Die Mieten für Ladenflächen in der Innenstadt steigen und steigen. Die Folge: Das Stadtbild verändert sich. Wo früher Individualisten waren, sind jetzt Ladenketten. Und es werden mehr, wie aktuelle Beispiele zeigen.
Uups, vergessen! Heute ist Hochzeitstag, Geburtstag, vielleicht auch Namenstag. Der oder die Liebste sieht es nicht gern, wenn keine frischen Blumen auf dem Küchentisch stehen. Kein Problem, sagt sich der Ahnungslose, und beschliesst, vor Ladenschluss noch rasch in einen Blumenladen zu rennen und ein exklusives Frühlingsbouquet zu kaufen. Glücklich ist in solchen Momenten, wer sich zufällig in der Nähe eines Blumengeschäfts befindet – denn deren gibt es in der Innenstadt immer weniger.
Was dort blüht, sind die Ladenketten mit Kleidern, Schuhen, Handys und Laptops. Doch ein Buch, ein Blumenstrauss, ein Laib Brot vom Bäcker – das ist immer schwieriger zu finden. In Basel sieht es aus wie in vielen anderen Städten: einheitlich.
Astronomisch hohe Mietzinse
Zu behaupten, der Kunde wolle nur noch billige Massenware, ist jedoch zu kurz gegriffen. Kaum würden sonst individuelle Strassen wie der Spalenberg oder die Feldbergstrasse mit ihren exklusiven Geschäften ebenso Besucher anziehen wie die Freie Strasse oder die Steinenvorstadt. Es gibt einen anderen Grund für das Einerlei von Läden in der Stadt: die Mieten.
«Die Mietzinse sind astronomisch hoch», sagt Arnold Imhof vom Laden La Rose neben dem Café Stoffero an der Stänzlergasse, den er mit seiner Frau betreibt. Den jetzigen Zins könnten sie sich gerade noch leisten, doch wegen des bevorstehenden Umbaus des Hauses müssen sie den Laden bis Mai räumen. «Wir haben uns nach einem anderen Lokal in der Innenstadt umgesehen, doch es war alles zu teuer.»
Allein, um den Zins eines vergleichbaren Ladens in der Freien Strasse zahlen zu können, müssten die beiden monatlich mindestens 1500 Rosen verkaufen – Einkaufskosten und Löhne nicht inbegriffen.
Bald kommt «Apple»
Eine Alternative wäre, in ein Quartier zu ziehen. Imhof weiss aber: «Wir könnten nicht überleben, wir brauchen Kunden aus der ganzen Stadt.» Und diese kaufen im Zentrum ein.
Mit der Erkenntnis, dass ein Laden am besten läuft, wenn ihn Hunderte Menschen täglich passieren, ist Imhof nicht allein: Grosskonzerne drängen schon lange in die Stadt, besonders begehrt ist die Freie Strasse. Wo der Basler Schuhladen Botty wegen des zu hohen Zinses ausziehen musste, zieht Apple ein, sobald der Neubau steht.
Ein paar Häuser weiter hat vor Kurzem der Kosmetikkonzern The Body Shop eine Filiale eröffnet. Wer es sich leisten kann, zieht in die Freie Strasse. Umgekehrt zieht weg, wer es sich nicht mehr leisten kann.
Kallers «André» muss zügeln
Die hohen Mietzinse machen immer mehr privaten Ladenbetreibern zu schaffen. Den meisten Hausbesitzern ist es egal, wer den Laden in ihrem Haus mietet – Hauptsache, er zahlt genug. Und da findet sich immer einer. Mathias F. Böhm, Geschäftsführer von Pro Innerstadt, schätzt, dass über 70 Prozent der Hausbesitzer der Freien Strasse auswärts wohnen. Zudem sind viele davon Firmen und Institutionen in ausländischer Hand.
Die Liegenschaft, in der das Grand Café Huguenin und der Luxuskleiderladen André Chemisier einquartiert sind, gehört der Zürich-Versicherung. Diese will damit möglichst viel Geld verdienen, weshalb sie nun den Mietzins erhöht hat. Für die Versicherung bedeutet es ein paar Tausend Franken Mehreinnahmen im Monat, für Peter und Susanna Kaller von André Chemisier heisst es: Das Geschäft muss nach 77 Jahren ausziehen.
«Wir können den neuen Zins nicht zahlen», sagt Peter Kaller. Bereits jetzt kostet der Laden an der Streitgasse über 12 000 Franken monatlich, neu soll das Ehepaar Kaller fast 5000 Franken zusätzlich zahlen.
«Stadt ist kein Shoppingzenter»
Mathias F. Böhm von Pro Innerstadt sagt, was er schon oft gesagt hat: «Im Vergleich zu einem Shoppingcenter können in der Stadt keine Einzelperson oder die Verwaltung bestimmen, wer die Läden bezieht.» Es sei am jeweiligen Hausbesitzer, zu entscheiden – so spiele der Markt. Und das bedeute gleichzeitig: «Es ist schwer, für eine gute Durchmischung zu sorgen.»
Was Kallers Geschäft betrifft, so wird für den «Laden an Toplage» ein Mieter gesucht, der «einigermassen ins Haus passt», heisst es bei der Verwaltung, genaue Vorstellungen gebe es keine. Deprimiert ist Peter Kaller nicht, dass er den Familienbetrieb nach so langer Zeit zügeln muss. Mit dem Lokal des ehemaligen Mal- und Zeichenladens Rebetez hat er eine neue Bleibe an der Bäumleingasse gefunden, die er Anfang 2014 bezieht.
Sorgen bereitet ihm viel mehr die «McDonaldisierung» der Läden. Immer mehr «Ramsch» werde in der Innenstadt angeboten, vorbei seien die Zeiten, als gute Esswarengeschäfte wie etwa die «Centralhalle» entsprechende Kunden angezogen hätten. Die altehrwürdigen Geschäfte würden verschwinden – langsam, aber sicher. Aktuellstes Beispiel: Füglistaller.
«Huguenin» bleibt vorerst
Nachdem das Einrichtungsgeschäft vor Jahren bereits innerhalb der Freie Strasse umgezogen war, verschwindet der Name bald ganz aus dem Stadtbild. Noch hängt das Schild an der Fassade, neben der Werbung für das Nachfolgegeschäft fällt dieses allerdings kaum auf: Der zu «Schild» gehörende Mittelklasse-Laden Hallhuber öffnet im Mai im Haus der Credit Suisse oben an der Strasse seine Tore – und die Freie Strasse wird um einen Kleiderladen reicher.
Viele Läden haben ihre Mietverträge über mehrere Jahre abgeschlossen. Irgendwann sind die Jahre jedoch vorbei – und die Mietzinse schlagen auf, wie das beim Ehepaar Kaller der Fall war.
Im selben Gebäude befinden sich weitere Kleiderläden und Gastronomiebetriebe. Der Mietvertrag für das «Huguenin» beispielsweise läuft noch nicht aus. Daher steht derzeit nicht zur Diskussion, ob das Traditionskaffeehaus ausziehen muss oder nicht. Solange der Vertrag laufe, bleibe das Café am Barfi, heisst es dort.
Zinse für Toplagen steigen weiter
Mathias F. Böhm versucht zu relativieren, indem er sagt: «Es ist zwar nicht mehr wie früher, aber das Angebot ist nicht schlechter geworden, es hat sich schlicht dem Markt angepasst.» Wichtig sei, die Stadt attraktiv zu halten. Dazu gehörten nebst dem Ladenangebot weitere Faktoren.
Wobei zwei dieser Faktoren schwierig, wenn nicht unmöglich umzusetzen sind: Böhm spricht von verlängerten Öffnungszeiten und Parkplätzen. Das Stimmvolk hat sich eben erst gegen längere Öffnungszeiten ausgesprochen, und die Regierung ist dabei, die Innenstadt autofrei zu machen.
Etwas Positives gibt es dennoch zu sagen, oder besser – vorauszusagen: «Basel wird nie wie Zürich», ist Mathias F. Böhm überzeugt. Derart hohe Mieten wie an der Bahnhofstrasse würden die Basler Ladenbetreiber nie bezahlen müssen.
Ein Satz aus einer aktuellen Studie der Credit Suisse zum Immobilienmarkt zeichnet dennoch ein düsteres Bild für Ladenbetreiber: «Die Nachfrage nach Toplagen, welche trotz kühlem Konsumklima und mageren Umsätzen keine Ermüdungserscheinungen kennt, sorgt für eine anhaltend robuste Mietpreisentwicklung bei den Spitzenstandorten.» Die McDonaldisierung hat also erst begonnen.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.04.13