Die manipulierten Gesichter von Doktor Walker

Wann wirkt jemand beim ersten Eindruck vertrauenswürdig, wann kompetent? Mirella Walker vom Institut für Psychologie untersucht die Auswirkungen von Gesichtern auf unser Urteilsvermögen. 

Mirella Walker in ihrem Büro an der Missionsstrasse.

Die Macht des ersten Eindrucks, sie ist gross. Innert einer Zehntelsekunde urteilen wir über eine fremde Person, wir schubladisieren, wir ziehen unsere Konsequenzen. Ob in der Liebe, beim Bewerbungsgespräch oder bei der Suche eines Sitzplatzes im Zug. Der erste Eindruck bleibt, er ermöglicht, er zerstört. «Wir ziehen sehr schnell Schlüsse über eine Person, die nichts mit der Realität zu tun haben», sagt Mirella Walker.

Walker ist Postdoktorandin am Institut für Psychologie an der Universität Basel. Seit zehn Jahren beschäftigt sie sich mit der Gesichtsforschung. «Mich interessiert die Frage, was es in einem Gesicht ausmacht, dass man jemanden vertrauenswürdig, dominant oder risikofreudig findet – oder eben auch nicht. Welche Mechanismen führen dazu, dass wir zu unserem Urteil kommen?»

Zusammen mit Informatikern hat Walker Modelle entwickelt, die es ermöglichen, die «wahrgenommene Persönlichkeit von Individuen» systematisch zu verändern. Dabei verändern sich Grösse und Form der Augen, verschieben sich Augenbrauen, zieht es Mundwinkel nach oben oder unten, werden Gesichter schmaler oder runder, heller oder dunkler.

Für diese Modelle hat Walker zunächst in zwei Studien mit insgesamt mehr als 3000 Probanden untersucht, welche Gesichtsmerkmale spontan mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften assoziiert werden. «Mit den Modellen können Porträtbilder gezielt so verändert werden, dass sie mehr oder weniger diese Merkmale zeigen und dadurch beispielsweise kühler oder liebenswürdiger wirken», sagt sie.

Studienteilnehmer fanden es eher vertretbar, Menschen auszugrenzen, die kühl und inkompetent aussehen.

In einer Studie veränderte Walker die Gesichter von Männern so, dass sie entweder herzlich oder kühl und gleichzeitig kompetent oder inkompetent wirkten. Daraus ergeben sich vier verschiedene Möglichkeiten, wie man Menschen wahrnehmen kann: liebenswürdig-inkompetent, liebenswürdig-kompetent, kühl-inkompetent oder kühl-kompetent.

Mehr als 480 Probanden sahen sich zwei Sekunden lang die manipulierten Gesichtsfotos an. Dann beantworteten sie spontan die Frage, ob sie es in Ordnung fänden, die gezeigten Personen aus einer Gruppe auszuschliessen oder nicht. Das Ergebnis: Die Teilnehmer fanden es eher vertretbar, Menschen auszugrenzen, die  kühl und inkompetent aussehen. Umgekehrt fanden es die Versuchspersonen nicht in Ordnung, warm-inkompetent wirkende Personen auszuschliessen.

«Offenbar entscheiden schmalere Augen, tiefer sitzende Augenbrauen, ein weniger geschwungener Mund und ein insgesamt etwas grösseres, dunkleres Gesicht – also Merkmale, die wir nicht selber aussuchen – darüber, ob eine Person Gefahr läuft, Opfer von sozialem Ausschluss zu werden», so Walker.

Maskulin wirkt kalt und kompetent

In zwei weiteren Studien, die dieses Jahr publiziert wurden, zeigt Mirella Walker gemeinsam mit Professorin Michaela Wänke (mittlerweile an der Universität Mannheim), dass der erste Eindruck einer Person stärker davon geprägt ist, ob diese Person maskuline oder feminine Gesichtszüge hat, als davon, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt.

Für diese Studien machte die 40-Jährige die Gesichter von Männern und Frauen maskuliner oder femininer und zeigte die Fotografien den Probanden. Die Erkenntnis: «Männlich aussehende Personen wurden als kälter und kompetenter beurteilt als weiblich aussehende Personen.»

Ein feminin aussehender Mann werde eher als warm wahrgenommen als eine maskulin aussehende Frau. «Wenn jemand ein feminines Gesicht hat, dann verbindet man mit dieser Person eher Eigenschaften, die stereotyp feminin sind – beispielsweise Herzlichkeit oder Hilfsbereitschaft.»

Frauen mit maskulinen Gesichtszügen würden als weniger sympathisch beurteilt als Frauen mit femininen Gesichtszügen.

Führungspositionen seien für Personen mit femininen Gesichtszügen eher schwieriger erreichbar – denn Durchsetzungsfähigkeit schreibe man eher jemandem zu, der maskuline Gesichtszüge habe.

Je maskuliner eine Frau aussieht, desto grösser also ihre Chance auf Erfolg? «Das ist schwierig. Einerseits passt die maskulin aussehende Frau tatsächlich besser zur traditionellen Führungsposition. Andererseits sollten Frauen in der Vorstellung der meisten Menschen aber nicht maskulin sein.» Frauen mit maskulinen Gesichtszügen würden als weniger sympathisch beurteilt als Frauen mit femininen Gesichtszügen.

Also bestätigen ihre beiden Studien, dass es Frauen im Allgemeinen schwerer haben als Männer im Arbeitsmarkt? «Meine Studie zeigt das so allgemein gefragt nicht. Man könnte auch sagen, dass es Bereiche gibt, in denen es Männer mit femininen Gesichtszügen schwerer haben.»

Je wichtiger eine Entscheidung ist, desto eher sollten Fakten die erste Informationsquelle sein und nicht Gesichter.

Walker findet es immer wieder faszinierend zu sehen, wie schnell und überzeugt wir uns ein Urteil über eine fremde Person bilden. «Ich zeige den Probanden Bilder und will von ihnen wissen, ob sie diese Person zum Beispiel als dominant einstufen. Sie haben eine Skala vor sich und den Button ‹Kann ich nicht sagen›. Diesen Knopf nutzen sie aber praktisch nie.»

Dabei müssten sie dies streng genommen, sagt Walker, «denn um eine Person als dominant einzustufen, müsste man sie mindestens in einer Situation erlebt haben, in der sie sich dominant verhalten hat». Und habe man mal einen negativen ersten Eindruck eines Menschen, dann lasse sich dieser nur mit ganz viel Gegenevidenz korrigieren.

Für Walker bestätigen ihre Studien: Je wichtiger eine Entscheidung ist, desto eher sollten Fakten die erste Informationsquelle sein und nicht Gesichter. Darum befürwortet sie es, dass Bewerbungsunterlagen ohne Fotos eingereicht werden. «Denn der erste Eindruck führt uns oft in die Irre.»

Als Nächstes wird Mirella Walker die Auswirkungen von Gesichtern auf moralische Entscheidungen untersuchen. Walker lebt aber nicht nur von der Forschung, sie betreibt seit zehn Jahren auch noch den Einrichtungsladen «Designbutik» an der Klybeckstrasse. «Das mit der Forschung ist nicht einfach. Es gibt ganz viele, die ganz unten anfangen. Aber nur wenige, die es nach oben schaffen.» Der Laden sei ihr Ausgleich – und ihre Sicherheit.

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