Konservativ im Kern, dynamisch an den Rändern: Das Gundeli ist mehr Kleinstadt als Stadtquartier und ein Ort, wo Menschen von auswärts sich leicht integrieren können.
Wer im Gundeli ankommt, tut dies oft mit dem Zug und landet also am Bahnhof SBB. An dessen rückwärtigem Eingang steht der Neuankömmling schon mitten im Quartier. Und zwar an der Güterstrasse. Und beide, die Güterstrasse wie der Bahnhof SBB, sagen schon viel über das Quartier aus.
An einem durchschnittlichen Tag sorgen vor dem Südeingang des Bahnhofs An- und Abreisende, Vorbeikommende und Durchfahrende für regen Betrieb. Alle unterwegs in der Kleinstadt Gundeldingen, die schon durch die Gleise vom restlichen Basel abgetrennt ist. Es ist wie mit dem Kleinbasel und dem Rhein, nur ist der Fluss hier aus Stahl und Waggons und charmant ist es an dessen Ausläufern nur bedingt.
Da steht er also, unser Ankömmling, und er sieht Bankfilialen neben Second-Hand-Shops und Kebab-Buden, dazu Sonnenstudios und Optikergeschäfte, Quartierbeizen gutbürgerlichen Schlags und türkische Supermärkte. All das ist das Gundeli: Die manifestierte Fusion seiner Einwohner, eine Mischung aus alter Arbeitergeneration, türkischstämmigen Geschäftsleuten und jungen, urbanen Menschen im besten Erwerbsalter und oft mit entsprechendem Einkommen.
Kein Wunder: Das Gundeli ist ein Quartier mit der höchsten Fluktuationsrate in Basel. Will heissen, hier kommen Menschen an, nehmen sich eine Wohnung und gliedern sich in die Stadt Basel ein.
«Boulevard Güterstrasse»: Vorzeigeobjekt der Verwaltung – bei der Quartierbevölkerung jedoch umstritten. (Bild: Basile Bornand)
Wie unser Neuankömmling. Und auch er stellt fest: Baulich ist das Gundeli immer noch etwas unterentwickelt. Im Rücken hat der frisch Angekommene den Meret-Oppenheim-Platz, der noch immer darauf wartet, überhaupt ein Platz zu werden, der auch als solcher genutzt wird. Derzeit wird er zwischengenutzt als Veloparking, dahinter ist eine Baustelle.
Lebensader und Zankapfel: die Güterstrasse
Auf dem sogenannten «Boulevard Güterstrasse» wird kaum mehr gebaut, der ist an sich fertig. Wenn auch nicht so, wie sich das die meisten vorstellen: Die Velofahrer zum Beispiel, die gerne mehr Platz hätten zwischen Tramgleisen und sich unversehens öffnenden Autotüren, die Beizer und Kleinunternehmer, die gerne mehr Parkplätze hätten oder mehr Raum auf dem Trottoir. Die Autofahrer sowieso, denen es vor allem zur Hauptverkehrszeit viel zu langsam vorwärts geht, die Anwohner, denen zu viel Betrieb ist auf der Lebensader des Quartiers, die gleichzeitig der Zankapfel ist.
Die TagesWoche beleuchtet die nach Zuwanderungsstatistik dynamischsten drei Basler Quartiere.
Dazu haben unsere Quartierblogger das Gundeli, das Matthäus-Quartier und das St. Johann auf ihre Seele hin geprüft – schliesslich sind sie die Experten für das Leben vor der Haustüre. Die Resultate finden Sie in den drei Reports aus den Quartieren.
Lesen Sie:
- Leitartikel: Die Kraft der neuen Bevölkerung
Das Gundeli: Die kleine Stadt hinter den Gleisen - St. Johann: Der rote Faden im Flickwerk
- Matthäus: Das Chaos eines Weltstadtquartiers
- Das Dossier: «Mensch & Stadt»
Zanken oder besser: Diskutieren, das hat Tradition im Quartier, schon aus der alltäglichen Notwendigkeit heraus. Kaum ein Gundelianer spricht weniger als zwei Sprachen, sei es aufgrund höherer Bildung oder migrantischer Herkunft. Wo so viele Kulturen aufeinandertreffen, ist man geübt im Ausloten von Interessen.
Auch gegenüber der Stadtverwaltung, sei es wegen des Bahnhofs oder wegen des Verkehrs. Als streitbar gelten die Gundelianer spätestens seitdem das letzte Verkehrskonzept am Widerstand der Quartierbewohner scheiterte.
Tellplatz: ein ruhiges Fleckchen im betriebsamen Quartier
Sollte sich unser Quartierfrischling vor dem Bahnhof nach links gewandt haben, ist er inzwischen am Tellplatz angekommen. Endlich ein ruhiges Fleckchen in dieser betriebsamen Strasse. Und ein echter Platz mit gleich drei Gelegenheiten, ein zu dieser Jahreszeit sehr willkommenes kühles Getränk zu sich zu nehmen.
Geschmückt ist der Platz mit grossen Blumenkübeln, für deren Wechselbepflanzung die Stadtgärtnerei sorgt. Und auch bei deren Gestaltung haben sich die Anwohner eingemischt. Oleander, so war es geplant, gehe gar nicht, fanden sie. Flexibel ist daher nun nicht nur das Grünflächenamt in der Bepflanzung, flexibel sind auch die Kübel selbst. Sie lassen sich verschieben, wenn sie bei Veranstaltungen im Weg sind. Typisch Gundeli: konservativ im Kern, dynamisch an den Rändern.
Wechselbepflanzt, optisch ansprechend und mobil: die Blumenkübel auf dem Tellplatz. Echte Gundelianer eben. (Bild: Daniela Gschweng)
Von der Vielfalt entlang der Güterstrasse ist hier nicht viel zu sehen. Der Tellplatz ist zwar ein Quartiermittelpunkt, allerdings ein ziemlich homogener. Jedes der Cafés am Platz ist bei gutem Wetter mindestens halbvoll mit einem ziemlich einheitlichen Publikum, meist Schweizern oder Deutschen im mittleren Alter.
Urban und innovativ: Gundeldinger Feld
Jünger und kosmopolitischer geht es eine Ecke weiter an der Dornacherstrasse zu. Dort ist das Gundeli urban: Müssten jüngere Einwohner ihren Quartiermittelpunkt wählen, das Gundeldinger Feld stünde ganz oben auf der Liste. Das umgenutzte Industrieareal ist ständig in Bewegung, beherbergt unter anderem eine Zirkusschule, eine Kletterhalle und einen Co-Working-Space, hat Solarzellen auf dem Dach und an der Fassade und lässt sich baulich ständig etwas Neues einfallen. Wer möchte, kann auf den gerade umgebauten Siloturm steigen und sich Basel von oben ansehen.
In der ansässigen Gastro-Location, dem «Werk 8», hört man auch öfter mal Englisch. Beliebt ist der Nachfolger des «eo ipso» bei jungen Erwachsenen aus ganz Basel, genauso wie der «Hinterhof», der, obwohl am Rande Basels und des Quartiers gelegen, eine beliebte Clubbing-Location ist.
Von den etwa 40 Prozent Ausländern im Quartier, denkt man vielleicht, hat der Ankömmling bis dahin noch nicht viel mitbekommen. Das hat zwei Gründe: Zum einen haben deutsche Einwanderer die türkischen oder meist kurdischstämmigen Einwohner zahlenmässig bereits 2007 überholt. Doch das fällt kaum jemandem auf, ausser höchstens akustisch. Das früher noch als «Gündülü» betitelte Quartier wird diesem Übernamen schon lange nicht mehr gerecht.
Familientreff Margarethenpark
Ein Abbild dessen ist der Margarethenpark. Denn wer Kinder hat, würde «seinen» Quartiermittelpunkt wohl eher hierhin legen, in die einzige grössere Grünfläche im Quartier, wo sich ein guter Teil der Quartierbevölkerung an sonnigen Tagen aufhält. Neben Eltern kleiner Kinder auch der mit Bewegungsbedarf oder einer Wohnung in der Nähe.
Wichtiger Treffpunkt und die einzige grössere grüne Fläche im Gundeli: der Margarethenpark am Rande des Quartiers. (Bild: Basile Bornand)
Wo die muslimische Bevölkerung des Gundeldinger-Quartiers sich am vergangenen Wochenende aufgehalten hat, ist klar: Am Freitag endete der muslimische Monat Ramadan mit dem Fastenbrechen «Id al-fitr», dem zwei Feiertage folgen. Das wissen die meisten Anwohner im Quartier, denn muslimische Bekannte, Kollegen oder Nachbarn hat fast jeder. Gefeiert wurde im privaten Rahmen und eher weniger öffentlich.
Das Geheimnis der Quartierintegration
Das hat unser Ankömmling, der beim Bahnhof SBB ins Quartier schritt, also nun bemerkt: Man mischt sich hier öfters mal unter ganz unterschiedliche Menschen, aber man bleibt auch gerne unter sich.
Und das ist vielleicht das grosse Geheimnis des sehr integrativen Gundeldinger-Quartiers, wo es trotz grosser Vielfalt, Zu- und Abwanderung, zu viel Bewegung, aber selten zu Problemen kommt: Man kennt sich und geht getrennte oder gemeinsame Wege, je nachdem, wie es gerade besser passt.