Die Hitparade der Reichen

Ab heute ist die goldene Ausgabe des Wirtschaftsmagazins «Bilanz» am Kiosk erhältlich. Und so kommt die Liste der 300 reichsten Schweizer zustande.

Alle Jahre wieder listet die «Bilanz» die reichsten Schweizer auf – zum ersten Mal 1989. Damals war Paul Sacher, Hoffroche-Erbe, der Reichste. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Ab heute ist die goldene Ausgabe des Wirtschaftsmagazins «Bilanz» am Kiosk erhältlich. Und so kommt die Liste der 300 reichsten Schweizer zustande.

Alle Jahre wieder, pünktlich zu Beginn der Adventszeit, beschert uns das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» seine goldene Ausgabe mit der glanzvollen Auflistung der 300 reichsten Schweizer. Genauer gesagt: Es handelt sich um extrem reiche Menschen, die einen Bezug zur Schweiz haben – entweder weil sie wirklich Schweizer sind oder dann weil sie hier wohnen.

Der Reichste von allen bleibt Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, der sein Vermögen am schönen Genfersee hegt und pflegt, gefolgt von der Familie der Roche-Erben aus Basel und dem Clan der Brenninkmeijer, die mit Textilhandel (C&A) reich geworden sind und den Familienschatz in einer Zuger Holding hüten – wobei ein Mitglied des Clans, Marcel Brenninkmeijer, dem Kanton Basel-Landschaft zugeordnet werden kann.

Zehn Prozent aller Milliardäre

Insgesamt bringen die 300 Reichsten ein Vermögen von 481 Milliarden Franken auf die Waage, im Durchschnitt also 1604 Millionen. Tatsächlich sind 121 der 300 Reichsten Milliardäre. Das entspricht zehn Prozent aller Milliardäre der Welt. Gemessen an der Bevölkerungszahl (ein Promille der Weltbevölkerung) ist das das Hundertfache des statistischen Solls – eigentlich dürfte nur ein Milliardär hier wohnen.

Überdies ist die Zahl von 300 Reichen absolut willkürlich; gemessen am «Eintrittspreis», einem Nettovermögen von 100 Millionen Franken, könnte die «Bilanz» auch die Liste der 400 oder 500 reichsten Schweizer publizieren. Wie viel es genau sind, behält das Wirtschaftsmagazin für sich. Jedenfalls, so der für die Goldausgabe federführende Redaktor Stefan Lüscher, stehen sehr viel mehr reiche Menschen unter Beobachtung als die publizierten 300.

Sehr viele davon wären froh, sie würden zu den «Überzähligen» gehören. Manche versuchen, aus der Liste gestrichen zu werden. In einer Zeit, in der die ganze Welt über Schulden jammert, finden es viele Menschen offenbar unangemessen, ihren Reichtum zur Schau stellen zu lassen. Mit anderen Worten: Irgendwie haben sie schon ein schlechtes Gewissen. Das geht gegenüber der «Bilanz» bis zu Prozessdrohungen. «Da haben wir aber in keinem einzigen Fall nachgegeben», erklärt Stefan Lüscher. Aus der Reichsten-Liste heraus genommen werden allenfalls Personen, die durch die Publikation an Leib und Leben gefährdet werden könnten. So wurde vor Jahren, wie der Autor dieses Beitrags erlebt hat, ein Ostschweizer Unternehmer gestrichen, in dessen Familie es bereits einen Entführungsfall gegeben hatte.

Auch das Umgekehrte kommt vor: Reiche und solche, die es gerne wären, drängen darauf, in die «Bilanz»-Liste aufgenommen zu werden. Solche Annäherungsversuche werden mit äus­serster Skepsis betrachtet. Vor einigen Jahren verlangte zum Beispiel das Basler «Finanzgenie» Dieter Behring, in die Liste aufgenommen zu werden, und untermauerte das sogar mit Vermögensnachweisen. Die «Bilanz» hat das ein wenig länger geprüft als unbedingt nötig – und schon erwies sich der Vermögensnachweis als Makulatur.

Schwieriger wird es, wenn der eigene Verleger höher bewertet werden will, als es der Redaktion angemessen erscheint; so etwas erlebte der Autor zu Zeiten von Werner K. Rey. Wir haben damals einen Kompromiss gefunden. Die Familie Hagemann, etwas später Verlegerin der «Bilanz», hätte es wohl lieber gesehen, gar nicht in dieser Liste aufzutauchen. Sie hütete sich aber, auch nur den geringsten Druck auszuüben, denn den Hagemännern war klar, dass die «Bilanz»-Liste an Glaubwürdigkeit verloren hätte, wenn der eigene Verleger verschont worden wäre.

Detailreiche Datenbank

Die Liste zu erstellen, ist ganz einfach journalistische Knochenarbeit. Die «Bilanz» führt seit 1989 eine immer besser und detailreicher werdende Datenbank, die laufend aktualisiert wird. Neuzugänge (durch schnell wachsenden Reichtum wie im Falle des Börsengangs von Glencore, der einige neue Milliardäre hervorbrachte, oder durch Zuwanderung) und Abgänge (durch Tod, Verarmung oder Wegzug) werden stetig registriert. Seit einiger Zeit gibt es im vierzehntäglich erscheinenden Magazin unter dem Rubrikentitel «Die Reichsten» ein regelmässiges Update. Die «Bilanz»-Datenbank ist offenbar auch gut genug, um Basisdaten für wissenschaftliche Studien zu liefern.

Die Daten zu den einzelnen Reichen, die zu Beginn der Übung vor 23 Jahren zu einem erheblichen Teil auf sehr heroischen Schätzungen beruhten, sind mittlerweile ziemlich verlässlich. Da die Vermögen der meisten Reichen auf dem Eigentum an Unternehmen beruhen, gibt die Börsenkapitalisierung dieser Unternehmen eine erste, schon ziemlich präzise Annäherung. Ist das Unternehmen nicht an der Börse kotiert, lässt sich mit Analogierechnungen (zum Beispiel ausgewiesener Gewinn mal branchenübliches Kurs-/Gewinnverhältnis) dessen Marktwert annäherungsweise errechnen.

Immobilien gehen zum Verkehrswert in die Rechnung ein, wobei ein Fremdkapitalanteil von 80 Prozent unterstellt wird, wenn keine präziseren Angaben vorliegen. Auch für Kunstsammlungen lassen sich aus den Auktionsergebnissen des letzten Jahres wenigstens angenäherte Marktwerte ermitteln. In den Kantonen, in denen das noch möglich ist, werden die so ermittelten Vermögen mit den versteuerten Vermögen abgeglichen.

Selbstverständlich ist das Ergebnis dieser Berechnungen bei aller Sorgfalt immer noch eine Schätzung, die sich meist in einer gewissen Bandbreite bewegt. «Um auf der sicheren Seite zu sein», sagt Stefan Lüscher, «nehmen wir die niedrigere Schätzung in die Liste auf.»

Und zu guter Letzt versuchen die «Bilanz»-Redaktoren mit jedem Kandidaten für die Reichsten-Liste Kontakt aufzunehmen. Bis zu 34 Personen recherchieren in der «heissen Zeit» von den Sommerferien bis zum Redaktionsschluss Mitte November daran, insgesamt rechnet man pro goldene Ausgabe mit anderthalb Mannjahren. In den Anfangszeiten waren diese Recherchen sehr schwierig. Paul Sacher, der erste Allerreichste im Jahre 1989, war zwar telefonisch erreichbar, wollte aber nichts bestätigen und nichts dementieren: «Nicht einmal, wenn Sie schreiben, ich sei gestorben, werde ich das dementieren.»

Respekt ist gewachsen

Mittlerweile sind die Reichen zugänglicher geworden. Vielleicht auch, weil sie eingesehen haben, dass das Erscheinen dieser Liste zu einer Tradition geworden ist. Offenbar gilt auch für sie: «If you can’t beat them, join them.» Und so sind heute weit mehr als die Hälfte aller Reichen bereit, mit den «Bilanz»-Rechercheuren zu reden, den zu publizierenden Text zu lesen und zu kommentieren. Umgekehrt ist die «Bilanz»-Redaktion bereit, allfällige Einwände der Reichen entgegenzunehmen und, wenn sie plausibel sind, auch zu berücksichtigen. Da ist in den 23 goldenen Jahren so etwas wie gegenseitiger Respekt herangewachsen.

So wird die Liste der 300 Reichsten immer verlässlicher – und bleibt erfolgreich. Immerhin ist der Kiosk-Umsatz dieser Bilanz-Ausgabe um ein Mehrfaches höher als der einer normalen Ausgabe.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02/12/11

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