Das Pharmazie-Historische Museum Basel verzeichnet die höchsten Besucherzahlen an der Museumsnacht. Rund 4000 Menschen zwängen sich zu diesem Anlass in das kleine Haus am Totengässlein und erfreuen sich an der Reagenzglas-Bar. Warum sich ein Besuch auch ohne Trubel lohnt.
Michael Kessler hält nicht viel von der Modernisierung von Museen. Jedenfalls nicht von einem wie dem Pharmazie-Historischen Museum Basel. Als Leiter ist er darauf bedacht, den ursprünglichen Charme des Hauses zu erhalten. «Schliesslich befinden wir uns hier an einem historischen Ort», verkündet er, nicht ohne Stolz, in dem lauschigen Innenhof des Totengässleins 3. An den Altbau-Fassaden rankt Efeu, im Brunnen drehen Goldfische ihre Runden.
Vor vielen Jahrhunderten gingen hier grosse Persönlichkeiten wie der Buchdrucker Frobenius, der Maler Holbein und gar Erasmus von Rotterdam ein und aus. Erst 1917 wurde das Gebäude verstaatlicht, eine pharmazeutische Anstalt gegründet und 1924 schliesslich das Museum eingerichtet. Den Grundstock dafür lieferte der Apotheker und Lektor Josef Anton Hälftiger, der dem Museum kurz nach der Gründung seine komplette Sammlung überliess. Bis heute ist sie eine der grössten und bedeutendsten der Welt und kann sich mit London oder Heidelberg messen.
Ausgestopfte Tiere als Lockmittel
«Die Präsentationsform der Ausstellung hat selbst musealen Wert», erklärt Kessler. In einer Zeit, in der viele Museen auf eine pädagogische Ordnung setzen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, hat Kessler darum gekämpft, dass bleibt, was einst war: eine systematische Ausstellung.
Was aber bedeutet das, und wie faszinierend können alte Pharma-Gegenstände sein?
Der Ausstellungsbeginn im ersten Stock lässt den Besucher erst mal stutzen, und manch einer wird sich fragen, ob er versehentlich im Naturhistorischen Museum gelandet ist: Aus der Vitrine blicken einem Tiere wie Schildkröte, Seestern und Alligator entgegen. Ein Phänomen aus früherer Zeit, um Kunden in die Apotheken zu locken, erklärt Kessler: «Der Besucher sollte die unerklärlichen ausgestopften Tiere im Eingang mit einer unerklärlichen Wirkung von Medikamenten in Verbindung bringen.» Ein Alligator als Zeichen für Wunderheilmittel?
Einst als Lockmittel bei Apotheken beliebt: Alligatoren oder Kugelfische. (Bild: Annie Day)
Wer sich hier noch wundert, gewöhnt sich bald an die Skurrilität der früheren Apotheker-Kultur: In Gläsern sind Spinnen, Skorpione und Schlangen als Heilmittel ausgestellt. Aber auch menschliche Leichen wurden zu medizinischen Zwecken verwendet – zum Beispiel Menschenfett als Rheumasalbe.
Noch rätselhafter wird es bei der sogenannten dämonistischen Medizin, bei der Amulette und andere Votivgaben zur Darbringung ausgestellt sind. Doch es ist nicht alles in Glasvitrinen untergebracht: In der ehemaligen Hauskapelle zum Beispiel erwartet die Besucher ein alchemistisches Laboratorium, das stark an die Welt Harry Potters erinnert.
Auch menschliche Leichen wurden zu medizinischen Zwecken verwendet – zum Beispiel Menschenfett als Rheumasalbe.
Im zweiten Stock stehen sogenannte Fayencen, kunsthandwerklich hergestellte Keramik, hier in Form von Vasen als Behälter für Medikamente. Der Besucher lernt: Die Geschichte der Keramik und die der Pharmazie sind eng miteinander verflochten, denn die ersten Kunden von Keramikherstellern waren Apotheker.
Da die rote Farbe damals der Hitze des Brennofens noch nicht standhalten konnte, fehlt sie in den Bemalungen der Fayencen. Um das zu kompensieren, hat Michael Kessler rote Stühle um den Tisch im Ausstellungsraum gestellt. Es sind diese Details, die seine Leidenschaft zur Ausstellung verdeutlichen.
Vom Studium zum Leiter – in den gleichen Räumen
So erstaunt es auch nicht, dass Kessler bereits seit 27 Jahren Leiter des Museums ist. Der ausgebildete Pharmazeut hat als Student genau in jenen Räume studiert, die heute zum Museum gehören. Ein Eingefleischter, der sein Spezialgebiet nie aus den Augen verloren hat. Doch ist er keinesfalls abgebrüht.
Noch heute leuchten seine Augen, wenn er vor dem anatomischen Atlas von Vesalius stehen bleibt, der als Meilenstein der wissenschaftlichen Medizin gesehen wird. «Dieses Exemplar wurde 1570 an diesem Ort gedruckt und hat epochale Bedeutung», sagt Kessler. Ein weiterer Schatz ist die komplette Hofapotheke aus dem Jahre 1755. Das Museum hat sie 1954 in Innsbruck erworben und in einem extra dafür gebauten Raum untergebracht. Das dunkle Eschenholz hat eine beinahe mystische Ausstrahlung.
Was interessiert die Besucher in 100 Jahren?
Alles erinnert an früher, an heute erinnert wenig. Als Museumsleiter muss sich Kessler ständig die Frage stellen: Welche Objekte sind in 100 Jahren historisch interessant? Die Mundschutzbehälter, die während der Vogelgrippe gebraucht wurden? Vielleicht. Zurzeit stammt das jüngste Ausstellungsobjekt der Sammlung jedenfalls aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts.
Der Gegenwart wird das Museum dafür in den regelmässig wechselnden Sonderausstellungen gerecht. Die aktuelle widmet sich der Bedeutung von Radioaktivität früher und heute. Aber auch sonst ist nicht alles museal: So können sich die Besucher auch zeitgemäss per Audio-Guide durch die Ausstellung führen lassen und anschliessend im Museumsladen «Herbarium» Kräuter und Salben kaufen.
Museumskasse, Herbarium und Shop: Das Interieur stammt aus der alten Barfüsserapotheke. (Bild: Annie Day)
Fast die Hälfte der jährlich rund 10’000 Besucher verzeichnet das Pharmazie-Historische Museum an der Museumsnacht. Vermutlich liegt das auch an dem besonders für junge Menschen attraktiven Angebot wie der Reagenzglas-Bar oder dem Workshop zum Selbermachen von Handcremen.
Für Letzteres stehen die Besucher schon mal zwei Stunden Schlange. Wer die Zeit lieber nutzen will, um in die wunderliche Welt der Pharmaziegeschichte einzutauchen, dem sei jedoch geraten, das Museum an einem der 364 weniger besuchten Tage im Jahr aufzusuchen.
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Pharmazie-Historisches Museum, Totengässlein 3. Das Programm der Museumsnacht online.