Eine Schar blau-weiss gestreifter Matrosen tingelt durch die Altstadt. Mit flockigen Operettenmelodien und Gassenhauern mischen sie sich unter die anderen Kostümierten im fasnächtlichen Trubel. Dabei lässt die Wahl der Instrumente aufhorchen: Unter anderen sind Geige, Dudelsack, Melodica, Akkordeon, aber auch zwei Basler Piccolos zu hören.
Vielleicht hat der eine oder andere an der letzten Fasnacht diese lebhafte Truppe gesehen, die ziemlich aus der Reihe tanzt. Ansagen auf Tschechisch statt Baseldeutsch, Schnaps statt Weisswein in den Pausen: Wem so etwas im bunten Gewimmel aufgefallen ist, der wird wohl der «Schluuchgugge Prag» begegnet sein.
Wer sie letztes Jahr verpasst hat, kann die ungewöhnliche Clique an der bevorstehenden Kinderfasnacht oder abends beim «Gässle» erneut antreffen. Zum dritten Mal nehmen die jungen Tschechen an den «drey scheenschte Dääg» teil.
Ein tschechisches Buch über die Basler Fasnacht
Fasnachtspuristen, die bei jedem «Exoten» gleich den Teufel an die Wand malen, können sich aber beruhigen: Die Prager wissen sehr genau, worauf es in Basel ankommt. Larven, Kostüme und sogar ein «Zeedel» (notabene auf Baseldytsch) gehören zu ihrem Züglein. «S Naareschiff» von Sebastian Brant war ihr letztjähriges Sujet. Als Seeleute hatten sie dabei Politiker mit an Bord – so etwa den tschechischen Staastspräsidenten Miloš Zeman.
Bissiges zur Politik ist also auch ihnen wichtig. Einzig musikalisch sprengen sie – ganz im Sinne der diesjährigen Plakette – den Rahmen: Mit den ungewöhnlichen Instrumenten und ihrem folkigen Stil klingen sie anders als eine Basler Gugge.
Dass die jungen Tschechen an der Fasnacht einen Narren gefressen haben, ist nicht zuletzt einer Uni-Arbeit zu verdanken. Kopf der kostümierten «Delegation» ist nämlich die Religions- und Theaterwissenschaftlerin Olga Cieslarová. Vor sechs Jahren machte sie bei einem Besuch mit der Basler Tradition Bekanntschaft. Es war eine Liebe auf den ersten Blick – seither sei sie «e Aagfrässeni», wie sie von sich sagt.
Mittlerweile kennt Cieslarová die Geschichte der Fasnacht mindestens so gut wie ein Bebbi. Sie hat sogar ihre Magisterarbeit darüber geschrieben. Dank ihr gibt es also eine Publikation über die Basler Fasnacht in tschechischer Sprache. Zurzeit schreibt die 36-Jährige an ihrer Dissertation, die einen Vergleich zwischen der Satirekultur in Basel und Prag ziehen soll.
Ein Cortège im November
«Ich bin fasziniert, wie sich die Stadt jeweils verwandelt und wie kreativ die Leute sind», sagt die Theaterwissenschaftlerin über die Basler Fasnacht. Auch die typisch baslerischen Regeln habe sie bestaunt. Gerade diese ermöglichten einen Rahmen und so entstehe eine Symbiose zwischen organisierter und «wilder» Fasnacht. «Das ist eine Revolte gegen den Alltag», beobachtet sie. Gerade deshalb sei der Brauch in Basel noch so lebendig.
Für Olga Cieslarová ist die diesjährige Fasnacht bereits die siebte. Sie machte ihre ersten Versuche am Piccolo bei der «Duschuurli Pfyfferclique». Inspiriert von den Erlebnissen in Basel, gründete sie 2012 zusammen mit Kollegen in Prag eine Art Clique. Am Rhein zieht die Gruppe als «Schluuchgugge» durch die Gassen, an der Moldau tut sie sich mit anderen Formationen zum Fasnachtsumzug «Sametové Posvícení» zusammen.
Der Name «Samtenes Fest» spielt auf den 17. November an. Am «Tag des Kampfes für Freiheit und Demokratie» wird in Tschechien jeweils an das Ende des kommunistischen Regimes erinnert – die «Samtene Revolution» von 1989.
Cieslarová und ihre Kollegen kamen auf die Idee, den Gedenktag mit einem Schuss Humor und Satire zu feiern. Dabei liessen sie sich von der Basler Fasnacht inspirieren und kombinierten sie mit der eigenen Satire-Tradition. «Es gehört zur tschechischen Mentalität, das Ernste in etwas Lustiges umzuwandeln, um nicht einfach hilflos dazustehen», erklärt Cieslarová.
Ein zweiter Einfluss waren die NGOs, die in Tschechien oft mit künstlerischen Aktionen um Aufmerksamkeit buhlen. So dachten Olga und ihre Kollegen, ein paar dieser Organisationen zu einer Art Cortège einzuladen.
Larven, «Zeedel», Requisiten, Sujets und kostümierte Musiker: Ein Blick auf die Bilder vom 17. November zeigt, dass die Macher des Umzugs mehrere Ideen aus Basel im Gepäck hatten. Diese neue Fasnacht konnte sich in den letzten paar Jahren etablieren: Bis zu 15 Gruppen und bis zu 400 Larven, kaschiert nach Basler Vorbild, nahmen teil.
Zwischen Demo, Performance und Fasnacht
Zwischen Prag und Basel bildeten sich mittlerweile Freundschaften. So lädt die «Schluuchgugge» immer wieder Basler Fasnächtler ein, am Gedenktags-Umzug mitzuspielen. Letztes Jahr trommelte etwa Marc Wey mit, Fasnächtler bei der Tambourengruppe «Frauenhilfswerk 1833». In einem Larvenkeller mitten in einem Prager Aussenquartier fühlte er sich sogleich an ein Cliquen-Atelier erinnert.
Trotz Ähnlichkeiten zur Basler Fasnacht stellte er aber auch Unterschiede fest: «Vom Ansatz her gleicht der Prager Umzug eher den Kuttlebutzer», findet Wey. Das legendäre «Enfant terrible» unter den Cliquen mit dem Künstler Jean Tinguely ist ihm beim Betrachten des Prager Cortège in den Sinn gekommen.
Ob Bühnenmusik, Performances und Reden mit Lautsprechern und sogar einzelne Chaoten, die am Rande der Kundgebung für Unruhe sorgen: In Tschechien gehe es politischer zu. «Es ist nicht so wie in Basel, wo die Cliquen brav beim Comité vorbeimarschieren», beobachtet Marc Wey. Auch Männi Oeschger, ein langjähriger Pfeifer, ist schon mehrmals mit «Sametové Posvícení» über die Karlsbrücke marschiert. «Es war ungewohnt, dort unter Polizeischutz Fasnacht zu machen», erinnert er sich.
Wilde Tiere aus dem Osten
Schon bald wird es erneut zu einem Zusammentreffen zwischen Basler und Prager Fasnachtsmusik kommen: Die «Schlauchband» probt gerade den «Unggle Sam», um zusammen mit dem «Frauenhilfswerk 1833» die Gassen zu erobern. Letztes Jahr waren die beiden Pfeiferinnen aus der tschechischen Gugge schon mit den Tambouren unterwegs – stets mit der «Retraite» und dem ersten «Arabi»-Vers. Dabei spielten die Basler diese beiden Märsche in einer Endlosschleife, damit die Gäste mithalten konnten.
Diesmal sollen die Basler Märsche aber mit Dudelsack, Melodica, Tuba und anderen Instrumenten gespielt werden. Manche der Musiker sind Profis, andere blutige Anfänger: «Wir finden, dass wir so eine traditionelle Basler Gugge sind – wir spielen schliesslich auch etwas schräg», sagt Olga Cieslarová. Zum diesjährigen Sujet der Tschechen sind noch keine Details bekannt. So viel verrät die Prager Fasnächtlerin aber schon: «Es wird etwas mit wilden Tieren, die aus dem Osten nach Basel kommen.»
Im Rahmen der Doktorarbeit von Olga Cieslarová ist der Dokumentarfilm «Und unter der Larve Finsternis» von Viola Jezkova entstanden. Dieser wird als Vorpremiere (tschechisch mit englischen Untertiteln) am Sonntag, 5. März, um 16 Uhr im Borromäum (Byfangweg 6) gezeigt.