Die Rheingasse war schon immer der Lebensnerv Kleinbasels

Hauptstrasse der minderen Stadt, Handwerker- und Rotlichtviertel, Kern der offenen Drogenszene, Heimat für Randständige und bevorzugte Wohnlage, Ausgehmeile für die Halbwelt und heute Vorzeige-Boulevard: Die Rheingasse war stets vieles, nur eines ganz sicher nicht: leblos und eintönig.

Die Rheingasse nach der «Meerenge» (Aufnahme ohne Zeitangabe).

(Bild: Staatsarchiv BS / AL 45, 1-59-3)

Die Aufwertung der Rheingasse zum Vorzeige-Boulevard bewegt die Gemüter und sorgt für Schlagzeilen. Ein Blick zurück auf gut 750 Jahre Geschichte zeigt, dass der Lebensnerv der minderen Stadt stets unterschiedlichste Charaktermerkmale vereinigte.

Wer etwas über den Charakter und die jüngere Geschichte der Rheingasse erfahren möchte, kommt um den kleinen Kiosk beim Ueli-Gässli nicht herum. Seit gut 50 Jahren hütet Trudi Hartmann ihr kleines und längst weit über die Grenzen Kleinbasels hinaus bekanntes Kabäuschen. Sie verkauft Zigaretten (und verschenkt sie an Mittellose) und was es an Kiosken sonst so gibt. Vor allem aber spricht sie mit den Menschen, beobachtet und achtet darauf, was in der Strasse geschieht.

Spricht man sie auf ihre Erfahrungen mit der Rheingasse an, kommt sie rasch auf die offene Drogenszene zu sprechen. Es überrascht, wie nostalgisch-positiv ihre Erzählungen klingen und wie liebevoll sie von den Junkies spricht, die früher die Rheingasse und den Oberen Rheinweg zum Unort machten. «Ich war eine Art Mutter für diese Menschen und sie wiederum achteten sehr darauf, dass ich nicht bestohlen wurde», sagt sie.

Offene Drogenszene

Das war in den 1980er- und 1990er-Jahren. Die offene Szene in Basel war vielleicht kleiner als andernorts, aber präsent. Und die Stadt reagierte anders als etwa in Zürich, setzte nicht allein auf Repression, sondern leistete – angeregt durch private Initiativen – mit Gassenzimmern und dem Heroinabgabe-Projekt Janus Pionierarbeit im Umgang mit den Süchtigen. Mitte der 1990er-Jahre verschwand die Szene, der Weg zur Aufwertung zumindest der Strassenseite mit Blick auf den Rhein, war frei.

Wochenthema
«Uff dr Rhygass»: Seit drei Monaten hat die Rheingasse Boulevard-Charakter. Wie zeigt sich der Umbruch und was bewirkt er? Dieser Frage gehen wir in unserem Wochenthema nach.

Die Geschichte der Rheingasse als Lebensnerv der minderen Stadt beginnt freilich sehr viel früher. Wie so oft in der Spätbronzezeit, so ist es im Band 6 der Reihe «Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt» mit dem Untertitel «Die Altstadt von Kleinbasel» nachzulesen. Da ist von «menschlichen Spuren» die Rede. Viel mehr weiss der Autor des Werks über diese Ursprünge nicht zu berichten. Ebenso zur spätantiken Burganlage, deren Fundamente man in den 1970er-Jahren untersuchte.

Aufschwung nach dem Bau der Brücke

Auch über die Siedlungen im frühen Mittelalter gibt es wenig gesichertes Wissen. Es ist von Dörfern mit den Namen Nieder- und Oberbasel die Rede, die unter dem politischen Einfluss des Klosters St. Alban standen, das vom Basler Bischof gegründet worden war, kirchlich aber zum Bistum Konstanz gehörten.

Erst mit dem Bau der Rheinbrücke 1225 konnte sich die Stadt Kleinbasel entwickeln, die damals politisch noch unabhängig war von der Stadt auf der anderen Flussseite (der Zusammenschluss mit Grossbasel erfolgte erst 1392). Die Stadt wuchs entlang des Rheins von der Theodorskirche bis zum Kloster Klingental. Hauptstrasse des Kleinbasels war klar die Rheingasse, die damals wesentlich breiter war als die Greifengasse, die ihre heutige Rolle als Hauptachse erst ab 1855 mit dem Bau des ersten Badischen Bahnhofs bekam.

Die Rheingasse, die ihren Namen bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhielt, entwickelte sich zum aufstrebenden Zentrum des Gewerbes. Ein ausgeklügeltes System von Kanälen (Teichen) verlieh in der Unteren Rheingasse dem Mühlengewerbe (und damit auch Bäckereien) Auftrieb, während sich in der (Oberen) Rheingasse Färbereien, Gerbereien und Ziegeleien ansiedelten.

Urzelle der Museumsstadt Basel

So entwickelte sich ein gewisser Wohlstand. Der Begriff «minderes» Basel, wie das Kleinbasel damals genannt wurde, und wie er manchmal noch heute zu hören ist, hatte nichts mit minderwertig, sondern mit «kleiner» zu tun. In der Rheingasse lebten und arbeiteten also nicht nur ärmere Menschen, sondern auch solche mit viel Geld und Ansehen.

Zu Letzteren gehörte die Buchdrucker- und Gelehrtenfamilie Amerbach, die ab 1582 über 100 Jahre im Haus zum Kaiserstuhl an der Rheingasse 23 wohnte, wo sich heute die Läden Wohnect. und Küchenfenster befinden.

Der Rechtsgelehrte, Freund und Erbe des Erasmus von Rotterdam, Bonifacius Amerbach, und sein Sohn Basilius bauten in ebendiesem Haus das weltberühmte Kabinett auf, das ihren Namen trägt und das nach dem Kauf durch die Stadt 1661 zum Grundstock der ältesten öffentlichen Kunstsammlung Europas wurde. Das heisst, dass unter anderem der weltberühmte «Tote Christus im Grabe» von Hans Holbein d. J. viele Jahre in der Rheingasse hing, bevor er mit all den anderen Kunstschätzen ins Haus zur Mücke beim Münsterplatz wanderte und erst viel später den Ruhm des Kunstmuseums Basel begründete.

Mindere Strassenseite am Rhein

Ganz anders als heute befanden sich damals die Häuser der sozial besser gestellten Gewerbetreibenden und Anwohner auf der nördlichen, also auf der stadtinneren Strassenseite. Auf der Rheinseite liessen sich, was sich zum Teil heute noch an den schmaleren Häusern ablesen lässt, die weniger Wohlhabenden nieder.

Die von der Stadtmauer etwas verdeckte Sicht auf den Rhein war damals offensichtlich noch kein Standortvorteil. Einzig beim Brückenkopf befanden sich grössere Bauten. 1255 wurde neben dem Richthaus unmittelbar beim Brückenkopf als Aussenstelle der Theodorskirche die St. Niklauskapelle errichtet. Nach der Reformation wurde sie 1529 profaniert, bis zu ihrem Abbruch 1857 diente sie als Salzmagazin, Lagerhaus, Reitschule und schliesslich als Scheune und Stallung für den benachbarten Gasthof zum weissen Kreuz.

Die Gasthäuser

An diesem Standort, wo sich heute das Hotel East West befindet (das bis vor Kurzem noch «Hecht» hiess) nahm – wenn man von den privaten Trinkstuben der Ehrengesellschaften und Bürgerkorporationen absieht – die Gasthaustradition in der Rheingasse wohl ihren Anfang. Ab den 1530er-Jahren ist dort eine Gastwirtschaft mit dem Namen «zum weissen Kreuz» nachweisbar, die mit den Jahren durch Einbezüge von Nachbarbauten mehrmals erweitert wurde.

Das Hotel Krafft und das Café Spitz, mit dem in den 1960er-Jahren gleich mehrmals abgebrannten Meriansaal an der Stelle des heutigen Hotels, stiessen erst im 19. Jahrhundert dazu. Das Hotel Merian wiederum ist, was deutlich zu sehen ist, ein Bau aus den Jahren 1969 bis 1972.



Der Gasthof zur Sonne mit seinen verschwundenen schmiedeeisernen Wirtshausschildern (1915)

Der Gasthof zur Sonne mit seinen verschwundenen schmiedeeisernen Wirtshausschildern (1915) (Bild: Staatsarchiv BS / AL 45, 8-44-1)

Um einiges älter sind die traditionellen Gasthäuser auf der anderen Strassenseite. Der «Schwarze Bären» diente vom frühen 15. Jahrhundert an als Trinkstube einer Bürgerkorporation und erhielt in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Tavernenrecht. Etwas länger dauerte es, bis im Gasthaus zur Sonne Getränke ausgeschenkt wurden. Den Anfang machte der Strumpffabrikant Heinrich Ebert, der Ende des 18. Jahrhunderts in seiner Seidenfärberei eine Weinschenke eingerichtet haben soll. 1822 erhielt die «Sonne» offiziell das Tavernenrecht.

Vereitelte Korrektionspläne

Ob die Rheingasse damals schon eine verruchte Gastromeile war, lässt sich schwer sagen. Sicher ist, dass die Anwohnerschaft immer bunt durchmischt war. In den letzten Jahrzehnten wurde die Strasse und ihre Lokale aber immer wieder von Gruppen bevölkert, die für Probleme sorgten: Prostitution, Rockerszene oder auch auch rechtsextreme Gruppierungen gehörten dazu, während auf der anderen Seite die Obdachlosen aus dem Männerheim und weitere Randständige, die sich in den Reihen der Neuzuzüger bislang halten konnten, vornehmlich auf Akzeptanz stossen.

Und schon früh gab es Bestrebungen zur Aufwertung des Gebiets. So sahen die Altstadt-Korrektionspläne von 1930 einen Abbruch der Häuserfront am Rhein vom Hotel Krafft bis über das Reverenzgässlein vor. Ziel war die Schaffung einer grosszügigen grünen Promenade am Rhein. Die Pläne stiessen aber auf harsche Kritik, und mit der Einweisung der Rheingasse in die geschützte Altstadtzone verschwanden sie bereits 1939 vom Tisch.

Eine Aufwertung anderer Art erfuhr die Rheingasse 1974. Der Röntgenarzt Hans-Jakob Nidecker erwarb damals die Liegenschaft an der Rheingasse 45, um die Quartierbeiz Fischerstube, die mehrere Jahre leergestanden hatte, wieder zum Leben zu erwecken. Es folgte die oft erzählte Geschichte der Gründung einer eigenen Brauerei und die Geburtsstunde des Ueli-Biers.

 



Der ehemalige Laden des Allgemeinen Consumvereins ACV (1936), wo sich heute die Bar Consum befindet.

Der ehemalige Laden des Allgemeinen Consumvereins ACV (1936), wo sich heute die Bar Consum befindet. (Bild: Staatsarchiv BS / NEG 4824)

 

 

 

Nächster Artikel