Buster Keaton: Diesen Stummen versteht jeder

Wer Pantomime hasst, hat noch nie Buster Keaton gesehen: Vor 100 Jahren gab er sein Leinwanddebüt. Neun Jahre später schuf er mit «The General» ein Meisterwerk.

Eine wuchtige Rangierlok rollt über das Gleis, gelassen tritt ein alter Mann hinzu und stoppt sie – mit einer Hand. Als Zuschauer kommt man nicht mehr aus dem Staunen heraus: Wenn das schon kein Wunder ist, dann doch zumindest wunderbar!

Als diese Aufnahme Mitte der 1960er-Jahre entsteht, ist Buster Keaton 69 Jahre alt. Die Stummfilmlegende hat ihr Gespür für das komische Timing ein Leben lang perfektioniert, um die Gesetze der Physik scheinbar auf den Kopf zu stellen: Keaton ist gerannt, gesprungen, geklettert und immer wieder gestürzt, so formvollendet, dass jede Bauchlandung zur Bodenakrobatik wurde.

Der Schauspieler, der sein eigener Stuntman war, machte dabei keinen Mucks, er verzog noch nicht einmal das Gesicht. Aber gerade diese Anteilnahmslosigkeit am eigenen Straucheln sagt alles: Wer nicht Schritt hält mit der Zeit, hat nichts zu lachen.


style=“clear: both;“>Keatons Welt war schon früh alles, was fallen ist. Als Kind tourte er mit seiner Schausteller-Familie durch Vaudeville-Theater, wo ihn sein Vater zur Belustigung des Publikums von der Bühne warf. Der kleine Buster verzog dabei keine Miene, weil das mehr Lacher brachte. Dieses «Stone Face» sollte zu seinem Markenzeichen werden.

Bevor Keaton zum Film wechselte, zerlegte er eine Kamera, um ihre Funktionsweise zu verstehen. Am 23. April 1917 gab er sein Leinwanddebüt als Nebendarsteller in «The Butcher Boy» (ab Minute 6:16). Es dauerte nicht lange, bis Keaton Hauptrollen spielte und auf Charlie Chaplins ehemaligem Produktionsgelände eigene Filme drehte.

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Diese Filme bestanden aus einem Anfang und einem Ende, wie Keaton seine Arbeitsmethode lapidar erklärte. Den Mittelteil konstruierte er mit fast mathematischer Präzision um haarsträubende Missgeschicke: Er liess eine zwei Tonnen schwere Hausfassade auf sich herabkrachen, purzelte unzählige Treppen hinunter und brach bei einem Sturz auf Zugschienen die Halswirbel an, was jahrelang unbemerkt blieb.

Den Genickbruch als unabhängiger Filmemacher aber erlitt Keaton mit seinem ambitioniertesten Projekt. 1926 kam «The General» in die Kinos, benannt nach einer Lokomotive, die während des amerikanischen Bürgerkrieges von Truppen der Nordstaaten entführt und vom Süden zurückerobert wurde.

Keaton verband damit eine fiktive Liebesgeschichte, in der ein kleiner Mechaniker – der Regisseur selbst – seine Geliebte samt Lokomotive aus den Händen der Nordstaatler retten muss. Es ist die einzige Schlacht, die der Antiheld gewinnt, der Bürgerkrieg ist ohnehin verloren.  

«The General» ist ein grossartiger Film und gross angelegt dazu: Wie die Lokomotive von einer brennenden Brücke stürzt, gehört zu den kostspieligsten Szenen der Stummfilmzeit. Aber das Publikum mochte sich darüber nicht amüsieren, und was noch schlimmer war: Keaton hatte sein Budget episch überzogen und verlor so die kreative Kontrolle über künftige Projekte.

«The General» dampft weiter

Es sollte Jahrzehnte dauern, bis der Schauspieler nach diesem Flop und zwei gescheiterten Ehen wieder auf die Beine kam. Keaton fand neue Anerkennung und legte seine Alkoholsucht ab, nur von den Zügen kam er nie los: Als er sich in späten Jahren das Rauchen abgewöhnen wollte, legte der Schauspieler seine Glimmstengel auf eine elektrische Eisenbahn und wartete jeweils eine ganze Runde bis zum nächsten Zug.

Buster Keaton starb mit 70 Jahren an Lungenkrebs. «The General» aber dampft weiter.

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