Der neue Theaterdirektor Andreas Beck verbreitet Aufbruchstimmung – inhaltlich und vom Auftritt her. Aber Aufbruch wovon? Ein Blick zurück auf die Ära Delnon zeigt, dass es dem Theater trotz einigen herausragenden Momenten nicht gelungen ist, sich als stringentes Ganzes zu positionieren.
Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!
(Aus «Der gute Mensch von Sezuan» von Bertolt Brecht)
Es ist merkwürdig. Da will man den grossen Aufbruch beschreiben, den man bei der Präsentation des ersten Spielplans der neuen Theaterleitung verspürt hat. Um ihn begründen zu können, muss man natürlich zurückblicken auf die jüngere Theatervergangenheit, aus der nun der Aufbruch in die schöne neue Theaterwelt erfolgen soll. Und je länger man in den Erinnerungen wühlt, desto mehr positive Theatererlebnisse kommen einem in den Sinn.
Vielleicht, weil man die schlechten schlicht verdrängt hat. So ist das im Theater. Die Alten packen die Koffer und ziehen weiter, während die Erinnerungen langsam zu verblassen beginnen. Die Neuen kommen, voller Selbstbewusstsein und mit vielen Ideen, wie sie das Theater vielleicht nicht gleich neu erfinden, aber doch in frische und spannungsvolle Bahnen lenken können.
Alte Stoffe neu denken
Sie wirken glaubwürdig, die Neuen. Sie haben die Absicht, «alte und bekannte Geschichten oder Mythen, Ereignisse oder Taten wieder neu zu denken, neu zu dichten, neu zu dramatisieren, damit uns die alten wie die neuen Geschichten weiterhin erreichen», schreibt der neue Direktor Andreas Beck im Vorwort zur Saisonvorschau. Und er beruft sich auf die «Basler Dramaturgie», das heisst eine Methode, die Friedrich Dürrenmatt vor 46 Jahren hier in Basel prägte.
Er nimmt damit bewusst und öffentlichkeitswirksam Bezug auf die Sternstunden des Theaters in der Ära Düggelin, als das Basler Haus Dauergast am Berliner Theatertreffen war, im gesamten deutschsprachigen Raum Theatergeschichte schrieb und vor allem Stadtgespräch war.
Bewährte Kräfte
Beck hätte aber auch Bezüge in der jüngeren Vergangenheit finden können. Das tut er auch, indem er auf bewährte Kräfte zurückgreift. Auf Regisseur Thom Luz etwa, den der noch amtierende Schauspiel-Co-Leiter und Chefdramaturg Martin Wigger ans Haus geholt hatte und der von Beck flugs zum Hausregisseur erkoren wurde. Oder auf Tom Ryser, der in der Vergangenheit mit seinen Musical-Inszenierungen etwas Masse ins Haus holen konnte und das nun mit Andrew Lloyd Webbers «Jesus Christ Superstar» wohl wieder tun soll.
Beck hätte theoretisch auch den Regisseur und Meister des chorischen Theaters, Volker Lösch, engagieren können, der in der Spielzeit 2013/2014 mit seiner Bearbeitung von Frischs Schulbuchklassiker «Biedermann und die Brandstifter» einen alten Stoff radikal neu gedacht und damit erst noch für den Quotenrenner der Saison gesorgt hatte. Lösch ist nicht mit von der Partie in der kommenden Spielzeit, aber vielleicht die Erkenntnis und Ermutigung, dass man dem Basler Publikum im Theater durchaus etwas zumuten darf und kann.
Dasselbe gilt auch für die Oper, die unter dem Opernspezialisten Georges Delnon, aber vor allem dank dem Spartenleiter Dietmar Schwarz Herausragendes zu leisten imstande war. Regisseure wie Calixto Bieito, Christoph Marthaler oder Philipp Stölzl entwickelten Konzepte, die bewiesen, dass die Oper weit mehr sein kann als erhabenes Bühnenspektakel. Zweimal hintereinander (2009 und 2010) verlieh die Zeitschrift «Opernwelt» dem Theater Basel den Titel «Opernhaus des Jahres».
Fehlende Stringenz
Opernleiter Schwarz liess sich 2012 zum Intendanten der Deutschen Oper Berlin berufen. Dort arbeitete er unter anderem mit den Basler Musikern von The bianca Story zusammen, suchte also weiter nach frischen Impulsen für die alte Oper. Direktor Delnon, der die Spartenleitung selber übernahm, tat das nicht. Er konnte nicht mehr an die inhaltlich-ästhetische Stringenz seines Vorgängers anknüpfen, was sicher auch daran lag, dass er im selben Jahr die Wahl zum Intendanten der Hamburgischen Staatsoper verkünden konnte und Basel bald nur noch einer von zwei parallelen Arbeitsplätzen war.
Die Rechnung kam postwendend: Die Zuschauerzahlen in der Oper, es war das verflixte siebte Jahr der Ära Delnon, brachen ein, während das Schauspiel langsam Boden gutmachen konnte. – Das Schauspiel, das Delnon stets als Stiefkind im Schatten seiner Oper behandelte.
Stiefkind Schauspiel
Das Schauspiel war Delnons Sache nicht wirklich. Es begann mit der Wahl von Elias Perrig zum Spartenleiter. Es war eine unglückliche Wahl, die ja vielleicht passieren kann. Perrig ist kein schlechter Regisseur, seine Inszenierungen gehörten zum Besseren, was in den ersten Spielzeiten geboten wurde.
Was verändert sich am Theater Basel? Was haben wir vom neuen Direktor Andreas Beck und seiner Truppe zu erwarten? Alles zum Intendantenwechsel lesen Sie in den kommenden Tagen in unserem Dossier.
Viel unglücklicher aber war der Umstand, dass Delnon sechs lange Jahre wartete, bis er die Schauspielleitung auswechselte. Und auch das nicht wirklich. Er legte die Schauspielleitung mitsamt einer Carte Blanche in die Hände des Chefdramaturgen. Dieser holte sich mit Tomas Schweigen und Simon Solberg zwei junge Co-Leiter ohne Führungserfahrung an die Seite, um das schläfrige Schauspiel wachzurütteln.
Es war ein mutiger Entscheid, der aber nicht aufging. Delnon schaute zu, wie zuerst Solberg absprang. Er nahm, inzwischen als Pendler zwischen Basel und Hamburg, zur Kenntnis, wie das Experiment, mit Tomas Schweigen und «Far A Day Cage» eine Gruppe aus der freien Szene ins Stadttheater zu integrieren, kläglich scheiterte.
Wursteln auf hohem Niveau
Das Kollektiv, das in der freien Szene zuvor mit überaus originellen und auch inhaltlich spannenden Projekten auf sich aufmerksam gemacht hatte, verlor sich mehr und mehr in ziemlich hohlen formellen Spielereien. (Ironie des Schicksals ist, dass Tomas Schweigen am Schauspielhaus Wien die Nachfolge von Andreas Beck antreten wird.)
Dem Chefdramaturgen Martin Wigger blieb die undankbare Aufgabe, das Schauspiel über die ablaufende Zeit hinüber zu retten. Eine Chance, die vernachlässigte Sparte neu aufzubauen und ihr ein erkennbares inhaltliches Gesicht zu geben, hatten er und das Ensemble nicht.
Weil sich der oberste Chef nur wenig um das Schauspiel kümmerte, hatte das Ensemble zwar viele Freiheiten. Diese Ungebundenheit führte aber dazu, dass der Spielplan beliebig wurde. Nicht dass es keine sehenswerten Produktionen gab, das Schauspiel konnte sich über wachsenden Zuspruch beim Publikum freuen, aber alles in allem war es ein Wursteln auf hohem Niveau.
Theater ist nicht nur Theorie und Konzept
Die alte Crew tritt ab. Sie hat nicht alles falsch gemacht, nur, dass sie eben nicht wirklich eine Crew war, die gemeinsam etwas bewegte und damit einen grossen ästhetischen und inhaltlichen Bogen über das ganze Dreispartenhaus spannen konnte. Die neue Truppe kommt, und ihr gelingt es gleich zu Beginn, sich als verschworene Gemeinschaft zu präsentieren, die alle Hebel in Bewegung setzen will, um das Theater in Basel wieder zum Stadtgespräch zu machen.
Aber das ist vorerst nur Papier und ein erster Eindruck. Theater ist nicht nur Theorie und Konzept. Welche ästhetische Sprache die Neuen zum Ausdruck bringen werden, ob es ihnen gelingen wird, Kopf und Herz des Publikums zu treffen, das werden wir erst in diesem Winter wissen.