Wer in Basel einen subventionierten Betreuungsplatz für sein Kind braucht, muss sich zwingend an die Vermittlungsstelle des Kantons wenden. Die Arbeitsweise dieses Amts bringt jedoch manche Eltern an den Rand des Nervenzusammenbruchs.
Das offizielle Basel ist stolz darauf, als einziger Kanton in der Schweiz einen Verfassungsartikel zu haben, der Eltern einen rechtlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für ihr Kind einräumt. Ebenso einzigartig ist in Basel die Art und Weise, wie Eltern zu einem Platz in einem Tagesheim kommen. Zumindest, was die subventionierten Plätze angeht.
Wer Anspruch auf einen solchen hat, darf nämlich nicht, wie überall sonst in der Schweiz, selber suchen, sondern muss zwingend den Weg über die dem Erziehungsdepartement (ED) angegliederte Vermittlungsstelle nehmen. Dort müssen Eltern ihr Bedürfnis anmelden, und dort entscheidet sich, wem, wann und wo ein Platz zur Verfügung steht.
Dieses Vorgehen ermögliche dem Kanton, «den Eltern innerhalb der gesetzlichen Fristen einen Platz anzubieten, die dies wünschen», sagt Hansjörg Lüking, Leiter Bereich Jugend, Familie und Sport beim ED, dem die Fachstelle Tagesbetreuung und damit auch die Vermittlungsstelle unterstellt ist. Lüking bezeichnet die Vermittlungsstelle als «Zusatzangebot, das andere Kantone nicht kennen».
Basler Spezialität
Ob Zusatzangebot oder nicht, es ist jedenfalls eine sehr wichtige und mächtige Stelle. Von ihr hängt ab, ob Mütter und Väter mit gutem Gefühl – weil sie ihre Kinder gut aufgehoben wissen – ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen können oder nicht. Eltern gehen davon aus, dass sie sich früh anmelden müssen, wenn sie einen Betreuungsplatz brauchen. Das ist überall so, nicht nur in Basel. Speziell in Basel ist allerdings, dass das nichts nützt. Das haben Mütter und Väter schon oft erfahren müssen. Zum Beispiel Mara Ritter (Name geändert).
Als sie im vierten Monat schwanger war, kontaktierte sie die Vermittlungsstelle Tagesheime und meldete, dass sie – wenn alles gut ginge – per 1. März 2012 einen Betreuungsplatz für ihr Kind benötige. Das sollte kein Problem sein, beschied man ihr und liess sich von Mara Ritter zwei Wunschtagis angeben. Diese war beruhigt, sie dachte, alles erledigt zu haben. Mitte Oktober brachte sie ein gesundes Kind zur Welt.
Als sie sich von der Geburt erholt hatte, rief Ritter das Amt an, um mitzuteilen, dass alles gut laufe und es beim angemeldeten Eintrittsdatum bleibe. Sie nehme am 15. März ihre Arbeit wieder auf; so könnten ihr Baby, sie selbst und das Betreuungspersonal die zweiwöchige Eingewöhnungszeit wahrnehmen. Die zuständige Frau im Amt nahm es zur Kenntnis.
Fehlendes Formular
Ende November dann der – erste – Schock: Mara Ritter erhielt einen Brief von der Vermittlungsstelle, in dem sie aufgefordert wurde, das beiliegende Formular auszufüllen; erst nach Erhalt desselbigen werde man mit der Suche beginnen. Es ging um den Nachweis ihrer finanziellen Situation respektive um die Abklärung, ob Mara Ritter Anrecht auf einen subventionierten Platz hatte. «Ich fiel aus allen Wolken», sagt sie, «warum hat man mir das nicht viel früher mitgeteilt?»
Von nun an ist die junge Mutter nicht mehr so zuversichtlich. Sie beginnt, einmal wöchentlich das Amt anzurufen. Jedesmal wird sie vertröstet, nein, sagt man ihr, man habe noch keinen Platz für ihr Baby, aber es sei ja noch Zeit bis März.
Im Februar verliert Mara Ritter die Nerven, will endlich wissen, woran sie ist und ruft selber in den Tagis an. Dort erfährt sie, dass in absehbarer Zeit nichts frei werde. Und vom Amt, dass man ausser in den beiden von ihr als bevorzugte Tagis angegebenen nirgendwo sonst gesucht habe.
Nur ein Wunschdatum
Ausserdem gelte der 1. März als «Wunschdatum», rechtlich gesehen müsse erst drei Monate nach Wunschdatum ein Betreuungsplatz bereitstehen. Falls man dann immer noch keinen habe, könne sie gegen den Kanton klagen. «Welche Mutter hat denn Zeit und Nerven für so etwas?», fragt Mara Ritter bitter. «Wunschdatum? Soll ich meinem Arbeitgeber sagen, sorry, unsere Abmachung war nicht ganz ernst gemeint, war nur ein Wunsch?»
Mara Ritter will ihre Stelle nicht verlieren, sie müsse arbeiten, sagt sie, «und ich mag meine Arbeit auch». Sie wird deshalb wie vereinbart am 15. März mit einem 50-Prozent-Pensum wieder damit beginnen. Einen Tagesheimplatz für ihr Baby hat sie noch immer nicht. Ihre Schwester und ihre Mutter springen so lange ein, bis eine definitive Lösung gefunden ist.
Die Aussichten stehen gut: Wie Mara Ritter per Zufall herausgefunden hat, wird im April ein neues Tagi eröffnet. Die Vermittlungsstelle habe nichts davon gewusst, sagt sie. Zwar gibt es dort keine voll subventionierten Plätze, aber Ritter gibt sich nach ihren Erfahrungen auch mit einem teilsubventionierten zufrieden. «Hauptsache, ich habe einen Platz für mein Kind.»
Gemäss Lüking wurden im Jahr 2011 total 937 Kinder vermittelt. «In fast allen Fällen auf den Wunschtermin oder höchstens einen Monat später.» Wie viele Eltern wie Mara Ritter aufgegeben haben und dafür Mehrkosten für die Kinderbetreuung in Kauf nehmen, geht aus diesen Zahlen nicht hervor. Klar ist aber, beim ED zeigt man sich resistent gegenüber jeglicher Kritik am jetzigen System.
Eltern hängen «total in der Luft»
Die Enttäuschung darüber, dass es über den Verfassungsartikel hinaus keine zusätzlichen Garantien und Leistungen gebe, werde manchmal der Vermittlungsstelle angelastet, sagt Lüking. Und: «Viele Eltern glauben, ein Vorrecht zu erwerben, wenn sie sich möglichst frühzeitig anmelden. Manche hoffen, ihre Chancen gegenüber anderen Eltern zu verbessern, indem sie häufig nachfragen oder sogar stürmen und Vorwürfe erheben.» Aber die Vermittlungsstelle müsse alle Eltern gleich behandeln, so Lüking.
Genau daran zweifelt jedoch eine andere Mutter, die ebenfalls nicht die besten Erfahrungen mit der Vermittlungsstelle gemacht hat. «Du hängst total in der Luft, erfährst nichts über den Stand.» Wenn sie sich jeweils beim Amt erkundigt habe, ob ein Platz in Aussicht sei, habe man sie abgewimmelt. So hat auch sie sich irgendwann direkt bei den Tagis erkundigt, die sie bei der Anmeldung als bevorzugt angegeben hatte.
Dort wusste man von nichts, bei keinem war eine Anmeldung von der Vermittlungsstelle eingegangen. Und das sieben Monate nachdem sie sich beim Amt um einen Betreuungsplatz beworben hatte. Ein Tagi-Leiter konnte ihr jedoch von einem bald freiwerdenden Platz berichten.
Intransparentes Verfahren
Mit diesem Wissen und mit Druck – «indem ich auf meine Situation als alleinerziehende Mutter hinwies» – hat das Amt ihr diesen Platz schliesslich zugewiesen. «Das Problem ist, dass das Verfahren total intransparent ist», sagt die Mutter, «du weisst nicht, ob sie dich vergessen haben, du weisst nicht, bist du auf der Warteliste an dritter oder an fünfzigster Stelle.»
Eine weitere Mutter, sie stammt aus Norwegen, kann über die Basler Praxis nur den Kopf schütteln. Auch sie erhielt einen Platz für ihr Kind – nach mehreren verzweifelten Telefonaten. Sie sei zwar froh, ihr Ziel erreicht zu haben, finde es aber trotzdem unfair. «In Norwegen kriegt man bei der Anmeldung eine Nummer und du siehst, wann du an der Reihe bist.» So einfach sei das. «Ich habe mich ja zuweilen gefragt, ob hier überhaupt mit Computern gearbeitet wird – oder mit Zetteln, die hin und wieder verloren gehen.»
Dieser Verdacht immerhin ist falsch: «Die Vermittlungsstelle arbeitet mit Computersystemen», lautet Hansjörg Lükings Antwort.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.03.12