Die Zeit schmilzt

Der menschliche Einfluss auf das Klima ist eindeutig, wie die internationale Forschung bestätigt.
Handeln müssen die Politiker

Auf dünnem Eis: Klimamessungen beim Pastoruri-Gletscher in Peru, der in den vergangenen 30 Jahren um ein Fünftel geschrumpft ist. (Bild: Mariana Bazo / Reuters)

Der menschliche Einfluss auf das Klima ist eindeutig, wie die internationale Forschung bestätigt.
Handeln müssen die Politiker

Die Klimaproblematik bleibt wichtigste Herausforderung und darf nicht kleingeredet werden.» Mit ­diesen Worten rief Nationalrats­präsidentin Maya Graf im Eröffnungsreferat zur Tagung «IPCC ­Klimaänderung 2013. Wissenschaftliche Grundlagen» zum Handeln auf.

ProClim von der Akademie der Naturwissenschaften, die Universität Bern und das Bundesamt für Umwelt hatten am ­vergangenen Montag in Bern zu dieser Tagung geladen, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse des aktuellsten Klimaberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Schweizer Öffentlichkeit vorzustellen und um den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft zu fördern.

Bereits vor einer Woche wurde in Stockholm die 36-seitige «Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger» dieses fünften Sachstands­berichts vorgestellt. Seit dem letzten Bericht 2007 haben sich die Aussagen zwar nicht grundlegend geändert. Diese sind nun aber deutlich besser abgesichert dank robusterer Modelle, grösserer Datenmengen und Verbesserung der Datenqualität, insbesondere im Bereich der Satellitendaten.

CO2-Werte markant gestiegen

Hinter folgenden Kernaussagen dieser Zusammenfassung stehen sowohl die mehreren Hundert Wissenschaftler, die am Bericht mitgearbeitet haben, als auch – und das ist bemerkenswert – die Vertretungen aller 195 beteiligten Staaten: Die Erwärmung des Klimasystems ist eindeutig. Atmosphäre und Ozeane werden wärmer, Schnee- und Eisbedeckung nehmen ab, der Meeresspiegel steigt.

Die Konzentration der Treibhausgase Kohlendioxid (CO2), Methan und Stickoxide in der Atmosphäre ist höher als jemals in den letzten 800 000 Jahren. Die CO2-Werte haben sich vor allem durch fossile Energien und teilweise auch durch Landnutzungsänderungen (Abholzung) seit Beginn der Industrialisierung um 40 Prozent erhöht.

Modelle zeigen Zusammenhänge

Diese Aussagen beruhen auf Mess­daten und Beobachtungen. Um die Prozesse im komplexen Klimasystem zu verstehen, das Klima der Erde über vergangene Jahrtausende zu ­rekonstruieren und vor allem Prognosen für die Zukunft zu machen, werden Modelle eingesetzt.

Inzwischen hat man einen Grossteil der physikalischen Hintergründe und die statistischen Zusammenhänge so gut verstanden, dass die Modelle grundsätzlich vertrauenswürdig sind und ähnliche Resultate liefern. Auch einige daraus abgeleitete Aussagen gelten in der Fachwelt und bei den Unterzeichnerstaaten nun als gesicherter Stand des aktuellen Wissens: Der menschliche Einfluss auf das Klimasystem ist klar.

Aus dem Gleichgewicht geraten

Das Klimasystem ist nicht im Gleichgewicht, sondern nimmt zusätzliche Energie auf, die grösstenteils durch die CO2-Zunahme in der Atmosphäre seit 1750 begründet werden kann. Eine Fortsetzung der Treib­hausgasemissionen wird zu einer weiteren Erwärmung und zu anderen Veränderungen im Klimasystem führen.

Der globale Wasserhaushalt wird sich ebenfalls verändern, wobei die Auswirkungen regional und saisonal unterschiedlich sind. Tendenziell wird sich der Gegensatz zwischen Trockengebieten und niederschlagsreichen Regionen verstärken.

Ozeane werden sich im Laufe dieses Jahrhunderts weiter erwärmen. Dadurch werden auch die Zirkulation in den Ozeanen und die Meeresströmungen beeinflusst.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass das arktische Meereis weiter abschmilzt und das globale Gletschervolumen weiter abnimmt.

Der Meeresspiegel wird aufgrund der Eisschmelze und der Volumenausdehnung des wärmeren Wassers weiter ansteigen.

Menschlicher Einfluss verändert das Klima – das wird inzwischen kaum mehr bestritten.

Detaillierte Prognosen sind abhängig von der Entwicklung der menschlichen Aktivitäten wie Energieverbrauch, Treibhausgasausstoss oder Landnutzungsänderungen und somit von politischen Entscheiden und vom Verhalten ganzer Staaten, aber auch jedes Einzelnen.

Die dazu verwendeten Szenarien bilden mögliche «Geschichten über die Zukunft» ab (Prof. Dr. Reto Knutti, Mitautor des Berichts). Sie reichen von drastischen Emissionsreduktionen über eine Stabilisierung bis zu weiterem Emissionswachstum.

Aus diesen grossen Unterschieden in den angenommenen menschlichen Aktivitäten resultieren auch grosse Unterschiede im weiteren Temperaturanstieg von 1 bis 3,7 Grad bis Ende Jahrhundert, wobei die seit der Industrialisierung bereits erfolgte Erwärmung von zirka 0,85 Grad noch dazukommt.

CO2-Budget fast aufgebraucht

Erstmals wurde in diesem Bericht ein «globales CO2-Budget» berechnet. Die Wissenschaft geht davon aus, dass die gesamten Emissionen seit der industriellen Revolution sich in der Atmosphäre anreichern und deshalb noch weit über das 21. Jahrhundert hinaus das Klima beeinflussen werden, selbst wenn es gelänge, den Ausstoss gänzlich zu stoppen.

Um das von der Weltgemeinschaft er­klärte Ziel einer maximalen Erhöhung der globalen Mitteltemperatur um 2 Grad gegenüber dem vorindus­triellen Zustand zu erreichen, dürfen die gesamten in Vergangenheit und Zukunft ausgestossenen Treibhausgase eine bestimmte Menge nicht überschreiten. Zwei Drittel dieses global zulässigen CO2-Budgets wurden bis heute bereits verbraucht.

Die Fakten sind also bekannt. Dass der aktuelle Bericht in den ­Medien und auch unter den über 350 Tagungsteilnehmenden aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Wirtschaft kaum kontroverse Diskussionen auslöste und die sogenannten Klimaskeptiker langsam verstummen, lässt hoffen, dass sich die Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik nun darauf konzentrieren können, Massnahmen zur Verminderung des Klimawandels, aber auch zur Anpassung an die bereits stattfindenden globalen und regionalen Veränderungen zu ergreifen.

Mutiges, zukunftgerichtetes Handeln auf nationalem und internationalem Parkett ist angezeigt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 04.10.13

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