Hector Herzig, Präsident der Baselbieter Grünliberalen, ist massgeblich daran beteiligt, dass wir über den Verfassungsartikel «Jugend und Musik» abstimmen.
Nach dem dritten Schuss im Wald oberhalb von Liestal wusste der Fotograf: «Hoppla, da habe ich einen Profi vor mir.» In der Tat: Hector Herzig (58), neben einer mächtigen Buche stehend, weiss, wie man posiert. Er hat sich sein Studium als Dressman finanziert. «Aber nur so lange, bis ich mich anders durchschlagen konnte.» Als Dressman lernt man, selbstbewusst und aufrecht vor die Kamera hinzustehen, sich vorteilhaft zu präsentieren, sich nicht zu verstecken.
Und so spielt der ausgebildete Trompeter heute nicht unauffällig in einem Orchester und verdient sich seinen Lebensunterhalt mit Musikstunden, sondern er steht im Rampenlicht. Als Gemeindepräsident von Langenbruck etwa oder als Präsident der Baselbieter Grünliberalen – in dieser Funktion hat er es im Ranking der «Basellandschaftlichen Zeitung» unter die 25 wichtigsten Kantonspolitiker geschafft. Bis im April dieses Jahres war er Präsident des Verbandes Musikschulen Schweiz, zudem ist er Unternehmer (Beratungsfirma Herzka) und Weiteres mehr. Fragt man ihn, wie viel Prozent seiner Arbeitszeit diese oder jene Tätgikeit ausmache und rechnet zusammen, kommt man locker auf über hundert.
Entspannt in die Abstimmung
Aber gestresst wirkt der Mann nicht, obwohl in drei Wochen ein für ihn einschneidendes Ereignis bevorsteht. Dann, am 23. September, stimmt das Schweizer Volk über den Verfassungsartikel «Jugend und Musik» ab, und dass es zu dieser Abstimmung kommt, hat viel mit Hector Herzig zu tun. Als er 2005 das Präsidium des Musikschul-Verbandes übernahm, lancierte er gemeinsam mit anderen die Volksinitiative «Jugend und Musik», die in kurzer Zeit zustande kam. Sie stiess im Parlament derart auf Wohlgefallen, dass es einem entsprechenden Verfassungsartikel zustimmte. Nun braucht dieser Artikel noch den Segen des Volkes, was nicht ganz problemlos ist, da die FDP und die SVP dagegen sind.
Herzig versteht nicht, warum sich die Baselbieter SVP geschlossen, aber auch die Mehrheit der FDP gegen die Musikförderung in den Schulen stemmen, da ja ausgerechnet der Kanton Baselland als einziger in der Schweiz schon ein entsprechendes Gesetz habe.
Es soll nun schweizweit verankert werden. Drei Dinge stehen im Vordergrund: Erstens muss jedes Kind in der Schule im Fach Musik unterrichtet werden, und zwar gratis. Zweitens hat jedes Kind Anrecht auf den Besuch einer Musikschule, zu erträglichen Preisen. Einkommensschwache Familien sollen durch die Gemeinden oder auch durch den Kanton unterstützt werden. Schliesslich müssen musikbegabte Kinder die Möglichkeit haben, in Klassen unterrichtet zu werden, wo man sie ihrer Neigung entsprechend fördert – genau so, wie dies für sportbegabte Kinder schon längere Zeit gang und gäbe ist.
Nun kann man locker einwenden, da setze sich ein Lobbyist auf politischer Ebene dafür ein, dass sein Geschäft künftig staatlich gefördert wird. Herzig war Leiter der Regionalen Musikschule Liestal, und Musikschulen sind in der Schweiz ein 1,5-Milliarden-Business – es gibt 480 Schulen im Land, 300 000 Kinder werden von 12 500 Lehrpersonen unterrichtet. Aber Herzig verwahrt sich gegen den Vorwurf, aus purem Eigeninteresse zu handeln. Ihm geht es um die musikalische Bildung der Kinder, um Kultur im Besonderen und um den sozialen Zusammenhalt sowie um regionale und nationale Identität ganz allgemein.
Es ist auch nicht so, dass er die Gemeinde- oder die Staatskasse als Füllhorn betrachtet, aus dem beliebig geschüttet werden kann. Im Gegenteil, er ist für einen schlanken Staat. Als ehemaliger Freisinniger hat er mehrmals die Meinung kundgetan, der Beamtenapparat sei zu gross und der Staat müsse abspecken. Als Präsident der Grünliberalen tut er dies immer noch, und er vertritt überdies die Ansicht, dass viele Gemeinden ein grosses Sparpotenzial ausschöpfen könnten, wenn sie fusionieren würden.
Aber: Mit dem allgemein zugänglichen Musikunterricht verteilt man nicht einfach Staatsgeld und fördert das einzelne Kind, sondern man pflegt auch den nationalen Zusammenhalt. Und das geht so: Musizierende Kinder und Jugendliche garantieren das Überleben der lokalen, der regionalen Vereine, insbesondere der Kulturvereine, etwa Musikgesellschaften, Chöre, aber auch Pop-, Rock- und Jazzbands sowie klassische Gruppierungen. In Langenbruck, wo Herzig Gemeindepräsident ist, musste er zusehen, wie der Musikverein sich auflösen wollte. Da nahm er selbst das Heft in die Hand. Heute steht er dem Verein vor, spielt mit und dirigiert ihn. «Letzthin durften wir zwei Neueintritte begrüs-sen», sagt er und ist froh, den Untergang verhindert zu haben.
«Wenn die KMU das wirtschaftliche Rückgrat der Schweiz sind, sind die Vereine das Rückgrat der nationalen Identität», sagt Herzig. «Ohne dieses Rückgrat verlieren wir auch die sozialen Netze und die Achtung vor unserer Kultur, eben vor unserer Identität.» Und Identität sei vorerst einmal nichts anderes als Abgrenzung von anderem Kulturgut. Man müsse das eigene erst verstehen und schätzen lernen, bevor man das andere wirklich akzeptieren könne. «Wer für alles offen ist, kann nicht ganz dicht sein.»
Ein leibhaftiges Beispiel
Mit dieser Ansicht hat Herzig 2009 den Baselbieter Bildungsdirektor Urs Wüthrich zur Verzweiflung gebracht, der mit seinem Kulturbild stark auf die Unterstützung städtischer Institutionen setzte. Herzig vertrat schon damals den Standpunkt, dass Abgrenzung – auch vom Kulturleben in der Stadt – in einer ersten Phase wichtig sei. Er selbst darf ja als das leibhaftige Beispiel dafür gelten, dass Abgrenzung nur eine Zwischenstufe ist auf dem Weg zu einem Kulturverständnis, das auch anderes als nur das eigene lokale Schaffen akzeptiert. So hat er sich vor zwei Jahren bei der Theaterabstimmung entschieden für die höheren Baselbieter Beiträge ans Theater eingesetzt. Mehr noch: Die zweifelhafte Rolle, die damals die Baselbieter FDP spielte, hat ihn bewogen, aus der Partei aus- und den Grünliberalen beizutreten.
Als Kulturschaffender, der nach der Lehre als Lithograf im zweiten Bildungsgang Musik studierte, arbeitete er 14 Jahre lang als Freelancer in Zürich, und seine Frau, die Harfenistin Madeleine Grieder, tritt international auf. Er kennt die städtischen Bühnen und Kulturorte, er kennt sie auch als CEO des Kulturbetriebs «Das Schiff» und als Verwaltungsratspräsident vom «Grenzwert Basel», das seine Schwägerin Cécile Grieder führt. Ihn fasziniert das breite Kulturgut von der Klassik über moderne Musik bis zum Jodlerchörli, das ihm durchaus Gänsehaut überziehen kann. Nur die Begeisterung für Techno hält sich in Grenzen – «da werde ich schnell müde».
Aber eben: Diese Welt könne man nur schätzen, wenn man erst gelernt und erfahren habe, was die eigenen kulturellen Wurzeln seien. Wenn man zu ihnen stehen kann. Ein Weg zu dieser Identität führt über die Musik, und «dieser Weg muss allen offenstehen, unabhängig von der Herkunft».
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 31.08.12