die Schweiz auch tatsächlich für die Stadt?

Daneben betreuen Erny und Keller auch die üblichen Verdächtigen: die Messen, die Fasnacht, die Pharma. Und machen dabei einen ziemlich guten Job, wie Medienminister Christoph Brutschin (SP) findet. Man spüre das Bemühen, regelmässig über Basel zu berichten.

Wobei Brutschin offenbar auch eine deutlich höhere Frustrationstoleranz hat als einige andere Baslerinnen und Basler. So empfindet zumindest er den Entscheid von SRF, die Berichterstattung über die Fasnacht zu straffen und auf einen weniger populären Sendeplatz zu versetzen, nicht als «Drama». Dafür freut er sich auf die neue Staffel von «SF bi de Lüt». «Das ist ein guter Entscheid, schliesslich wohnt die Mehrheit der Schweizer in Agglomerationen und Städten», sagt er. Nun fragt sich nur noch, ob diese Schweizer ihr eigenes Umfeld tatsächlich auch im Fernsehen sehen wollen. Oder ob sie sich am Abend nicht lieber mit Hirten und Filet im Teig ablenken möchten.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.03.12

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