«Die Hasenburg bleibt so, wie sie ist»

Heute Abend feiern Liselotte und Bruno Schwendinger das 30-Jahre-Jubiläum als Wirte der «Hasenburg» und gleichzeitig ihren Abschied. Die Wirtin sprach mit uns über vergangene Zeiten, plappernde Gäste, verlorene Gebisse und verriet ein Geheimnis: wie es weitergeht mit der «Basler Institution».

Liselotte Schwendinger blickt auf eine lange Zeit in der Hasenburg zurück. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Heute Abend feiern Liselotte und Bruno Schwendinger das 30-Jahr-Jubiläum als Wirte der «Hasenburg» und gleichzeitig ihren Abschied. Die Wirtin sprach mit uns über vergangene Zeiten, plappernde Gäste, verlorene Gebisse und verriet ein Geheimnis: wie es weitergeht mit der «Basler Institution».

Nach 30 Jahren ist Schluss. Aus. Liselotte und Bruno Schwendinger gehen per Ende Jahr als Wirte des Restaurants «Hasenburg» in Pension. Noch ist der Abschied aber kein Thema: Während unseres Gesprächs springt Liselotte Schwendinger auf und öffnet zwei Müttern mit Kinderwagen die Türe. Wirtin bis zum Schluss. Dabei bleibt die 63-Jährige am liebsten im Hintergrund. Mit uns sprach sie über den Grund und Veränderungen in der «Hasenburg», erzählte die lustigste Geschichte aus 30 Jahren und verkündete eine frohe Botschaft.

Frau Schwendinger, Sie feiern in diesem Jahr das 30-Jahr-Jubiläum in der «Hasenburg». Können Sie sich noch an den ersten Tag im Restaurant erinnern?

Ja, natürlich. Am Morgen wurde das Restaurant abgegeben, und am Abend haben wir es übernommen. Da war’s wie an der Fasnacht. Im ersten Stock sassen sich die Leute auf dem Schoss, und unten wusste man überhaupt nicht, was hier läuft – es hatte dermassen viele Leute. Wir offerierten Getränke – ursprünglich nur das erste, aber das hatten wir dann nicht mehr im Griff. Wir wussten auch nicht, wo man abschliesst – welcher Schlüssel zu welcher Türe gehört, überhaupt nichts, es ging alles so schnell.

Wie sind Sie überhaupt zur «Hasenburg» gekommen?

Wir waren zuvor vier Jahre im Restaurant Heyer in Biel-Benken, welches dann von den Heyers wieder selber übernommen wurde. Dann kamen irgendwann die damaligen Betreiber – Herr und Frau Rieder – und fragten uns, ob wir nicht die «Hasenburg» übernehmen würden. Damals wollte ich eigentlich nicht.

Waren Sie skeptisch wegen der Beiz?

Ich wollte vor allem nicht in die Stadt. Mein Mann hat mich dann überredet.

Was war das für ein Publikum, als Sie die «Hasenburg» übernahmen?

Sehr gemischt.

Gastarbeiter und Männer, «die ihre Arbeit mit viel Schweiss erledigten», wie das der Autor Urs Widmer in seiner Biografie beschreibt?

Nicht Gastarbeiter, aber viele, die den ganzen Tag hindurch tranken. Die kamen am Morgen und waren nachts immer noch hier. Zwischendurch gingen sie mal hinaus, kamen dann aber wieder. Wenn wir am Morgen um 5.45 Uhr öffneten, war die Beiz innert kürzester Zeit voll. Neben den Trinkern kamen auch Angestellte aus dem Spital, die nach der Nachtschicht vorbeikamen und Läberli assen. Auch Taxichauffeure, die Feierabend hatten, kamen vorbei und all die andern, die durchgemacht hatten.

Waren auch Frauen darunter?

Es hatte schon auch Frauen darunter, aber wenige. Die Gäste waren hauptsächlich männlich.

«Wenn wir am Morgen um 5.45 Uhr öffneten, war die Beiz innert kürzester Zeit voll.»

Wann änderte sich das Publikum?

Ganz langsam und mit viel Geduld! Es wurde dann auch mehr Essen bestellt. In der «Hasenburg» hiess es früher immer, man dürfe ja nichts verändern. Lange Zeit hatten wir nur einfache Wassergläser, auch für den Wein – die Gäste nannten das «Zahnglas». Als ich dann Gläser mit Stiel organisierte, wollten nach und nach alle ein richtiges Weinglas. Man konnte laufend Änderungen vollziehen, es musste einfach sehr, sehr langsam gemacht werden.

Wie hat sich diese Veränderung bemerkbar gemacht?

Erst gar nicht. 1994 wurde das Hotel Basel umgebaut – auf der Strasse ging es da noch zu und her wie an der Fasnacht, und zwar täglich. Dann kam 1995, und es wurde immer ruhiger. Erst blieben die Leute am Morgen weg, wir konnten später öffnen, so gegen 8 Uhr. Irgendwann durften die Arbeiter keine Znüni-Pause mehr machen, da machten wir um 10 Uhr auf – das ist bisher so geblieben. Dass wir um 23 Uhr schliessen, ist auch schon seit fünf Jahren so.

Eine Folge des Rauchverbotes?

Nein, das begann vorher.

Die «Hasenburg» entwickelte sich unter Ihnen von der Zechbeiz eher zum Essrestaurant. Haben Sie die Entwicklung bewusst vorangetrieben?

Nein, das hat sich einfach so ergeben. Nun ist unser Hauptgeschäft seit Längerem die Küche, auch wenn sie ziemlich klein ist. Irgendwie kam Ruhe in die Beiz.

Und diese legendären Nächte haben Sie danach nie vermisst?

Jein. Am Anfang hatten wir am Freitag und Samstag jeweils bis um 1 Uhr offen. Um 0.50 Uhr bestellten dann alle demonstrativ noch die letzte Runde, obwohl sie genau wussten, dass sie raus müssen. Und ich wusste nicht, was tun, wenn man die Leute nicht raus bekommt. Irgendwann wollten dann alle auch noch was auf den Weg mitnehmen, bestellten Bier und Wein über d’Gass. Naiv wie ich war, dachte ich, die gehen jetzt wohl nach Hause – dabei gingen sie alle ins «Gifthüttli», das bis um 3 Uhr offen hat – und zwar auch wieder alle Gäste zusammen, damit jeder noch Platz hat.

«Irgendwie kam Ruhe in die Beiz.»

Das gesamte Publikum hat also gleichzeitig die Bar gewechselt?

Genau, das war dann das berüchtigte Bermuda-Dreieck: «Gifthüttli», der «Grüne Heinrich», aus dem das heutige «La Fonda» wurde, und wir – vielleicht noch das Hotel Basel.

Und warum haben die Gäste das Bier mitgenommen?

Weil es im «Gifthüttli» einen Nachtzuschlag gab! Die Gäste haben dann ein Bier bestellt, aber es immer wieder mit der Flasche aus der Jacke nachgefüllt. Das hat keiner gemerkt – wir wohl auch nicht, wenn sich nicht ein Gast verplappert hätte (lacht).

Die «Hasenburg» gilt ja als Basler Institution. Können Sie sich erklären, warum?

Das hat sicher damit zu tun, dass ein Teil des Gebäudes der «Hasenburg» aus dem 13. Jahrhundert stammt. Aber es gibt da verschiedene Theorien: Früher gab es hinter dem Buffet auch ein Telefon, und jeder, der in der Beiz sass, bekam seine Telefonate direkt hierher, in die «Hasenburg». Egal, ob Anrufe aus dem Ausland oder aus der Schweiz. Die Leute hatten ja selber kein Telefon; sie wurden hier gesucht. Aber die «Hasenburg» war auch eine halbe Bank – es wurde dermassen viel Geld hier hin und her geschoben. Ich habe noch Listen mit offenen Beträgen, die nie zurückkamen. Das sind Beträge von Leuten, die jeden Tag hier waren – mal ein Zwanziger, Fünfziger oder auch mal eine Hunderternote. Auch unter einander wurde viel Geld ausgetauscht: Hier und da eine Zehnernote, und jeder jedem. Die Leuten wussten jedoch immer, wer wem wieviel schuldete.

Es war also mehr als eine Beiz.

Ja, ich denke schon.

Ein Teil dieser Stammkundschaft ist gestorben …

… aber wir haben immer noch eine grosse Stammkundschaft, und eine tolle.

Aber stimmt das Gefühl, dass die Leute immer weniger Zeit aufwenden für das Essen?

Ja, das stimmt. Und das haben wir sehr gemerkt.

Welchen Einfluss hatte das, mussten Sie das Essen anpassen, damit es schneller geht?

Nein, nein. Die Leute kommen ja, weil sie wissen, dass sie hier Rösti kriegen. Am Essen darf man da nichts umstellen, aber im Service muss man sich anpassen.

Rösti und Leberli waren schon vor Ihnen das Essen in der «Hasenburg». Haben Sie das Rezept eigentlich übernommen?

Ja, hier unten haben wir die Karte übernommen und nach und nach erweitert. Und oben im 1. Stock haben wir eine andere Karten gemacht. Ich glaube, jeder Mensch braucht so etwas, wo er hingeht und weiss, er kriegt das Essen genau so, wie er das möchte. Vielleicht wie es seine Mamme früher machte oder so was in dieser Art. Und hier ist es der gleiche Effekt: Es geht um das Gefühl des Geborgenseins. Die Leute wissen im Voraus, was sie essen, wenn sie zu uns kommen. Die wollen die Karte gar nicht, und erst recht nicht etwas Neues. Für die muss man nichts erfinden. Neuerdings besuchen uns auch sehr viele Japaner und Chinesen. Wenn wir die Bestellung aufnehmen, zeigen sie uns Bilder von verschiedenen Rösti und Bratwürsten, welche sie im Internet gesehen oder beim letzten Besuch fotografiert haben.

Wie wichtig sind eigentlich die Touristen als Publikum für die Beiz, gerade bei der Lage der «Hasenburg»?

Die sind schon wichtig, wir haben auch gemerkt, dass sie gezielt in die «Hasenburg» kommen, weil sie irgendwo von der Rösti gelesen haben. Aber seit einem Jahr hat das wahnsinnig abgenommen.

Gab es den Moment bei Ihnen, in dem Sie dachten: «Fertig, jetzt hören wir auf»?

Nein, eigentlich…nein. Weil es sich verändert hat meinen Sie?

Gründe gebe es ja genug: Dass die Leute schnell essen und wieder weg sind; die Umsatzeinbrüche, die einige Beizen beklagen; der steigende Konkurrenzkampf…

Es hat sich schon verändert, aber erst 2012 für uns wirklich merkbar, mit eben diesem Fernbleiben der Touristen.

Sie erleben solche Veränderung hautnah, an der Front – dem Service; Ihr Mann in der Küche. Bereits die alten Betreiber haben auf diese Einteilung gesetzt, ist das einfach klassisch so?

Nein, nein. Mein Mann ist gelernter Koch. Er hat später dann hier auch die Wirteprüfung gemacht, dann hat er sich auch im Service versucht. Ich hab ihn gelassen. Nach 14 Tagen hat er aufgegeben: «Ich hab nicht die Nerven dafür!», hat er gesagt und ging wieder in die Küche (lacht).

«‹Ich hab nicht die Nerven dafür!›, hat mein Mann nach 14 Tage im Service gesagt und ging wieder in die Küche.»

Nicht nur die Einteilung ist geblieben, auch viele Mythen und und Geheimnisse: Eines ist der Wildschweinkopf. Was hat es damit auf sich?

Keine Ahnung. Ich habe wirklich keine Ahnung. Den haben wir übernommen, was es damit auf sich hat, weiss ich wirklich nicht. Diesen Kopf hat eine Clique gestiftet, den alten haben wir versteigert im Basilisk zugunsten krebskranker Kinder.

Und stimmt es, dass tatsächlich ein Film in der «Hasenburg» gedreht wurde – Steppenwolf, 1974?

Ja, mein Mann mag sich daran erinnern. Das war aber vor unserer Zeit.

Am Freitag ist Jubiläum und Abschied, das Ende Ihrer Zeit. Was für einen Abend wünschen Sie sich?

Ich erhoffe mir, dass es wie eine kleine Fasnacht wird: dass viele Leute kommen, dass ich alle nochmals sehe, die sonst nur zur Fasnacht kommen. Sie müssen sich vorstellen, an der Fasnacht reservieren die Cliquen oben und auch hier unten, dann ist das wie ein grosses Familienfest während drei Tagen – weil man alle trifft, denen man sonst höchstens von Weitem winkt. Die Kundschaft ist auch eine andere an der Fasnacht. Nun an einem Abend beides zusammenbringen, alle nochmals zu sehen, noch mal ein richtiges Fest, das wäre mein Wunsch. Das wäre wie schnell nach Hause kommen und tschüss sagen. Das wäre toll.

Wenn Sie nun im neuen Jahr im Schaukelstuhl sitzen, an welche Geschichte werden Sie zurückdenken?

Oh, da gibt es einen Haufen lustiger Geschichten… (lacht). Das Lustigste, was ich je erlebt habe hier, war folgende Geschichte: Pia – die jahrelang hier als Serviceangestellte gearbeitet hat – und ich waren eines Abends mit Wischen beschäftigt. Es war ja immer unglaublich dreckig, dass können Sie sich gar nicht vorstellen – das waren ganze Haufen von Dreck. Eines Abends jedenfalls sagt sie plötzlich: «Du, do isch öppis.» Sie greift in den Dreckberg und zieht ein Gebiss heraus. Ich hab nur grosse Augen gemacht, sie aber nahm eine Serviette, wickelte das Gebiss ein und steckte es in die Schublade. Drei Tage später kommt ein alter Mann in die Beiz, und als ihn Pia fragt, was er essen wolle, sagt er: «Oh Pia, ich kha nüt esse, ich ha mi Gebiss verlore.» «Du, ich ha eis!», sagt sie, geht los und kommt zurück mit dem Gebiss in der Hand: «Lueg do», und der Mann nimmt das Gebiss und zack in den Mund. Ungewaschen! «Je, das iisch mis, es passt!» (lacht). Es waren wirklich verrückte Zeiten…

Schauen Sie mit Wehmut darauf zurück?

Nein, ich freue mich sehr.

«Drei Tage später kommt ein alter Mann in die Beiz, und als ihn Pia fragt, was er essen wolle, sagt er: ‹Oh Pia, ich kha nüt esse, ich ha mi Gebiss verlore.›»

Die Reaktionen auf Ihren Abschied waren heftig, auch negativ teilweise. Warum diese Zufriedenheit?

Der Besitzer hat mir vergangene Woche gesagt: Er übernimmt es selbst und behält die Beiz so bei. Ich könne es den Leuten so sagen. Darüber freuen wir uns sehr.

Weil Sie wissen, welche wichtige Rolle die «Hasenburg» im Leben der Leute spielt?

So ganz pauschal kann man das nicht sagen, es spielt für jeden eine andere Rolle. Ich hatte gerade vergangene Woche hier ein Paar zum Essen, die leben in England, sie erzählten, dass sie ihre Hochzeit anno dazumal oben im Sääli gefeiert hätten, seither kommen sie jedes Jahr am Hochzeitstag zum Essen. Aber hier unten. Sie haben jedenfalls das Foto von dem Tag in der Beiz auf ihrem Nachttischchen. Ich habe auch schon Anrufe am Morgenstreich gehabt, die Leute haben mich gebeten, den Telefonhörer ins Freie zu halten, damit sie den Morgenstreich hören. Auch aus England waren die. Es sind also viele Sachen, die die Leute mit der Beiz verbinden. Jeder, der etwas von der Hasenburg erzählt, hat seine ganz eigene Beziehung zu dieser Beiz. Man kann das nicht verallgemeinern.

«Der übernimmt die Hasenburg selbst und behält die Beiz so bei.»

Ist das ein gutes Gefühl, dass man als Beizerin…

Es geht da nicht um mich! Gar nicht. Es ist das Restaurant, die «Hasenburg». Ich habe immer versucht, so zu handeln, dass das Restaurant, die Hauptrolle ist. Nicht ich. Dass die Leute das auch so empfinden.

Warum denn?

Ich weiss es nicht.

War es womöglich die Erwartungshaltung, die auf einem lastet, wenn man eine «Instutituion» übernimmt?

Mag sein, aber wohl eher nicht. Ich ticke wohl einfach so, dass ich gerne im Hintergrund bleibe. Etwas anderes liegt mir auch nicht. Die Beiz war ja auch vor mir da, und sie wird es bleiben.

Wir wollen in einem Abriss die Geschichte der Hasenburg nachvollziehen und an viele schöne Momente erinnern. Dazu brauchen wir Ihre Hilfe: Haben Sie Geschichten von wilden Gelagen? Fotos von denkwürdigen Essen? Alte Speisekarten? Schicken Sie sie uns an community@tageswoche.ch

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