Die Väter sind erwacht

Das traditionelle ­Vaterbild hat ausgedient. Die 40 Jahre alte Botschaft der Feministinnen ist nun auch bei den Männern angekommen.

(Bild: Basile Bornand)

Das traditionelle ­Vaterbild hat ausgedient. Die 40 Jahre alte Botschaft der Feministinnen ist nun auch bei den Männern angekommen.

Meine Mutter hielt nicht viel vom Muttertag, eine blosse Geschäftemacherei sei das, sagte sie immer. Wenn wir dann aus dem Kindergarten mit selbst gebastelten Sachen mit Herzchen «für Mami» drauf nach Hause kamen, war sie trotzdem gerührt. Aber der Vater war durch ihre offen ausgesprochene Verachtung für den Muttertag entlastet, er musste nie in den Blumenladen rennen, um seiner Frau für deren tägliche Schwerstarbeit mit Haushalt und zehn Kindern wenigstens einmal im Jahr zu danken.

Und er konnte auch an diesen Sonntagen im Mai wie an allen anderen entspannt in der Stube sitzen, bis die Frau punkt zwölf Uhr zu Tisch rief. Ebenso konnte er, wie stets, nach dem Essen aufstehen und sich für ein Verdauungsschläfchen hinlegen. Abräumen, abwaschen? Vater nahm Geschirrberge gar nicht zur Kenntnis, das war nicht sein Ressort. Mein Vater war ein Patriarch, er war der Chef.

Mann liess sich bedienen

Er hat sicher auch hart gearbeitet, um die grosse Familie durchzubringen, in der Fabrik, wahrscheinlich etwa 14 Stunden täglich. Aber Feierabend war Feierabend. Wenn er nach Hause kam, brachte ihm Mutter sofort die Zeitung, dazu ein Bier, eine Wurst und ein Stück Brot zum «Zabet», wie das bei uns damals hiess. Heute würde man Apéro sagen. Dann sauste sie in die Küche zurück, um das Abendessen zu richten.

Wir Kinder hatten ebenfalls unsere Aufgaben: Eines zog Vater die schweren Schuhe aus, während er sich in die Zeitung vertiefte; ein anderes brachte ihm die Finken und stülpte sie ihm über, manchmal verlangte er noch nach einem sauberen Taschentuch. Als Belohnung erhielt man ein Wurst­rädli. Das war in den Fünfzigern.

Mein Vater war eigentlich schon zu dieser Zeit ein Auslaufmodell – die Väter meiner Schulfreundinnen gaben sich bereits etwas lockerer, kumpelhafter –, aber es sollte noch mehr als 50 Jahre dauern, bis das Vaterbild in unserer Gesellschaft sich sichtbar gewandelt haben würde. Heute dreht sich niemand mehr nach einem um, der sowohl Bart als auch Baby trägt. Heute stellt keiner mehr den Kerl im Mann infrage, wenn er zärtlich seinem Kind den Rotz von der Nase wischt.

Ausser Beruf und Familie ist nichts mehr

Zwar gehören Männer, die ihre Erwerbstätigkeit reduzieren, um sich um ihren Nachwuchs zu kümmern, immer noch zu einer Minderheit. Gemäss der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung arbeiteten 2010 gerade mal 13,4 Prozent der Männer mit einem Teilzeitpensum, aber das sind immerhin fast doppelt so viele wie noch 1991. Zudem sagt diese Zahl nur bedingt etwas über die Erziehungsbeteiligung der Väter aus; wie aus mehreren Studien hervorgeht, übernehmen heute die meisten, unabhängig von ihrem Arbeitspensum, einen Teil dieser Aufgaben.

Kaum einer kommt heute noch von der Arbeit nach Hause und legt die Füsse auf den Tisch. Man kann im Umfeld fragen, wen man will. Entweder koche er das Abendessen oder kümmere sich um die Kinder, sagt einer, der mit einem 100-Prozent-Pensum in der Geschäftsleitung einer Firma arbeitet. Das sei selbstverständlich, sagt er. Ebenso sieht es ein anderer, er ist selbstständiger Unternehmer und Vater von fünf Kindern. Das sei doch keine Frage, meint er, auch wenn «ausser für Beruf und Familie keine Zeit mehr übrig bleibt».

Damit spricht er an, was man bisher ausschliesslich Müttern zugeschrieben hat: die Mehrfachbelastung durch Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und Haushalt. Gut, im Haushalt, da glänzen die Männer immer noch häufiger durch Abwesenheit als mit ihrem Putzergebnis. Wie das Bundesamt für Statistik ausführt, «tragen drei Viertel der Frauen, die in Paarhaushalten mit Kindern ­unter 15 Jahren leben, die Hauptverantwortung der Hausarbeit». Allerdings bewegt sich auch in diesem Bereich etwas, denn zwischen 1997 und 2010 hat sich der Anteil der Männer, die im Haushalt anpacken, mehr als verdoppelt. Und ein bisschen muss man den Männern schon zugute halten, dass sie nicht einfach nur zu faul sind zum Haushalten, sondern dass ganz viele Frauen sie nicht ranlassen. Oder, was ebenfalls frustrierend ist, sie meckern über das Ergebnis, wenn sie nach Hause kommen. Putzen womöglich nach.

Als Hauptverdiener gesetzt

Überhaupt, das egalitäre Familienmodell macht das Zusammenleben zwischen Mann und Frau nicht unbedingt gemütlicher. Es bedeutet zwar – theoretisch – eine Aufgabenteilung, aber eben auch mehr Konflikte. Wer für was und wie zuständig ist, steht nicht wie noch vor 50 Jahren fest, sondern muss ausgehandelt werden. Je nach Situation immer wieder neu. Doch jahrhundertelang gepflegte Verhaltensmuster sind nicht so leicht zu verändern. Das betrifft sowohl die Frauen als auch die Männer. Denn ebenso, wie Männer sich heute noch vor allem über ihre Erwerbstätigkeit definieren, ist für viele Frauen der Mann als Hauptverdiener gesetzt.

Man kann jetzt mit der nach wie vor bestehenden Lohnungleichheit argumentieren – oder den Mangel an Teilzeitstellen für Männer beklagen. Das stimmt ja auch alles, aber mindestens so stark wirken die Rollenbilder, die wir alle verinnerlicht haben. Es fehle den jungen Männern an positiven Vorbildern, sagt die Geschlechterforschung. Die Frauen von heute, so scheint es zumindest, haben einen kleinen Vorsprung – durch den Feminismus, der schon ihre Mütter gestärkt hat. So sehr, dass dabei manche Männer auf der Strecke geblieben sind. Verstört, oft verbittert.

In den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es immer mehr Frauen, vor allem im urbanen Umfeld, die ihre Kinder ohne deren Väter grosszogen. Teilweise, weil die Liebesbeziehung zerbrochen war, teilweise aber auch ganz bewusst und von Anfang an. Es war die Zeit der grossen und radikalen Frauenbefreiungsbewegung.

Die vaterlose Gesellschaft

Die Frauen hatten gemerkt, dass die Männer ihrer Generation nicht viel fortschrittlicher waren als ihre Väter. Obwohl sie gegen das Establishment wetterten und vielleicht sogar lange Haare und Bärte trugen. Auf die, so dachten einige Frauen damals, können wir gut verzichten und jagten sie zum Teufel. Manchen Vätern blieb als Erinnerung, dass sie Kinder hatten, einzig die Pflicht zur Alimentenzahlung.

Das weckte schliesslich den Widerstand der Männer. Sie begannen sich zu organisieren, um sich gemeinsam gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren und das Recht auf ihre Kinder einzufordern. Ein Beispiel ist der Verein «Verantwortungsvoll erziehender Väter» (VeV), der genau vor 20 Jahren in Muttenz von ein paar in Scheidung lebenden Vätern gegründet wurde. Später wurde der Vereinsname noch mit «und Mütter» ergänzt, und weitere Sektionen in der Schweiz wurden ins Leben gerufen.

Die Frauenbewegung wurde mit der Zeit etwas ­ruhiger, etablierter – die Scheidungsraten stiegen jedoch weiter an. In der Öffentlichkeit wurde immer häufiger die vaterlose Gesellschaft thematisiert, ebenso die zuweilen erbittert geführten Scheidungskriege, die Kämpfe um die Kinder. Die Männer agierten hauptsächlich aus der Defensive heraus, sie standen auf der Verliererseite. Als Vollzeit-Erwerbstätige hatten sie bei den Scheidungsrichtern wenig Chancen, das Sorgerecht für ihre Kinder zu erhalten.

Dennoch, abseits von diesem Kriegsschauplatz, ent­wickelte sich die Beziehung zwischen den Geschlechtern weiter. Natürlich verliebten sich weiterhin Männer und Frauen ineinander, heirateten vielleicht, kriegten Kinder. Aber sie näherten sich auch darüber hinaus einander ­wieder an. Eine neue Generation von Männern setzte etwas in Bewegung.

Erkenntnis der Männer

Es sind Männer, deren erklärtes Ziel es ist, das veraltete und überholte Männerbild zu korrigieren. Männer wie Markus Theunert, Gründungsmitglied und Präsident von männer.ch, dem Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen sowie designierter Männerbeauftragter im Kanton Zürich. Schweizweit übrigens der erste in dieser Funktion. Ausschlaggebend für den Entschluss, sich als Männer zu organisieren, sei die Feststellung gewesen, sagt der 39-Jährige, «dass wir im Gegensatz zu den Frauen stillgestanden sind – dass wir höchstens passiv nachvollzogen haben, was die Frauenbewegung ausgelöst hat».

Anders gesagt, die Männer hatten genug davon, ihr Leben von den Frauen bestimmen zu lassen. «Es geht letztlich um die Frage», sagt Theunert, «wie wir uns das Leben in einer gleichgestellten Gesellschaft vorstellen.» Aus männlicher Perspektive. Diese in den Gleichstellungsprozess einzubringen hat sich männer.ch auf die Fahne geschrieben. Indem man Sprachrohr für Männer-, Väter- und Buben­themen sein und auf politischer Ebene etwas bewirken will. Letzteres heisst für Theunert und seine Mitstreiter in Bezug auf die Väter: mehr Teilzeitstellen und «Wertschätzung der Väterlichkeit».

Dass die Väter inzwischen trotz 100-Prozent-Job sich an der Kindererziehung beteiligen, sei zwar schon etwas, so Theunert. «Aber langfristig keine Perspektive, das geht auf Kosten der Gesundheit.» Aus diesem Grund hat männer.ch den 3. Juni zum Vätertag erklärt. Nicht als Pendant zum Muttertag, stellt Theunert klar, sondern als männerpolitischen Aktionstag für bessere wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, auch für das gemeinsame Sorgerecht. Deshalb der Plural im Namen, «Vätertag». Weil die präsente Vaterschaft keine Frage der individuellen Möglichkeiten sein sollte, so Markus Theunert, sondern das Modell für alle, die mehr sein wollen als nur Bezahl- und Sonntagsvater.

«Der Mann hat als traditionelles Oberhaupt der Familie ausgedient», lautete der Slogan der Frauenrechtlerinnen schon vor vielen Jahren, inzwischen ist er bei den Männern, respektive bei männer.ch angekommen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12

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