Drei Basler wollen dafür sorgen, dass sich 2015 die ganze Welt die Hand reicht. Ein etwas verrücktes Projekt, das nun erstmals getestet wird – unter anderem am Samstag, 21. September, Mitten in der Stadt.
Man kann die Idee für lächerlich halten oder für grössenwahnsinnig. Für banal oder für viel zu kompliziert – oder auch für alles zusammen.
Vielleicht fasziniert gerade das an «One People». Die kleine Geste, die die Welt vereinen soll.
Man macht nichts anderes, als sich die Hand zu geben, aber nicht einfach zu zweit wie ein verliebtes Paar oder zu dritt wie Eltern mit ihrem Kind. Nein, das Ziel ist ein Menschenkreis über Zehntausende von Kilometern rund um den Globus. Ein Projekt, «reduced to the max», wie es in der Werbesprache so schön heisst.
«Nur etwa 80 Millionen»
Die Idee hatte die Baslerin Andrea Sulzer (42) beim Meditieren. Eigentlich müsste dieses Leid doch gar nicht sein auf der Erde, dieser häufige Streit, dachte sie. Schliesslich sind wir eine Menschheit. Nur müsste man diese Verbundenheit über alle Grenzen, Sprachen und Religionen hinweg endlich auch einmal erleben. Nicht nur in irgendwelchen sozialen Medien, sondern in der Wirklichkeit. Hautnah. Mit dem Menschenkreis.
Geht das?
Andrea Sulzer war begeistert von ihrer Idee. Doch natürlich fragte auch sie sich, ob diese auch nur halbwegs realistisch ist. Ihr Partner Heinz-Werner Zander (59) meinte ja, als sie ein paar Tage danach zusammen am Rhein sassen und die ganze Sache durchrechneten. «Wir bräuchten etwa 80 Millionen Menschen», schätzte er: «Bloss 80 Millionen. Das sind nicht mehr, als Deutschland Einwohner hat.» Und das Beste an der Rechnung ist, dass «One People» nicht einmal das ganze Land braucht. Ein paar Hunderttausend Deutsche reichen, wenn daneben auch noch die Holländer, die Polen, die Weissrussen und so weiter den Kreis fortführen.
So weit, so klar.
Ein paar Fragen blieben allerdings auch nach dem Gespräch am Rhein noch offen. Zum Beispiel: Wie die Berge überwinden, die Meere? Wie genügend Menschen in die teilweise unendlichen Weiten bringen? Wie die geschlossenen Grenzen durchbrechen? Wie die Länder einbeziehen, in denen Männer und Frauen in der Öffentlichkeit niemals Hand in Hand dastehen würden? Was, wenn auf dem gleichen Längengrad sowohl die Schweden im Norden, die Schweizer in der Mitte als auch die Angolaner im Süden bei «One People» dabei sein möchten, der Kreis die Welt aber eher in der Breite umspannen soll?
Notfalls nur per Jodel verbunden
Das sind Fragen, die das «One People»-Team noch nicht beantworten kann. Und auch nicht beantworten will. «One People» sei kein fixfertiges Projekt, dessen Realisierung von irgendwoher gesteuert werden könnte, sagen sie. Es brauche rund um die Welt ganz viele lokale Gruppen, welche die Aktion planen und nach passenden Lösungen suchen würden.
Die Basler Gruppe um Sulzer etwa hat sich schon erste Gedanken gemacht, wie die Kette über die Alpen geführt werden könnte. «Falls ein Berg zu hoch ist, könnte man die fehlende Verbindung auch sonstwie schaffen. Singend zum Beispiel – mit einem Jodel», sagt Sulzer, die Prattler Abteilungsleiterin im Bereich Bildung, Freizeit und Kultur – und lacht. Da gebe es Tausende von Möglichkeiten, ist sie überzeugt. Auch auf dem Meer wird niemand stehen müssen. «Da werden garantiert noch einige gute Ideen zusammenkommen, wie wir das verhindern können», sagt Zander. Von den Vorstellungen der einzelnen Gruppen soll schliesslich auch der Verlauf der Menschenkette abhängen.
Naiv? Vielleicht. Aber warum nicht einfach auf sich selbst hören?
Gewachsen ist die Bewegung bis jetzt vor allem in der Schweiz über bestehende Bekanntschaften. Erste Ableger gibt es aber auch schon in Deutschland, Österreich, Italien, in den USA, in Kanada und den Palästinensergebieten. Mit dabei sind Menschen wie Sulzer und Zander, die sich als «offen» bezeichnen, politisch wie religiös ungebunden sind, sich aber dennoch für soziale Fragen interessieren, für Sinnliches und Übersinnliches. Oder Menschen wie der Umweltwissenschafter Christian Michel (33), der den Eindruck hat, dass auf der Welt so einiges aus dem Lot geraten ist, in der Politik, in der Wirtschaft, im Umgang mit der Natur.
Jetzt wirds ernst
Einen ersten Test planen sie für Samstag, den 21. September. An diesem offiziellen Tag des Friedens soll es mindestens neun Menschenketten auf drei verschiedenen Kontinenten geben. In einem Jahr sollen es dann schon sehr viele mehr sein, dank Werbung in sozialen Netzwerken und dank der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen. Und dann, am 20. September 2015, soll es nur noch den einen Kreis geben. Den globalen, «reduced to the max».
Und was, wenn das nicht funktioniert? Die Antwort kommt schnell. «Wir sind offen für alles. Wies kommt, kommts gut», sagt Michel und Zander ergänzt: «Alles ist möglich.»
In diesem Fall anders gefragt: Was, wenn sich die Menschheit 2015 tatsächlich die Hand gäbe? Was bliebe zurück – ausser einem Eintrag ins Guinessbuch, an dem die Organisatoren nicht einmal interessiert sind? Diese Fage scheint schon schwieriger zu sein. Die «One-People»-Aktivisten überlegen erst einmal und sprechen dann von einer «ganz neuen Erfahrung», einem «neuen Gefühl für Gemeinsamkeit» und gelangen dann irgendwann ans Ziel ihrer Ausführungen: Frieden.
Ist das eine etwas naive Vorstellung, die Gewalt einfach so stoppen zu können, per Händedruck?
Vielleicht schon, sagt Christian Michel, der Wissenschafter im Team. «Aber ich finde, man kann auch einfach mal auf seine innere Stimme hören, anstatt sich immer nur zu fragen, was wohl geht und was eher nicht.» Darum ist Naivität für ihn auch eher etwas Positives: «Sie lässt einen träumen. Und eröffnet einem ganz neue Perspektiven.»
Menschenketten hat es in der Vergangenheit schon einige geben – auch lange mit mehreren Hunderttausend Teilnehmern. Meistens aus politischen Gründen. Als Protest gegen Atomkraftwerke, gegen das Wettrüsten, gegen totalitäre Regimes. Die letzte Menschenkette, die für Aufsehen sorgte, war die «Via Catalana» mit rund eineinhalb Millionen Teilnehmern im September 2013 – eine Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens.Im Gegensatz zu diesen Aktionen steht «One People» nicht für eine eindeutige politische Botschaft. Sondern für die Vielfalt über alle kulturellen, politischen und religiösen Unterschiede hinweg.Der zweite Test ist für den 20. September 2014 geplant. Am 20. September 2015 soll es dann soweit sein – mit dem globalen Kreis. Sein Verlauf ist offen. Dieser hängt davon ab, wo lokale Gruppen aktiv werden und die Bevölkerung interessiert scheint. Somit wird sich die «Kette» wohl etwas wild über den Globus spannen, schlangenförmig, falls alles wie erhofft klappt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 20.09.13