Die Kreativ-Wunderkammer an der Offenburgerstrasse

Stricken, Kleben, Stanzen: In Mariann Widmers Kreativwerkstatt an der Offenburgerstrasse werden Bastelträume wahr.

Mit Farbe und Fantasie durch den Kurs: Mariann Widmer in ihrer Kreativwerkstatt.

(Bild: Alexander Preobrajenski)

Stricken, Kleben, Stanzen: In Mariann Widmers Kreativwerkstatt für Kinder und Menschen mit Handicap werden Bastelträume wahr.

«Kommt rein, kommt rein, wollt ihr einen Kaffee?» Mariann Widmer steht in ihrer Wohnung an der Offenburgerstrasse und lacht herzlich. Ihr schwarzes Kleid und die dunklen Schuhe sind mit Farbspritzern gesprenkelt – das letzte Werkstatt-Kind ist erst vor einer halben Stunde gegangen. Mit ihm hat sie zwei Stunden gemalt, frei und «was das Herz begehrt». Sie lächelt und schenkt Kaffee ein. Man kann sie sich sofort vorstellen, wie sie mit Pinseln und Leimpistole mit den Kindern Leinwände bemalt oder verrückte Lampen baut, wie sie überall in der Wohnung zu sehen sind.

Eine Kreativwerkstatt für Kinder und Menschen mit Handicap: Für Mariann Widmer eine wunderbare Ergänzung zu ihrer Tätigkeit als Künstlerin und ihrer Arbeit als Organistin in Aesch. «Hier kann ich meine Fähigkeiten und Überzeugungen sehr schön umsetzen», meint die ehemalige Kindergärtnerin.




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Zum Pollock-Erlebnis dank Hardfaserplatten

Von 2003 bis 2014 war Mariann Widmer am Aufbau der Förderstätte & Kulturzentrum Vogesen beteiligt, wo sie eine Kreativwerkstatt aufgebaut und geleitet hat. Hier galt es, Menschen mit den unterschiedlichsten Beeinträchtigungen zu begleiten und zu kreativem Tun anzuregen. Eine reiche Erfahrung für die Künstlerin, «aber ich stellte fest, dass es für Menschen, welche einzeln begleitet werden müssen, praktisch keine Angebote gibt.»

Also richtete sie Anfang dieses Jahres ihre eigene Werkstatt ein: Die Wände sind mit Hartfaserplatten verkleidet und mit Halbkarton verkleistert: So kann Papier befestigt und die Wand als Staffelei benutzt werden. Oder gleich à la Jackson Pollock bekleckert werden – «das lieben die Teilnehmer!».

Wer nicht malen mag, kann sich an der Materialwand Inspiration holen: Hier steht ein riesiges Regal, gefüllt mit einem Sammelsurium, das jedes Bastelherz höher schlagen lässt. Schachteln mit Aufschriften wie «Stoff», «Schrauben» oder «Bastelmix» türmen sich hier, gefüllt mit Fäden und Schnüren in allen Farben und Variationen, Nagellackfläschchen, Plastiktierchen oder Holzklötzen. «Hier, schaut», Mariann Widmer nimmt eine kleine, fast antik anmutende Schneidemaschine und blaues Papier aus dem Gestell und schneidet das Papier in kleine Stücke. «Das ist wunderbar für Menschen mit motorischen Schwierigkeiten. Da kann man ganz einfach draufdrücken und schon schneidet es wie von selbst.»




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Kleister-Zeppelin und Werkstattkleidung

Sie spricht Menschen mit Handicap an, an die sich ihre Kreativwerkstatt nebst talentierten Kindern richtet. Bei Ersteren stehe das unmittelbare Erleben ganz im Zentrum, meint die Künstlerin und erzählt von einem Projekt, wo sie zusammen mit einem beeinträchtigten Teilnehmer einen riesigen Zeppelin bastelte. Das Ergebnis liess sich sehen, aber das Lustigste sei für den Teilnehmer das Kleistern und Papierfötzel-Reissen gewesen.

Wenn Kinder die Kreativwerkstatt besuchen, dann kleidet sie Mariann Widmer immer erst von Kopf bis Fuss ein, im Regal ist eine ganze Abteilung für Mal- und Bastelkleidung reserviert. Ist das wirklich nötig? «Unbedingt! Einerseits werden so Dekorationen auf den eigenen Kleidern vermieden und mit der richtigen Kleidung kanns dann auch so richtig losgehen.» Diese Rahmenbedingung sei ganz wichtig, wirke befreiend und motivierend. Nebst der freien Entfaltung lässt sie Ideen einfliessen und gibt technische Unterstützung: In welchem Verhältnis man Gips und Wasser mischt, oder wie man sägt, stanzt und Farben mischt oder eine Holzskulptur zusammenbaut. Da das Angebot ausschliesslich in der Form von Einzelunterricht stattfindet, kann sie sehr auf die Teilnehmer eingehen und ihnen bei Schwierigkeiten zur Seite stehen.




(Bild: Alexander Preobrajenski)

Material für die Kurse findet die umtriebige Künstlerin überall: Holzlatten von der Strasse, mit denen eine Teilnehmerin ein grosses Labyrinth genagelt hat, alte Masken aus dem Brocki, die bemalt und verfremdet werden, oder ein goldener Rahmen, den sie kürzlich im Quartier gefunden hat. Sie hält ihn hoch. «Der hat eine wunderschöne Struktur, mit dem könnte man Stempel machen und Geschenkpapier drucken…» Ihre Augen funkeln. Die Kursteilnehmer können sich jetzt schon freuen.

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